Wo ist mehr erlaubt? Wo gibt es weniger Verbote?

Regulatorische Arbitrage ist die etwas hochtrabende Bezeichnung eines relativ simplen Prinzips. Ein Unternehmen wickelt an dem Ort des Landes oder dem Land der Welt seine Geschäfte ab, an dem ihm die wenigsten Auflagen dafür gemacht werden, wenn es dadurch seinen Profit steigern kann. Effizienz, Logistik und Infrastruktur sind dabei selbstverständlich wichtige Parameter, aber gerade in einer globalen Weltwirtschaft, die zunehmend auf den Dienstleistungssektor als Margenbringer setzt, spielt die Gesetzeslage mit ihren Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle.

Viele Unternehmen nutzen Unterschiede in der Regulierung

Wer denkt, regulatorische Arbitrage betrifft hauptsächlich Banken und Finanzdienstleister, der irrt. Beispiele, wie laxe Gesetze und großzügig ausgelegte, regulatorische Vorschriften entweder gezielt oder unabsichtlich von Staaten genutzt werden, um Unternehmen anzulocken, gibt es viele. Es ist ein wenig so wie mit Wasser. Dort, wo der Fluss auf harten Stein trifft, wird sich das Wasser einen anderen, weicheren Untergrund suchen, in den es sich graben kann.

Mit Wucherkrediten ins Nachbarland

In Deutschland und Österreich etwa gibt es Gesetze gegen Zinswucher. Anbieter von Payday Loans aus diesen Ländern bieten ihre Wucherkredite dann eben in Nachbarländern wie Polen und Tschechien an, in denen es keine Wuchergesetze gibt.

Anonyme Unternehmensgründung

Will jemand anonym sein wie auch immer erworbenes Vermögen anlegen und dabei seine Identität nicht preisgeben, eröffnet er oder sie über einen Strohmann heute ein Unternehmen im US-amerikanischen Bundesstaat Delaware. Der ein oder andere Inselstaat stünde alternativ ebenfalls zur Verfügung, Palmenstrand inklusive. Früher war es die Schweiz, die solche Vermögen anzog, und die der Preisgabe des Bankgeheimnisses noch immer dicke Tränen hinterher weint.

Dass Unternehmen, bei denen der wirtschaftlich Berechtigte unbekannt ist, ein riesiges Einfallstor für kriminelle Machenschaften und Geldwäsche bieten, versteht sich dabei von selbst.

Niedrigsteuerländer für ausländische Unternehmen

Ein Unternehmen möchte weniger Steuern zahlen? Willkommen in Luxemburg! Willkommen in den Niederlanden! Die tollen Steuervorteile gibt es übrigens nur für ausländische Unternehmen. Einheimische zahlen ganz normal ihre Steuern.

Fondsparadies Luxemburg

Luxemburg ist klein, großartig viel Wirtschaftsleben ist nicht vorhanden, und doch ist das Land sehr wohlhabend. Das liegt nicht zuletzt an einer sehr kreativen Gesetzgebung bei Geldanlagen. In Europa wird heute die überwiegende Mehrzahl an Investmentfonds und Anleihen in Luxemburg aufgelegt. Schließlich ist hier fast alles erlaubt, die Kosten sind gering, die Auflagen und Kontrollen sehr überschaubar und die Besteuerung ausgesprochen attraktiv. Den identen Fonds in Deutschland aufzulegen wäre ungleich teurer und komplizierter und in vielen Fällen gar nicht erst erlaubt!

Umweltauflagen werden umgangen

Bei der Produktion eines Produkts fallen allerlei giftige Abfälle an, deren Entsorgung in Deutschland viel zu teuer wäre? Dazu die teuren Filteranlagen für die Abgase? Da stellt sich die Frage erst gar nicht mehr, warum so viel schmutzige Industrieproduktionen heute in Länder ausgelagert sind, deren Umweltauflagen lax bis nicht exisitent sind oder sich mit dem ein oder anderen Schmiergelddollar ein wenig „verbiegen“ lassen. Die Umweltverschmutzung wird schlicht exportiert. Dazu zählen übrigens auch unsere alten Autos, die keine grünen Plaketten bekommen und stattdessen auf afrikanischen Straßen ihre Ruß- und Feinstaubpartikel in die Lungen der Menschen pusten.

Versicherungsunternehmen und ihre Rückversicherungen

Versicherungsunternehmen betreiben in hohem Maße die sogenannte Solvency II Arbitrage. Solvency, das ist eine Reihe von EU-Gesetzen und EU-Vorschriften, die Versicherungsunternehmen unter anderem Vorgaben dazu machen, wie viel Kapital und in welcher Form als Sicherheit für Leistungsansprüche vorzuhalten ist. Gerade für Lebensversicherungen ist das eine teure Sache. So schließen die Versicherungen Rückversicherungsverträge mit Versicherungsunternehmen von außerhalb der EU ab, die kein entsprechendes Kapital vorhalten müssen.

Fangquoten, Überfischung und der gesetzesfreie Raum

Die Fangquote des riesigen Fischtrawlers ist bereits ausgeschöpft? Dann fährt das Schiff entweder in internationale Gewässer, in denen völlige Gesetzesfreiheit herrscht, oder es kauft sich günstig die Rechte, in den Gewässern eines afrikanischen Staates das Meer leer zu fischen. Auch hier gibt es Arbitrage und werden eine laxere Regulierung oder geringere Durchsetzungskraft von Vorschriften und Gesetzen ausgenutzt.

Internationale Bemühungen gegen regulatorische Arbitrage

Das Problem der regulatorischen Arbitrage ist nicht neu. In einer marktwirtschaftlich orientierten, globalen Welt, die zunehmend vernetzt ist, fällt es Unternehmen immer leichter, ihre Standorte flexibel zu gestalten. Komplexe Firmenstrukturen mit Holdings und Tochtergesellschaften schaffen zusätzliche Möglichkeiten, die Gewinne eines Unternehmens entsprechend zu optimieren. Die Problematik der regulatorischen Arbitrage ist auch an den Aufsichtsbehörden nicht vorbei gegangen. So gibt es immer mehr internationale Zusammenarbeit in Hinblick auf die möglichst großflächige Vermeidung der schlimmsten Auswüchse regulatorischer Arbitrage. Im Finanzwesen sind die Baseler Akkorde ein gutes Beispiel, wie globale Regulierung funktionieren kann. Aber auch die Bemühungen der Welthandelsorganisation und der Vereinten Nationen arbeiten in Richtung einheitlicher Standards. Die Verlockung für manch kleine Staaten, an der regulatorischen Stellschraube zu drehen, wird weiter vorhanden bleiben. Internationale Verträge, internationaler Druck und mehr Transparenz machen regulatorische Arbitrage aber zunehmend schwieriger, nicht zuletzt aus Reputationsgründen.