Fluch oder Segen, Rettung oder Untergang, digitales Zentralbankgeld wird entweder als ultimativer Segen gelobt oder als todbringender Fluch verteufelt. Doch was ist digitales, direktes Zentralbankgeld überhaupt, kann es funktionieren, wem nützt es und wem könnte es schaden?

Digitales Zentralbankgeld, direkt für Bürger und Unternehmen?

Die Welt der Münzen und Scheine haben zumindest viele westliche Länder zu guten Teilen hinter sich gelassen. Nicht ganz, denn selbst in reichen Ländern wie den USA gibt es immer noch Teile der Bevölkerung, die gänzlich vom Bankensektor ausgeschlossen sind und entsprechend weder Bankkonto noch Kreditkarten haben. Blickt man auf die Größe der Transaktionen, so läuft trotzdem beinahe alles heute digital, ohne die Verwendung von Geldscheinen oder gar Münzen ab. Digitales Geld, das nur noch als Buchgeld in Form von Bits und Bytes auf Kontobuchungen existiert, ist also nichts Besonderes. Was die Zentralbanken allerdings mit dem digitalen, direkten Zentralbankgeld meinen, ist eine direkte Verbuchung aller Transaktionen auf den Systemen der Zentralbank selbst. Das bedürfte einer Gesetzesänderung. Denn bisher dürfen Zentralbanken nicht direkt mit Unternehmen oder Bürgern kontrahieren. Sie vergeben Geld ausschließlich an große Banken, die als Primary Dealer registriert sind.

Zentralbank: Woher kommt sie, wohin geht sie?

Könige, Kaiser und Fürsten ließen früher ihr eigenes Geld prägen und in Umlauf bringen, meist hübsch verziert mit ihrem Bild und Namen. Auf britischen Münzen ist heute noch der Kopf der Queen eingeprägt. In der Regel waren die Geldstücke aus Edelmetallen hergestellt und häufig nach Gewicht gültig, und nicht selten waren auch Münzen anderer Herkunft für den Handel gebräuchlich. Die Münzen wurden vom Herrscher ausgegeben, so ähnlich wie später die jeweilige Zentralbank das machen würde. Nach und nach entwickelten sich Kaufmänner zu Bankiers, die Geldeinlagen entgegen nahmen und wiederum Geld gegen Zinsen verliehen. Daraus entstand im Laufe der Zeit das Buchgeld, das in der Geldmengenschöpfung immer bedeutender wurde. Die Rolle der Zentralbanken ging nach und nach zurück. Sie bringt zwar nach wie vor – nun über die Banken – Bargeld in Umlauf. Doch Kreditkarten, EC-Karten und Online Überweisungen verdrängen die Wichtigkeit von Bargeld nach und nach. Damit verlieren auch Zentralbanken ihre wichtigste Daseinsberechtigung, nämlich die Produktion von fälschungssicherem Bargeld.

Die Zentralbank als Instrument der Wirtschaftssteuerung

Als Zentralbanken tatsächlich noch zentral waren und Bargeld allgegenwärtig für sämtliche Zahlungsvorgänge eingesetzt wurde, konnte die Zentralbank die Wirtschaft über jenen Zins steuern, den sie von den Geschäftsbanken für die Überlassung von Bargeld verlangte. War der Zins hoch, nahmen die Geschäftsbanken weniger Geld von der Zentralbank und die Geldmenge in der Wirtschaft ging zurück und damit verlangsamte sich das Wachstum. War der Zins niedrig, konnten die Geschäftsbanken viel Geld verleihen und damit die Wirtschaft stärker wachsen lassen. Noch heute hält sich die Mär, die Zentralbank würde die Zinsen bestimmen. Doch ganz so ist es heute nicht mehr. Durch die Verdrängung des Bargelds durch Buchgeld hat sich die Geldschöpfung auf die Banken verlagert. Die Banken konnten sich untereinander problemlos finanzieren und innerhalb ihres eigenen Netzwerkes durch unbesicherte Libor und Euribor Interbanken Darlehen und den Repo Markt ganz ohne Zutun einer Zentralbank Geld schier unendlich vermehren. Zumindest bis zur Finanzkrise 2008. Damals brach dieses System zusammen, die wahren Hintergründe sind den meisten noch heute nicht bekannt. Seither verleihen Banken an andere Banken kein unbesichertes Geld mehr, und zwar weltweit. Umso wichtiger ist mittlerweile der Repo Markt geworden, der Liquidität im Bankensektor bereit stellt, wofür allerdings Anleihen guter Qualität nötig sind. Warum EZB und Fed großflächig gerade diese Anleihen aufkaufen, gleichzeitig den großen Geschäftsbanken Unsummen an Zentralbankeinlagen zur Verfügung stellen, ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Es bräuchte keine Geschäftsbanken mehr

Die Diskussion um digitales Zentralbankgeld geht heute in Richtung eines direkten Zugangs der Zentralbanken zu Unternehmen und Bürgern. Bisher beschränkt sich die Tätigkeit der Zentralbanken einzig auf die bei ihr registrierten Primary Dealer, also große Bankhäuser. Hätten Unternehmen und Verbraucher direkten Zugang zur Zentralbank, oder besser umgekehrt die Zentralbank einen direkten Zugriff auf Firmen und Menschen, bräuchte es keine Geschäftsbanken mehr. Der gesamte Zahlungsverkehr könnte über die Zentralbank abgewickelt werden. Einlagen, Kredite und Gehaltskonten könnten direkt auf den Servern der Zentralbank liegen. Der technologische Fortschritt macht das rein technisch durchaus möglich. Rechen- und Serverkapazitäten sind vorhanden, und über Algorithmen und künstliche Intelligenz könnte automatisiert über Bonität und Kreditrahmen entschieden werden. Denn genau das war bisher die zentrale Kompetenz und Existenzberechtigung von Geschäftsbanken: Die richtige Risikoeinstufung von Kreditnehmern, sowie die sichere Verwaltung von Spareinlagen. Gäbe es eine einzige, zentrale Direktbank für alle Bürger und Unternehmen, könnte man alle anderen Banken schlicht abschaffen. In wessen Interesse wäre das? Hätten die Banken nichts dagegen?

Dann hätte die Zentralbank wieder Einfluss auf die Zinskurve

Die großen Zentralbanken leiden sichtlich darunter, dass sie ihre Existenzberechtigung weitgehend verloren haben und ihr Einfluss auf Umlaufgeschwindigkeit, Geldschöpfung und die Zinskurve unbedeutend geworden ist. Es sind die Geschäftsbanken, die über Kreditvergaben entscheiden, die Höhe des Zinses für jeden Kreditnehmer, die Geldschöpfung bestimmen und über ihre Markterwartung die Zinskurve beeinflussen. Zumindest noch. Die Zentralbank versucht seit Jahren, über den Zins für Zentralbankeinlagen Konsum und Kreditvergabe anzukurbeln, doch ohne Erfolg. Über ihre gigantischen Ankaufprogramme beeinflussen sie tatsächlich derzeit auch die Zinsen am langen Ende. Wann ihnen dafür die Puste ausgeht und ihnen die explodierenden Staatsschulden wertmäßig auf den Kopf fallen, ist eine Frage, der wir in einem anderen Beitrag nachgehen. Gäbe es diese ganzen Geschäftsbanken mit ihren eigenen Kreditvergaben und Risikoeinschätzungen erst gar nicht und würden diese keine Kredite mehr vergeben (oder eben deren Vergabe ablehnen, was derzeit häufig geschieht, aus ganz rationalen und vernünftigen Überlegungen aus Sicht der Banken), dann könnte die Zentralbank selbst über Zinsen, Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit herrschen. Wünscht die Zentralbank, dass die Geldmenge steigt, erhöht sie einfach das vergebene Kreditvolumen ohne Rücksicht auf Ausfallrisiko und Bonität. Möchte sie die Umlaufgeschwindigkeit steigern, verlangt sie Negativzinsen von allen, die Guthaben auf ihren EZB Girokonten haben, damit diese schnell ausgegeben oder investiert werden. Die Zentralbank könnte auch frei nach Lust und Laune ihre eigene Zinskurve schaffen, indem sie die Kreditzinsen so legt, wie sie das gerade möchte. Mit freiem Markt, klassischer Volkswirtschaftstheorie, Risikoeinschätzung und Bonitätsbetrachtungen wie wir sie kennen hätte das freilich nichts zu tun. Die Zentralbank könnte dann übrigens auch jederzeit das aktuell vorhandene Geld für wertlos erklären, etwa nach Ablauf eines Monats, und immer wieder neues Geld erschaffen.

Werden sich die Banken nicht wehren?

Hätten die Geschäftsbanken denn hier nichts gegen ihre Abschaffung einzuwenden? Die klassischen Geschäftsbanken wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken bestimmt. Doch die großen, wirklich mächtigen Finanzhäuser dieser Welt sind in ihrem Kern Investmentbanken, deren Überleben nicht vom einfachen Einlagen- und Kreditgeschäft abhängig ist. Und genau diesen gehört zum Beispiel die U.S.-amerikanische Notenbank. Die Federal Reserve Bank gehört zwar den jeweiligen Federal Reserve Banks der einzelnen Bundesstaaten, diese aber wiederum sind im Besitz großer privater Banken und einflussreicher Stiftungen. Damit gehört die Fed keineswegs dem Staats, sondern ist Privateigentum einflussreicher Institutionen und eben großer Investmentbanken. Wie steht es um die EZB? Die EZB ist in Besitz der jeweiligen nationalen Zentralbanken, und diese sind großteils im Besitz der jeweiligen Staaten. Stellt sich die Frage, wer dann am längeren Hebel säße. Die seit Jahren häufig defizitären Landesbanken und Sparkassen, die Genossenschaftsbanken, oder der Staat, der sich deren Einlagen- und Kreditgeschäft unter den Nagel reißen könnte?

Totalüberwachung durch Big Brother EZB und Fed?

Datenschützer und Regierungskritiker bekommen Schaum vor dem Mund, wenn es um das Thema direktes, digitales Zentralbankgeld geht. Ihre Argumentation macht Sinn, schließlich ließen sich dann sämtliche Geldflüsse noch leichter kontrollieren.Hinzu käme die Möglichkeit der direkten Besteuerung über die Zentralbank und die kinderleichte Umsetzung von Negativzinsen, die Menschen und Unternehmen dazu zwingen sollte, ihre Zentralbankcoins schnell auszugeben. Außerdem gruselt es jeden vor dem chinesischen Sozialpunktesystem, das regierungstreues Verhalten belohnt und vom Staat unerwünschtes Verhalten bestraft und womöglich eine Teilhabe am neuen Geldsystem für bestimmte Personen und Unternehmen untersagt. Technisch möglich wäre das durch das digitale Zentralbankgeld allemal. Neu allerdings nicht. Unser Zahlungsverkehr wird auch heute schon staatlich überwacht, unerwünschten Personen (man denke an russische Oligarchen) werden Konten seit Jahren gesperrt, Besteuerung findet ebenfalls automatisiert über unsere Bankkonten statt, und die Entsparung durch den Nullzins und steigende Bankgebühren sind seit Jahren Realität. Bargeldzahlungen ab bereits lächerlichen Beträgen müssen den Aufsichtsbehörden gemeldet werden, und auch heute schon sind wir durch unsere Transaktionen, die zu einem großen Teil digital stattfinden, gläserne Menschen und Unternehmen.

Ineffizienzen und alternative Systeme

Was mehr Sorge bereitet als Überwachung, Datenschutz und Hürden beim Schwarzgeld sind die zwangsweise entstehenden Ineffizienzen. Eine zentrale Behörde wird selbst mithilfe von AI Unterstützung nicht effizient sein können. Korruption, Vetternwirtschaft, politische Einflussnahme und irrationale Entscheidungen sind ganz reale Gefahren, die ein Mangel an Konkurrenz bei gleichzeitig staatlicher Steuerung mit sich bringen. Die Geschichte ist voll von Beispielen. Verstaatlichte Unternehmen und Industrien waren noch nie Vorbilder für wirtschaftliches Arbeiten, gutes Management oder solides Wachstum. Eine Verstaatlichung von Banken sowie eine Unterjochung des Bankensektors durch absurde Gesetze sind auch nicht neu, man blicke derzeit auf Länder wie Venezuela und Argentinien. Doch gerade wenn es um Geld geht, werden Menschen erfinderisch. Schließlich stellt Geld als Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel und Maßeinheit eine wichtige Funktion dar. Sehen was passiert wenn das nationale Geldsystem zusammen bricht kann man immer wieder in vielen Ländern der Welt. Es entwickelt sich ein Parallelsystem, das zwar meist illegal ist, aber trotzdem floriert. Heute sind es meist noch US-Dollar Scheine, die auf den Märkten und in der Wirtschaft zirkulieren. Doch selbst wenn das US-Dollar Bargeld abgeschafft werden sollte, werden die Menschen Alternativen finden. Ob diese nun physisch oder ebenfalls virtuell sind, spielt wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle. Geht es um Geld, sind Menschen erfinderisch. Schon heute zirkulieren virtuelle Coins in riesigen Mengen. Ziemlich sicher werden auch diverse Akteure auf den Plan treten, um Alternativen zum Zentralbankkonto anzubieten. Wer trotz Negativzinsen auf dem Zentralbankkonto sparen möchte, erwirbt Anteilsscheine, Aktien, Wertpapiere, Goldmünzen, Kunstwerke, Verträge oder langlebige Vorräte und Gegenstände. Zur Not wäre ein regionaler Tauschhandel denkbar oder regionale, virtuelle Coins. Ineffizienzen, Wucher, Willkür, Asset Bubbles, Anlagebetrug, Schattenwirtschaft aber auch komplett neue Geld- und Wertesysteme sind denkbar. Einem starken und nachhaltigen Wirtschaftswachstum, an dem alle Bürger beteiligt sind, sind ineffiziente Staatssysteme bei gleichzeitigem Parallelgeld wohl nicht zuträglich.

Gedankenspiele

Bisher handelt es sich nur um Gedankenexperimente, einmal abgesehen von sehr kleinen, regionalen Versuchen in China oder auf den Bahamas. Unsere Aufgabe als Risikomanager ist es, das Unerwartete zu erwarten und mit allen Möglichkeiten zu rechnen. Nur, wer breit und offen denkt, kann vorausschauend planen. Sprechen Sie uns an, wenn Sie unsere Unterstützung und unsere Ideen für Ihr Unternehmen nutzen möchten.