Wenn es um Prognosen für das herankommende Finanzjahr geht, muss ich zwangsweise an die zahlreichen Chefvolkswirte denken, die ich in meiner Zeit bei Investmentbanken regelmäßig begleiten durfte bei ihren Veranstaltungen zu volkswirtschaftlichen Ausblicken auf das kommende Jahr. Die ersten zehn Minuten ihrer Vorträge waren stets dafür reserviert zu erklären, warum die Prognosen aus dem Vorjahr dann doch nicht so eingetreten waren und es am Schluss ganz anders gekommen ist als gedacht. Entsprechend halte ich mich gerne mit Vorhersagen der Zukunft zurück und überlasse das jenen, die tatsächlich hellseherische Fähigkeiten besitzen. Was wir hier heute darlegen, sind keine Zukunftsvorhersagen, sondern einige der Risiken, die wir für das kommende Jahr sehen, und die wir Ihnen nahe legen, in die Überlegungen Ihres Risikomanagements einzubeziehen.

Nicht-finanzielle Risiken nehmen zu

Im täglichen Geschäft dreht sich bei vielen von uns der Großteil unserer Arbeit und Aufmerksamkeit um das Managen finanzieller Risiken, insbesondere das Zinsrisiko und die damit verbundenen Währungsrisiken und Assetpreis Risiken. Diese werden auch 2022 nicht verschwinden, vor allem deshalb nicht, weil wir große Verschiebungen auf Seite der kurzfristigen Preise sehen könnten, aber dazu erst später. Viel wichtiger dürfte in den kommenden 12 Monaten der Bereich der nicht-finanziellen Risiken sein. Wir befinden uns in einer zunehmend instabilen politischen Lage. In vielen Ländern Europas kam es in den vergangenen Wochen und Monaten zu Regierungswechseln. Gepaart mit einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Korruptionsskandalen in westlichen Ländern, deren Dynamik gerade erst an Fahrt aufnimmt, sehen wir für 2022 ein bedeutendes Risiko in politischer Instabilität und damit einem erhöhten Staatenrisiko. Neue Regierungen erlassen neue Gesetze und Verordnungen, ändern das Steuer- und Abgabewesen, bringen regulatorische Änderungen und favorisieren ihre eigenen Verbündeten, während sie die Verbündeten der scheidenden Regierungen und Machthaber im besten Fall benachteiligen. All das schafft Unsicherheit und Instabilität, was selten gut ist für Investitionslust und Kreativität. Stattdessen lenken politische Unsicherheiten den Fokus von Unternehmen auf das Sichern von Vermögen und den Schutz des bisher Erreichten. Kein gutes Vorzeichen und sicherlich kein Signal für Wachstum.

Rechtsunsicherheit nimmt zu

Für ein solides Wirtschaftswachstum ist Rechtssicherheit ein tragender Pfeiler. Sinnvolle Gesetze, die den Investor und seine Investitionen auf Dauer schützen und über lange Zeiträume unverändert und stabil bleiben, dazu ein zuverlässiges und von politischer Einflussnahme freies Gerichtswesen, galten lange Zeit als selbstverständlich in der westlichen Welt. Die Zeit einer stabilen Rechtslage ist in den meisten Ländern dieser Welt nun vorbei. Covid, CO2 und Immigration dienen als Rechtfertigung, immer mehr Verordnungen und Gesetze kurzfristig und häufig ohne Einbeziehung von Parlamenten zu verändern. Eine stabile Rechtsprechung gehört ebenfalls der Vergangenheit an. Jeder mag über Covid, CO2 und Immigration denken wie er will. Für das Risikomanagement und die Stabilität und Planungssicherheit von Unternehmen sind die politischen Eingriffe, die dadurch gerechtfertigt werden, hingegen fatal. Wenn plötzlich Freitags von einer handvoll Politiker beschlossen wird, dass ab Montag Unternehmen geschlossen bleiben, nur noch an einen begrenzten Kreis Kunden ihre Waren und Services verkauft werden dürfen, Mitarbeiter nur noch unter bestimmten Auflagen beschäftigt werden dürfen, und die Grenzen nur noch unter erschwerten Bedingungen oder gar nicht passiert werden dürfen, so schafft das irreparable Schäden nicht nur für das einzelne Unternehmen, sondern das gesamte Investitionsklima. Ein Land, in dem ich heute nicht sagen kann, welche Auflagen und Verordnungen ich als Unternehmer nächste Woche erfüllen muss und ob ich überhaupt noch meinem Geschäft nachgehen darf, steht wohl nicht ganz oben auf der Liste der bevorzugten Betriebsstätten. Entsprechend sehen wir durch die zunehmenden Risiken der Rechtsunsicherheit ein deutliches Wachstumsrisiko.

Die Sache mit der Inflation

Wir haben schon viel geschrieben über Inflation und ihre Ursachen. Doch da über den Verlust der Kaufkraft seit Monaten viel gesprochen wird, wollen wir uns diesen Punkt kurz ansehen. Wer zurück denkt an die Kurse in Volkswirtschaft, die jeder von uns wahrscheinlich irgendwann im Laufe von Studium und Ausbildung besucht hat, erinnert sich an den üblichen Kreislauf aus Wirtschaftswachstum, Inflation und Zinsen, die einander in einem steten Kreislauf regulieren. Durch das Wirtschaftswachstum angetrieben wächst die Nachfrage, Unternehmen erhöhen die Preise, die Kaufkraft sinkt, dadurch steigen die Zinsen, die dann dämpfend auf das Wachstum wirken, bis wieder ein Gleichgewicht hergestellt ist. Das ist die sogenannte Demand-Pull-Inflation. Da nun aber das Wirtschaftswachstum aufgrund politisch gemachter Unsicherheit ausbleiben dürfte, woher kommt also die Inflation, von der alle sprechen? Es bleibt die Cost-Push-Inflation, also eine Inflation gestiegener Einkaufspreise. Wir müssen nicht lange nach dem Grund suchen, warum die Einkaufspreise für viele Komponenten steigen. Es liegt an der weltweiten Supply Chain Störung, und die wiederum ist zu 100% politisch motiviert und herbeigeführt. Wir wären also auch hier wieder bei politischem Risiko als Grund für die derzeit zu beobachtenden Preissteigerungen. Eine klassische, langfristige Inflation ist das jedoch nicht, ganz im Gegenteil.

Kostentreiber und regulatorisches Risiko Klimaschutz

Immer stärker werden Unternehmen in 2022 die Kosten spüren, die ESG und Klimaschutz mit sich bringen. Regulatorisch ist viel Neues auf dem Weg, was uns in den kommenden Jahren im Risikomanagement stark beschäftigen wird. Es gibt neue Auflagen zum Non-Financial Reporting zu ESG Themen, neue Bestimmungen zu Bewertungen der Klimaschädlichkeit und anderer ESG Komponenten, und auch im Asset Management wird uns der Klimaschutz mehr Arbeit und damit Kosten bescheren. Hinzu kommen höhere Energiepreise, die jedes Unternehmen treffen, und ein zunehmendes, regulatorisches Risiko. Die Regulierungswut in Sachen ESG ist erstaunlich, und auch die Geschwindigkeit, mit der neue Verordnungen über uns hereinbrechen. Galt bisher der Klimawandel eher als Sorge von Versicherungsunternehmen und Rückversicherern in Bezug auf zunehmende Schadenshöhen, ist es plötzlich das regulatorische Risiko, das uns das Thema nun flächendeckend beschert. Eine Wendung, die wir in dieser Wucht durchaus überraschend finden, und die deshalb in der Routine vieler Risikomanager noch fehlt.

Chancen für neue Technologien und Denkweisen

Naturgemäß beschäftigen wir uns als Risikomanager hauptsächlich mit dem, was schief gehen und unsere Unternehmungen negativ belasten könnte. Gleichzeitig lohnt es, einen Blick auf die Chancen und positiven Aspekte zu werfen, die jede Zeit der Herausforderung mit sich bringt. Wir mögen uns nicht in einer Zeit rosigen Wirtschaftswachstums befinden. Einige Bereiche dürften dennoch von all dem politischen und gesellschaftlichen Wirrwarr, durch den sich Unternehmen derzeit kämpfen, profitieren. Dazu zählen neue Technologien im Bereich von Energie, Kommunikation, Medizin und Organisation. Doch auch Unternehmen, die nicht in diesen Zweigen tätig sind, können von einem Trend in Veränderung von Denkweisen profitieren, die das Management und das allgemeine Wesen von Unternehmen verändert. Es geht um Dinge wie Stakeholder Beteiligung, ganzheitliches Management, Vernetzung und Kooperation, die durchaus spannende und vielversprechende Potenziale bergen.

Wie das Jahr 2022 nun tatsächlich werden wird, liegt an uns allen. Als Risikomanager empfehlen wir, stets auf das Schlimmste gefasst zu sein, und dabei gleichzeitig die Chancen nicht zu übersehen, die sich daraus ergeben. Wir wünschen Ihnen dafür einen offenen Blick und den Fokus auf das Richtige.