Wer fürchtet sich vor Inflation? Wer die großen Wirtschaftsmedien liest, denkt jeder hat Angst vor Inflation. Nur das wann und wie hoch, darüber scheiden sich die Geister. Und wenn sie aber kommt? Dann laufen wir davon! Doch wohin? Und wann?

Erstens kommt es anders…

Die Nachrichten lesen sich, als stünde die große Hyperinflation schon mit einem Schritt in der Tür. Covid war gestern. Die nächste, große Angst ist die vor Inflation. Volkswirte, Fondsmanager, Finanzjournalisten und diverse Experten aus verschiedenen Richtungen scheinen derzeit nur eine Richtung zu kennen. Die Versuchung, sich von der scheinbar allgemein vorherrschenden Inflationspanik anstecken zu lassen, ist groß. Auf der anderen Seite habe ich in meinem Leben schon zu viele volkswirtschaftliche Veranstaltungen organisiert und besucht und weiß aus Erfahrung, dass Volkswirte die ersten Minuten ihrer Vorträge stets dafür nutzen, um zu erklären, warum ihre Vorhersagen aus dem Vorjahr doch nicht so eingetreten sind, wie sie das dachten. Selbstverständlich haben die Volkswirte dafür immer absolut solide, sehr glaubwürdige und gut nachvollziehbare, volkswirtschaftliche Erklärungen parat. An den darauf folgenden Ausführungen, was die nun kommenden Monate oder Jahre bringen werden, zweifelt von den Zuhörern trotzdem keiner. Jahr für Jahr für Jahr. Es wiederholt sich und wiederholt sich und wiederholt sich. Warum die Besucher volkswirtschaftlicher Veranstaltungen den Prognosen zu unkritisch lauschen, ob es ihnen nur um die leckeren Häppchen im Anschluss und das Networking geht, oder ob sie das System selbst nicht annähernd durchblicken, wer weiß. Auch den Volkswirten kann man keinen Vorwurf machen. Schließlich machen sie nur ihre Arbeit, und die ist wahrlich nicht einfach. Denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Die Zukunft kennt auch der klügste Volkswirt oder Zentralbanker nicht. Lassen Sie uns deshalb einfach einen Blick darauf werfen, womit wir es zu tun haben.

Was ist Inflation überhaupt und woher kommt sie?

Inflation ist der Verlust von Kaufkraft, die wiederum durch das Steigen von Preisen herbei geführt wird. Vereinfacht gesagt kommt Inflation also durch steigende Preise. Warum die Preise steigen? Weil Unternehmen die Preise für Dienstleistungen und Waren erhöhen natürlich. Doch die Gründe, warum Unternehmen das machen, sind ausgesprochen vielfältig und überaus spannend.

Grund 1: Wirtschaftswachstum

Die angenehmste Art, wie Inflation entstehen kann, ist die des Wirtschaftswachstums. In einem stabilen Klima mit guten Rahmenbedingungen blicken Unternehmen und Menschen positiv in die Zukunft, sind schöpferisch und kreativ, risikofreudig und unternehmerisch. Unternehmen entstehen, wachsen und investieren. Sie benötigen Personal, und das wiederum verstärkt die Nachfrage nach gut ausgebildeten oder einfach nur fleißigen Arbeitnehmern. Die Löhne und Gehälter steigen, mit ihnen der Wohlstand, und auch die Arbeitnehmer blicken positiv in die Zukunft. Sie investieren in ihre Lebenshaltung, in Konsum, sie gönnen sich Dinge wie Auto, Urlaub und Freizeitaktivitäten. Das schafft mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze, mehr Vermögen, mehr Steuern, mehr Sozialleistungen, mehr von allem. Die Wirtschaft wächst, und die Unternehmen können die Preise anheben, denn die Nachfrage ist robust. Volkswirte nennen diese Art der „guten“ Inflation die „Demand Pull“ Inflation, da sie durch die Nachfrage entsteht. Zumindest in einem abgeschlossenen System, wie wir es in der westlichen Welt vor allem bis in die 1980er Jahre gut beobachten konnten. Heute klappen diese Erklärungen nur noch bedingt, denn schließlich kommen jetzt auch vergleichbare Güter aus der ganzen Welt zu uns ins Land, und das drückt auf die Preismacht der Unternehmen.

Grund 2: Höhere Kosten

Der ungesunde Bruder der Demand Pull Inflation ist die Cost Push Inflation. Hier geben Unternehmen höhere Kosten an ihre Kunden weiter. Sie erhöhen die Preise nicht, weil sie es aufgrund der Nachfrage können, sondern weil sie müssen. Diese höheren Kosten der Produktion können gleich mehrere Gründe haben. Da wären – sehr aktuell – höhere Steuern und Abgaben. Deutschland etwa hat Anfang 2021 die CO2 Steuer dramatisch angehoben. Benzin, Diesel, Heizöl, Gas und Strom sind teuer wie nie zuvor. Hinzu kommen laufend steigende Abgaben für den Umstieg auf erneuerbare Energien. Höhere Energiekosten wirken inflationstreibend. Die CO2 Steuer ist ein globales Thema. In Deutschland gibt es aber noch weitere Steuererhöhungen, die derzeit preiserhöhend wirken. Kommunen erhöhen reihenweise ihre Grundsteuern. Das wirkt sich direkt auf Mieten aus. Tabaksteuer, Umsatzsteuer, Zuckersteuer, die Beispiele weltweit sind vielfältig. Durch die Pandemie steigen Krankenversicherungsbeiträge in vielen Ländern. Hinzu kommen neue Handelsbarrieren sowohl finanzieller als auch bürokratischer Natur. Globale Lieferketten brechen zusammen und verteuern den Produktionsprozess vielerorts. All das erhöht die Preise. Unternehmen versuchen über Kostensparprogramme einen Teil wieder wett zu machen. Sie entlassen Mitarbeiter. Andere Unternehmen stellen ihren Betrieb ein. Eine Spirale nach unten setzt sich in Bewegung, mit sinkender Produktivität, sinkender Nachfrage und steigenden Preisen. Das aber wirkt sich auf den Wechselkurs aus. Unser nächstes Problem.

Grund 3: Eine schwächere Währung

In einer global vernetzten Welt lohnt es sich, auf Wechselkurse zu blicken. Das ist vor allem in den Ländern wichtig, die sich zu guten Teilen in Fremdwährungen verschulden. Wie schnell das in Krise und Untergang führen kann, sieht man immer und immer wieder, zuletzt beispielsweise an Ländern wie Argentinien und Venezuela. Diese Länder verschulden sich übrigens nicht ganz freiwillig in US-Dollar oder Euro. Es bleibt ihnen meist schlicht nichts anderes übrig. Staaten machen überall auf der Welt Schulden. Über Sinn und Unsinn von Staatsschulden könnte man ganze Bücher schreiben, deshalb gehen wir darauf hier und heute nicht ein. Es genügt zu wissen, dass der heimische Finanzmarkt in den meisten Ländern nicht ausreicht, um die Staatsschulden zu finanzieren. Denn die wirklich großen, reichen Investoren sitzen in den USA und zum Teil in Europa. Diese aber wollen bei ihren Investitionen kein Wechselkursrisiko eingehen und verlangen Emissionen in US-Dollar oder Euro. Staatsanleihen sind Schulden, und auf die müssen während er Laufzeit Zinsen gezahlt und am Ende der Laufzeit die Dollar oder Euros zurück bezahlt werden. Die Einnahmen dieser Länder in Form von Steuern und Abgaben sind allerdings in der eigenen Währung. Die eigene Währung wird verkauft und Dollar oder Euro gekauft, um Zinsen und Tilgung zahlen zu können. Sinkt nun aber das Vertrauen in die Wirtschaftskraft eines Landes, gleichgültig aus welchen Gründen, drückt das auf den Wechselkurs. Denn immer mehr Investoren, inländische und ausländische, werden ihr Geld aus dem Land abziehen oder ihre Guthaben in US-Dollar, Euro, Schweizer Franken oder eine andere als stabil geltende Währung tauschen. Die Landeswährung sinkt im Wert. Das setzt eine Spirale in Gang, denn nun werden Importe teurer, die Zins- und Tilgungslast steigt, der Staat muss mehr Geld heranschaffen, um diesen Verbindlichkeiten nachzukommen, erhöht die Steuern, macht mehr Schulden, bringt mehr eigene Währung in Umlauf, die er verkauft, um damit seine Fremdwährungsverbindlichkeiten zu erfüllen, was den Wert der eigenen Währung weiter senkt, und so fort. Die Preise steigen, aber nicht aufgrund einer gesteigerten Produktivität, sondern weil es schlicht zu viel eigene Währung in Umlauf gibt, für die nicht genug Nachfrage vorhanden ist. Im schlimmsten Fall kommt es zu Hyperinflation. Für die USA, die EU oder Japan ist dieses Szenario allerdings kaum relevant, da sie in ihrer eigenen Landeswährung verschuldet sind. In Deutschland entstand die große Inflation von 1923 auch nur deshalb, weil Deutschland Reparationszahlungen in Franc, Sterling und Dollar machen musste, also gigantische Schulden in Fremdwährung hatte.

Grund 4: Mehr Geld in Umlauf

Inflation, so die gängige Meinung unter Volkswirten, ist stets ein monetäres Problem. Mehr Geld in Umlauf bei gleichbleibendem Waren- und Dienstleistungsangebot erzeugt Inflation. Diese Theorie aber entstammt einer Zeit, in der die meisten Menschen ihr karges Einkommen noch für das nackte Überleben ausgaben, und das in einem geschlossenen Wirtschaftssystem, das sehr regional war. Geld darf dabei nicht mit Vermögen gleichgesetzt werden. Nur, weil Staaten Schulden machen, ihre Anleihen an große Banken verkaufen und diese genau diese Staatspapiere an die Zentralbank weiter verkaufen, heißt nicht, dass der Geldumlauf um genau diese Summe gestiegen ist. Denn damit Geld in Umlauf ist, muss es regelmäßig die Hände wechseln. Im Fall der Staatspapiere, die auf der Bilanz der Zentralbanken landen, bleibt das Vermögen zum überwiegenden Teil auf den Bilanzen der Banken liegen. Der Staat wiederum finanziert mit dem frisch aufgenommenen Geld alles nur Erdenkliche. Viel davon landet allerdings bei Menschen und Unternehmen, die das verteilte Geld nicht zwingend sofort wieder ausgeben. Sie investieren es, legen es zur Seite oder kaufen damit verschiedene Assets. Schön zu sehen ist das an steigenden Immobilienpreisen, hohen Aktienpreisen, einer hohen M&A Aktivität mit immer kreativeren Eskapaden wie SPACs, aber eben wenig organischem Wachstum, R&D Ausgaben, Arbeitsplatzschaffung oder Konsum. Wie viel Geld wirklich in Umlauf ist, weiß niemand. Die meisten Zentralbanken haben ihre Beobachtungen zur Umlaufgeschwindigkeit schon lange eingestellt. und in einer globalen Welt, in der Geld frei und liquide quer über den Globus fegt, kann man es ihnen kaum verübeln.

Grund 5: Monopole

Inflation entsteht durch höhere Preise für Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Wenn Unternehmen frei entscheiden könnten, welchen Preis sie für die von ihnen angebotenen Dinge und Leistungen verlangen könnten, sie würden das absolut mögliche Maximum anstreben. In einer globalen Welt voll Konkurrenz ist das freilich schwierig. In monopolistischen Systemen hingegen stehen Preiserhöhungen keine Hindernisse mehr im Wege. Freilich drückt das irgendwann auf die Nachfrage, aber solange die Gewinne hoch sind, stört das kaum. Früher etwa gab es in den meisten europäischen Ländern regionale Monopole für Molkereien und Mühlen. Milchprodukte waren entsprechend teuer und ein Luxusgut, das sich normale Menschen nicht jeden Tag leisten konnten. Wie weit wir wieder in Richtung natürlicher oder künstlicher Monopole oder Oligopole kommen durch die derzeit beinahe weltweit praktizierte Pandemiepolitik mit monatelangen Zwangsschließungen kleiner Unternehmen, wird sich zeigen. Weniger Konkurrenz ist jedenfalls ein Inflationsrisiko.

Die Zukunft? Unbekannt.

Was die Zukunft bringt wissen wir nicht. Inflation nützt denen, die hohe Schulden haben, und sie schadet allen, die klassische Sparguthaben haben, in Schuldverschreibungen und Schuldscheindarlehen investiert sind, Kredite vergeben haben oder sonst wie am Fixed Income Markt exponiert sind. Aus welcher Richtung die von vielen erwartete Inflation kommen wird, darüber mag sich jeder selbst ein Bild machen. Ob es denn so kommen wird, wie vorhergesagt? Wir wissen es nicht. Was wir wissen ist, dass viele Gründe für steigende Preise durch interne und externe Schieflagen verursacht werden. Dass unser globales Finanz- und Geldsystem seit Jahren mehr und mehr in Schieflage gerät und die Dinge seit dem Ausrufen der Pandemie noch schräger laufen als zuvor, könnte zu denken geben. Frei nach dem Motto alles ist möglich, nichts ist fix.