Was haben Ferien, lange Warteschlangen an Flughäfen und gestrichene Flüge mit Risiken am Finanzmarkt zu tun? Keine Sorge, wir behandeln nach wie vor ökonomische Themen rund um Finanzmarkt, Risikomanagement und Fixed Income. Einen Zusammenhang mit den derzeit weltweit auftretenden Problemen an Flughäfen sehen wir durchaus.

Weltweites Phänomen der Flughafen-Engpässe

Die Sommerferien in den Ländern des nördlichen Teils der Erde haben entweder schon begonnen oder stehen kurz bevor. Die Nachrichten gleichen sich dabei, die wir von großen Flughäfen hören. Besonders schlimm wird es an Wochenenden. Probleme am Flughafen von Atlanta mit vielen gestrichenen Flügen und Verspätungen. Chaos am Flughafen von Manchester mit Warteschlangen quer durch den Flughafen. Nicht viel besser war es am Wochenende in Heathrow, nicht nur mit Warteschlangen, verpassten, verspäteten oder gestrichenen Flügen, sondern auch mit einem Berg gestrandeter Koffer. Restlos überfüllte Flughäfen in Deutschland, fünf Stunden Wartezeit in Düsseldorf, dazu tausende gestrichene Flüge. Lufthansa will im Juli 900 Flüge von vorne herein streichen, über den Sommer verteilt gar 2.200. Eurowings, Swiss, Ryanair, Easyjet, KLM und viele weitere Fluggesellschaften streichen ebenfalls tausende Flüge. Andere Verbindungen werden kurzfristig storniert. Als Begründung wird immer nur Personalmangel angegeben.

Personalmangel?

Wo man fragt, man hört überall, es mangle an Personal. Fehlendes Personal beim Checkin-Schalter, fehlendes Personal beim Gepäck, ebenfalls zu wenig Leute an der Sicherheitskontrolle, und Bordpersonal fehlt ebenfalls. Gerne wird dann auch der oft von Politikern ins Rennen geschickte Begriff des Fachkräftemangels verwendet. Vielleicht klingt es etwas abgehoben, aber abgesehen von Piloten, Mitarbeitern im Kontrollturm, der Verwaltung und Flugzeugtechnikern erscheint die Arbeit am und um den Flughafen nicht gerade als etwas, wofür jemand eine langjährige, hochqualifizierte und teure Spezialausbildung durchlaufen müsste. Ehrlichkeit, körperliche Fitness, Freundlichkeit und Englischkenntnisse dürften in den meisten Fällen ausreichen. Bei den starken Männer in der Gepäckabwicklung können wir sogar auf Sprachkenntnisse verzichten. Flugbegleiterinnen sollten vielleicht von ihrer Körperstatur so sein, dass sie neben einem Servierwagen noch durch den engen Flur passen. Doch ansonsten sind all das keine Jobs, für die es keine fähigen Menschen gäbe, die man anlernen könnte. Die Flugpläne werden Monate im Voraus gemacht. Es ist also bereits viele Monate zuvor bekannt, an welchen Tagen wie viele Reisende in wie viele Flugzeuge steigen werden. Genug Zeit, um nach dem Corona Kahlschlag neue Arbeitskräfte anzulernen. Die Ausbildung zur Flugbegleiterin dauert sieben Wochen. Warum wurde das nicht gemacht? Woran liegt der Mangel an Personal?

Drei mögliche Gründe und ein wahrscheinlicher Grund

Hat ein Unternehmen zu wenig Personal, kann das an mehreren Dingen liegen. Der erste, naheliegende Grund könnte sein, dass das Unternehmen schlicht zu niedrige Gehälter bietet. Gepäckhandler bekommen ungefähr 12€ pro Stunde, Luftsicherheitsassistenten um die 19€ pro Stunde, Flugbegleiterinnen um die 2.000€ im Monat Vollzeit. Zweitens könnten die Arbeitsbedingungen nicht angenehm sein, seien es unregelmäßige Arbeitszeiten, Schichtarbeit, körperlich anstrengende Arbeit, viel Stress, was in Kombination mit einem dafür nicht attraktiv erscheinenden Gehalt Bewerber abhält, oder der Arbeitsvertrag selbst bietet nur ein zeitlich begrenztes, sogenanntes prekäres Arbeitsverhältnis. Drittens könnte es am Arbeitsmarkt zu viel Konkurrenz in einer Branche geben, bei wenig gut ausgebildeten Spezialisten, dem viel zitierten Fachkräftemangel, der seinerseits wieder auf die ersten beiden Gründe zurückgeführt werden kann. Was aber, wenn es gar nicht am Gehalt, den Arbeitsbedingungen oder dem Mangel an qualifizierten Kofferträgern, Schaltermitarbeitern, Sicherheitskontrolleuren und Flugbegleitern liegt? Was, wenn das Problem die Branche selbst ist?

Die langfristige Perspektive

Menschen bevorzugen in der Regel Stabilität und eine ökonomische Sicherheit. Eine neue Arbeitsstelle wird in der Regel mit dem Ziel gewählt, dort auf absehbare Zeit, vielleicht für viele Jahre oder gar Jahrzehnte, zu bleiben. Die Einarbeitung ist anstrengend, sich an ein neues Umfeld anzupassen ist mit Ängsten verbunden, und vor allem mögen Menschen die ökonomische Sicherheit, die ihre Arbeit bietet. Sie wissen bestimmt, was ich meine. Was also, wenn jene, die Arbeit suchen oder bereit wären, eine Arbeit anzunehmen, dafür auch geeignet sind, nicht daran glauben, dass ihnen die betreffende Branche oder das jeweilige Unternehmen eine langfristige Perspektive bieten kann oder wird? Was, wenn sie erwarten, dass es spätestens im Herbst wieder Reiseeinschränkungen und damit Kurzarbeit und Entlassungen geben wird? Last in, first out. Diejenigen mit der kürzesten Betriebszugehörigkeit werden zuerst gekündigt. Hinzu kommen Auflagen wie ein Impfzwang, und auch andere Sorgen und Ängste rund um Corona, die Bewerber von der sehr kontaktintensiven Arbeit am Flughafen abschrecken.

Noch ein Grund: Die Reisebranche erwartet Einbrüche

Doch nicht nur potenzielle Arbeitnehmer haben Erwartungen an die Zukunft. Fluggesellschaften, Sicherheitsfirmen, all die Outsourcing Firmen, die unsere Reisebranche versorgen, auch sie haben Erwartungen, wie es mit ihrer Branche weitergehen könnte. Es stimmt, derzeit ist die Nachfrage hoch. Die meisten Länder der Welt haben die Beschränkungen, wer wie, wann, warum und mit welchen Dokumenten und Nachweisen reisen oder nicht reisen darf aufgehoben. Entsprechend ist die Reiselust derer zurück, die es sich noch leisten können, in den Urlaub zu fliegen. Doch wie lange wird der Boom anhalten? Die Risiken sind groß. Politische und regulatorische Risiken überwiegen derzeit. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass kurzfristig wieder unüberschaubare und willkürliche Bedingungen von Staaten, Regionen, Behörden und Organisationen das Reisen einschränken. Die hohen Teuerungsraten, hohe Treibstoffpreise und Inflationssorgen drücken auf die Prognosen. Fliegen ist deutlich teurer geworden, was die Nachfrage bremsen dürfte. Arbeitsverträge aber sind häufig längerfristig, und selbst in wenig qualifizierte Jobs muss Zeit für die Einarbeitung investiert werden. Was, wenn die Unternehmen gar nicht aktiv nach neuen Mitarbeitern suchen, weil sie der Meinung sind, dass der Boom nicht anhalten wird? Eine hohe Kostenbasis können die durch Corona hoch verschuldeten Fluggesellschaften und Flughafenbetreiber im Falle eines erneuten Reiseeinbruchs nicht stemmen. Entsprechend verhalten sie sich vorsichtig und risikoavers. Durchforsten Sie ruhig die Jobportale nach Cabin Crew Jobs, Loader und Check-In Agent, die Angebote sind überschaubar, die angebotenen Gehälter übrigens auch.

Zukunftsaussichten

Insgesamt passt alles zusammen. Die Zinskurven sind flach bis invers. Der Geschäftsklimaindex ist niedrig. Die Erwartungen vieler Branchen an die Zukunft sind mau. Das Chaos an den Flughäfen mit Warteschlangen bis auf die Straße und vielen verzweifelten Menschen ist kein Zeichen einer starken, positiv gestimmten Wirtschaft. Es ist ein Vorzeichen dafür, was eine ganze Branche nach dem Sommer erwartet. Auch hier sehen wir deutliche Zeichen für eine drohende Rezession, Inflationsrisiko, sowie Sorgen vor regulatorischen und politischen Risiken. Ein Trost für Reisende, die in den kommenden Wochen und Monaten den Unannehmlichkeiten des Reisens per Flugzeug ausgesetzt sind, ist das nicht. Einen wichtigen Hinweis in Richtung richtiger Risikopositionierung der Aktiva und Passiva dürfte das Flughafenchaos uns hingegen geben.