Wir leben in kuriosen Zeiten, in denen politische Entscheidungen, Verordnungen und Gesetze nicht immer Sinn ergeben. Ein Phänomen übrigens, das wir weltweit beobachten. Mag sein, dass dies schon immer so war und es uns bisher einfach nicht in dieser Dimension aufgefallen ist. Wir wollen hier und heute auch gar nicht alle Kuriositäten politischer Agenden und Gesetzgebungen aufführen, die uns derzeit zum Stirnrunzeln bewegen. Wie etwa den Beschluss, die ganze EU auf Elektroautos umzustellen, obwohl angeblich Strom arg knapp ist und auf absehbare Zeit auch so bleiben soll. Oder eine CO2 Steuer auf Treibstoff in Zeiten, in denen Diesel und Benzin an der Zapfsäule ohnehin unerklärlich teuer sind, deutlich teurer noch als 2014, als Rohöl bei 140 USD handelte, und wir seit mehreren Wochen um die 90 USD liegen. Kuriositäten gäbe es genug. Doch die Krone setzt dem Spiel derzeit eine neue Regel in den USA auf mit einer Idee, die durchaus nach Europa schwappen könnte. Deshalb machen wir heute eine kleine Reise über den Atlantik und versuchen zu verstehen, was Inflation, Steuern und erneuerbare Energien gemeinsam haben.
Die Regierung der USA kümmert sich um die Inflation. Oder?
Auch in den USA ist die Teuerung ein wichtiges Thema, das die Menschen bewegt. Deshalb wurde diese Tage – zumindest lässt das der Titel der neuen Verordnung vermuten – der „Inflation Reduction Act“ beschlossen. In der Beschreibung auf der Webseite des Weißen Hauses steht im ersten Absatz noch etwas von Arbeitnehmern, denen mit dieser neuen, wunderbaren Verordnung geholfen werden soll, und in einem weiteren Artikel noch etwas dazu, wie gut diese Verordnung für die Minderheiten der Asian Americans, Native Hawaiians und Pacific Islander Communities ist. Doch gleich im zweiten Absatz ist die Rede von „der aggressivsten Aktion zur Bekämpfung der Klimakrise in der Geschichte Amerikas“. Geht es etwa gar nicht um eine Begrenzung der Teuerung, wie es der Titel hätte vermuten lassen? Blickt man in den Text der 730-seitigen Verordnung – etwas, das wenig Menschen jemals mit Verordnungen tun – runzelt man nicht nur die Stirn sondern kommt aus dem Kopfschütteln kaum noch heraus. Denn gegen den Kampf gegen die allgemeine Teuerung haben sich die Verfasser des Inflation Reduction Acts gar kuriose Ideen einfallen lassen. Diese soll tatsächlich durch den Kampf gegen den Klimawandel gestoppt werden. Geschehen soll das durch die Bevorzugung aller Industrien, die sich mit „guten“ Energien und deren Erzeugung beschäftigen, indem diese Unternehmen oder deren Produkte direkt oder indirekt Geld vom Staat bekommen sollen. Finanziert soll das wohl durch die ebenfalls in der Verordnung versprochenen, höheren Anstrengungen der US-Steuerbehörde IRS bei der Steuereintreibung werden, um all jenen auf den Pelz zu rücken, die bisher zu wenig Steuern abgeliefert haben. Dazu zählt eine 15%ige Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne großer Unternehmen sowie eine 1%ige Steuer auf Aktienrückkäufe. Jene Unternehmen, die etwas Klimafreundliches machen, bekommen auf diese 15% großzügige, handelbare Steuererleichterungen. Um die strengere Steuereintreibung auch stemmen zu können, macht die Regierung übrigens erstmal 79 Milliarden USD locker, um damit das Budget der Steuerbehörde IRS aufzustocken.
Als kleine Kirsche auf dem Klimakuchen werden dann doch noch einige Preise begrenzt, und zwar für manche verschreibungspflichtige Medikamente für Medicare Bezieher. Abgesehen von den wenigen, günstigeren Medikamenten fragt man sich, wie sich durch diese kuriose Verordnung die Teuerung reduziern lässt.
Die Logik der Verordnung: Durch Steuererleichterungen für erneuerbare Energie soll die Teuerung gestoppt werden.
Für alle Unternehmen, die sich mit „guten“ Energien beschäftigen, brechen in den kommenden Jahren wahrhaft gute Zeiten an. Billige, durch den Staat garantierte Kredite, dazu direkte Kreditsubventionen in Höhe von 3,6 Milliarden USD. Noch wunderbarer sind all die direkten Förderungen, Subventionen und Steuergeschenke. Dazu kommen Vorschriften, dass bestimmte Produkte, die für „gute“ Energie nötig sind, ausschließlich von US-Produzenten gekauft werden dürfen. Ein Schlaraffenland für alle, die sich mit erneuerbaren Energien und als Klimaschutz eingestuften Produkten beschäftigen. So gibt es etwa Steuerabzüge („tax credits“) für Investitionen in Fotovoltaik, Windkraft, CO2 Speicherung, Biotreibstoffe und alternative Treibstoffe, bauliche Energieeffizienz, Elektrofahrzeuge und vieles, vieles mehr. Unternehmerisch genutzte Elektrofahrzeuge erhalten etwa großzügige Zuschüsse bis zu 40.000 USD. Auch bei Privatfahrzeugen gibt es Steuergutschriften, die gegen den Kaufpreis angerechnet werden können, allerdings nur dann, wenn das Fahrzeug in Nordamerika zusammengebaut wurde und bestimmte Mineralien und Metalle sowie Batteriebestandteile aus „erlaubten“ Quellen stammen. Zusätzlich können die Steuergutschriften bis zu fünffach gehebelt werden, wenn ein Unternehmen faire Löhne bezahlt, ein Lehrlingsprogramm betreibt oder heimische Materialien verwendet.
Erdöl und importierter Treibstoff erhalten eine höhere „Superfund Tax“
Der eindeutig stärkste Treiber der gesamten Teuerungswelle, die über unsere Welt schwappt, sind nachweisbar die aktuell hohen Energiepreise. Da überrascht es umso mehr, dass eine Verordnung, die ihrem Titel nach Inflation bekämpfen soll, eine Supersteuer auf Erdöl und importierten Treibstoff – und zwar inflationsindexiert! – festlegt. Die neue Abgabe ist eine Steuer, die vor 25 Jahre abgeschafft wurde. Damals diente die Abgabe dazu, einen Geldpool aufzubauen, um Umweltschäden beseitigen zu können, für die kein anderer zur Rechenschaft gezogen werden kann. Die neue, alte Superfund Steuer wird anfänglich 16,4 Cent pro Barrel Rohöl betragen. Dass diese neue Steuer letztendlich auf den Verbraucher umgewälzt wird, ist anzunehmen. Die Herstellung von Wasserstoff – übrigens ein sehr energieintensiver Prozess – sowie der Verkauf von „nachhaltigem“ Kerosin erhalten hingegen Steuererleichterungen.
Was ist mit allen Sektoren, die nicht in die Kategorie erneuerbare Energie fallen?
Die Frage ist durchaus berechtigt, denn schließlich sind die meisten Sektoren des produzierenden Gewerbes nicht in der Kategorie „erneuerbare Energie“ zu finden. Wie viele Unternehmen produzieren schon Batterien, Solarpanels, bauen Kernkraftwerke oder bieten Fracking Ausrüstung an? Geht es nach dem Inflation Reduction Act, kommen diese Sektoren ganz und gar nicht in den Genuss von Erleichterungen, sondern müssen ganz im Gegenteil mit höheren Steuerbelastungen rechnen. Das wiederum dreht an der Kostenschraube und dürfte die Teuerung sowie die Arbeitslosigkeit eher anheizen als bremsen.
Die „Green Tax Credits“ sind handelbar: Ein neuer Assetmarkt entsteht
Die vielen Steuergutschriften sind großteils übertragbar auf andere Unternehmen und können somit gehandelt werden. Es kommt aber noch besser. Die Steuergutschriften dürfen auch von all jenen Organisationen genutzt werden, die steuerbefreit sind! Das sind in den USA etwa Regierungseinheiten, Verwaltungen der indianischen Ureinwohner, Stiftungen, gemeinnützige Genossenschaften und Vereine. Durch die Übertragbarkeit der großzügigen Steuergutschriften entsteht bereits jetzt ein neuer Assetmarkt. Die nun höher besteuerten Unternehmen und sogar natürliche Personen können die Green Tax Credits erwerben, um sich von der höheren Steuerlast des Inflation Protection Acts und anderer Steuern freizukaufen.
Europäische Unternehmen nur indirekt betroffen
Die Verordnung betrifft die USA und damit nur indirekt europäische Unternehmen, etwa in Form der Besteuerung US-amerikanischer Niederlassungen und Beteiligungen oder im Exportgeschäft. Viel interessanter ist der Inflation Protection Act dafür als klassisches Beispiel, dass oft nicht das drin ist, was außen drauf steht. Das gilt für Verordnungen genau so wie für Investitionsprospekte. Gerade populäre Themen wie derzeit erneuerbare Energie und ESG, aber auch alles rund um Inflation, sind anfällig für Mogelpackungen. Lesen Sie also weiterhin das Kleingedruckte.