Die vergangenen zehn Jahre waren was das Wirtschaftswachstum betrifft nicht gerade berauschend. Der DAX hingegen stieg von 7.000 Punkte auf knapp 14.000. Der S&P500 legte von 2.000 auf fast 4.000 Punkte zu, und auch der japanische Nikkei stieg von 16.000 auf etwa 30.000 Zähler. Die deutsche Wirtschaft wuchs von 2009 bis 2019 um inflationsbereinigte 21% (laut Daten der Weltbank). In den USA wuchs das Bruttoinlandsprodukt – ebenfalls inflationsbereinigt – um 25%, und Japan schaffte 13,5%, wohlgemerkt bis 2019, also noch vor dem Corona-Einbruch. Die Aktienmärkte steigen trotz schwachem Wirtschaftswachstum, massiven Zentralbankinterventionen und trotz Corona Krise weiter. Oder vielleicht gerade deshalb?

Mitten in der Strukturkrise

Wir befinden uns längst nicht mehr in einem reinen Wirtschaftszyklus, in dem Aufschwung und Abschwung einander wie hübsche, kleine Wellen zuverlässig abwechseln. Vielmehr deuten die Zeichen auf eine strukturelle Krise. Wir leben in einer Zeit steigender Lebenserwartung in der westlichen Welt, in der das Durchschnittsalter der Bevölkerung ständig anwächst. Lag das durchschnittliche Alter eines in Deutschland lebenden Menschen in den 1960er Jahren bei 36, sind wir heute bei durchschnittliche 45 Jahren. Die Verschiebung von einer großen, jungen, arbeitenden Bevölkerung hin zu einer immer größer werdenden Gruppe von Rentnern verändert die bisherigen Muster von Sparen, Veranlagung und Konsum. Je näher wir unserem eigenen Rentenalter kommen, desto mehr sparen wir für die Jahre nach dem Erwerbsleben. Der Konsum verschiebt sich in die Zukunft und verteilt sich auf mehr Jahre. Gleichzeit wird mehr gespart und weniger konsumiert, was die Wirtschaft heute entsprechend schwächt.

Gigantische Verschuldungsberge

Doch das ist nicht alles. Wir befinden uns zudem in einer bisher nie da gewesenen Phase gigantischer Verschuldung durch Staaten, Unternehmen und Privatpersonen. Gestützt durch niedrige Zinsen und politische Unterstützung hatten sich bereits vor der Corona Krise gigantische Schuldenberge aufgetürmt. Seit Ausbruch der Covid Pandemie sind laut Bloomberg noch einmal atemberaubende 19,5 Billionen USD hinzu gekommen, und die GDP/Debt Kennzahl der G7 Länder ist mittlerweile auf 140% hochgeschnellt (2005 noch bei 85%). Die Zinsen mögen zwar niedrig sein, bezahlt werden müssen sie trotzdem, und irgendwann werden diese Schulden auch fällig und müssen getilgt oder refinanziert werden. Je höher der Schuldenberg, desto höher das Zins- und Refinanzierungsrisiko. Die Zins- und Tilgungslast geht volkswirtschaftlich betrachtet zulasten des Konsums, Investitionen können nicht getätigt werden und langfristig werden wir negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum sehen. Betriebswirtschaftlich gesehen belastet eine übermäßige Verschuldung die zukünftige Entwicklung, sie erhöht das Risiko und mindert ab einem gewissen Grad das Bonitätsrating.

Steuererhöhungen drücken auf den Konsum

Die volkswirtschaftlich einleuchtende Lösung wäre, dafür zu sorgen, dass Menschen und Unternehmen ausreichend Geld für Konsum und Investitionen zur Verfügung hätten. Etwa durch niedrigere Steuern. Was wir sehen ist aber genau das Gegenteil. Weltweit werden Steuern auf CO2 entweder diskutiert oder – wie in Deutschland – schon fleißig von Privatpersonen und Unternehmen in Form deutlich höherer Preise für Treibstoff und Energie einkassiert. Die klammen Kommunen in Deutschland erhöhen reihenweise die Grundsteuer. Den deutschen gesetzlichen Krankenkassen fehlen die Beiträge der Kurzarbeiter und neu Arbeitslosen bei gleichzeitig höherem Krankenstand, und die aktuelle Lücke von 17 Milliarden Euro wird wohl nur über heftige Beitragserhöhungen geschlossen werden können. Die Löhne und Gehälter aber hinken dieser Entwicklung hinterher, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit reduzieren die Einkommen der potenziellen Konsumenten zusätzlich. Das sind keine guten Voraussetzungen für ausreichend hohe Staatseinnahmen, die Staatsschulden langfristig besichern. Kurzarbeitergeld, Fixkostenzuschüsse und Überbrückungskredite, die viele europäische Staaten derzeit als Antwort auf ihre Restriktionen an Unternehmen und Arbeitnehmer verteilen, helfen den Begünstigten zu überleben. Lust auf neue Investitionen und damit nachhaltige Wertschöpfung vermögen sie nicht zu schaffen, ganz im Gegenteil.

Die Bondblase könnte platzen

Noch sind Anleihen von Deutschland, Frankreich und den USA so stark nachgefragt, dass wir Renditen bis in den negativen Bereich sehen. Noch. Je größer die Unsicherheit, je höher die Staatsschulden anwachsen, desto instabiler wird der Bondmarkt. In Europa werden bereits Stimmen laut, die von einem Schuldenschnitt sprechen. Das sind keine vertrauensbildenden Maßnahmen für den Bondmarkt. Wer heute Anleihen mit negativer Rendite erwirbt, geht ein großes Risiko ein. Was passiert, wenn Deutschland seine erstklassige Bonität verliert, weil das Verhältnis Staatsschulden zu Produktivität nicht mehr stimmt? Bricht erst einmal Panik unter Investoren aus, wird sich selbst die EZB nicht lange gegen den Trend stemmen können. Wer hoch steigt kann tief fallen. Und wie wir bereits in einem vorherigen Beitrag erklärt haben, bestimmt nicht die Zentralbank die Zinsen der Zinsstrukturkurve, sondern der Bondmarkt.

Sichere Anlagen gestern und heute

Versicherungen, Rentenkassen und Versorgungswerke haben eine besondere, treuhänderische Pflicht gegenüber ihren Kunden. Entsprechend viel Bedacht legen die Anlagevorschriften dieser Investorengruppe auf das Thema Risiko. Über Jahrzehnte veranlagten sie den Großteil ihrer Assets in qualitativ hochwertige Anleihen und Schuldscheindarlehen, ein klein wenig in Aktien, und in besonders volatilen Zeiten einen guten Teil in Cash. Die einstmals als besonders sicher eingestuften Fixed Income Anlagen und Cash sind heute nicht mehr attraktiv. Auf hohe Bargeldbestände wird von immer mehr Banken ein Negativsatz erhoben, hinzu kommen Inflationsängste und Sorgen um einen Kollaps ganzer Währungen. Anleihen guter Bonität haben ebenfalls entweder eine negative Rendite oder einen so kleinen, positiven Ertrag, dass dieser nicht mehr im Verhältnis zum eingegangenen Zins- und Bonitätsrisiko stehen kann. Da die Duration der Liability Seite hoch ist, kaufen Versicherer und Versorgungskassen mit Vorliebe Langläufer, und diese haben bekanntlich das höchste Zinsrisiko von allen. Abgesehen davon müssen Versicherungen und Versorgungswerke auch einen gewissen Ertrag auf ihre Kapitalanlagen erwirtschaften, denn ihr Betrieb ist teuer, die Verbindlichkeiten hoch, und Neukunden lassen sich sowieso nur mit einer attraktiven Performance gewinnen. Was also bleibt? Blickt man auf den Asset Mix von Versicherungen und Versorgungswerken fällt auf, dass diese heute vermehrt auf Aktien und Unternehmensanleihen, ETFs, Alternative Investments, Direktbeteiligungen sowie Sachanlagen wie Immobilien setzen.

Unternehmen bald sicherer als Staaten?

Versicherungen und Versorgungskassen ändern ihre Anlagestrategien nicht allein aufgrund von Renditeüberlegungen. Im Zentrum ihrer Analyse steht stets das Risiko. Doch auch hier punkten Unternehmen und damit ihre Aktien und Anleihen in der heutigen Zeit durchaus gut. Aktien großer, börsegelisteter Unternehmen mit internationalem Geschäft haben häufig die Rückendeckung durch den Steuerzahlen, sollten sie in Schieflage geraten. Sollte die Krise einmal so dramatisch werden, dass die Bondmärkte abverkaufen, weil ganze Staaten ins Strudeln kommen, sind multinationale Großkonzerne ebenfalls das bessere Pferd. Geld würde aus den Bondmärkten abgezogen und auf der Suche nach einem neuen Hafen in die Kassen und Aktienkurse großer Unternehmen fließen, die durch ihre globale Verbreitung auf deutlich mehr Beinen stehen als ein einzelner Staat. Eine ganze Reihe multinationaler Giganten hat zudem eine große Marktmacht und könnte die Preise genügend anheben, um eventuell gestiegene Kosten zu decken. Auf Fundamentaldaten wird in diesem Szenario niemand mehr blicken. Möglicherweise wären Edelmetalle und Kryptowährungen noch eine weitere Gruppe an Assets, die interessant sei könnten. Letztendlich sind sie aber nicht in ausreichender Menge vorhanden, um mehr als eine Beimischung für den Billionen schweren Versicherungs- und Rentenkassenmarkt zu sein. Wie die Sache ausgehen wird, weiß im Voraus niemand. Was Aktien- und Immobilienmärkte uns allerdings schon heute zeigen ist, dass es hier nicht mehr in erster Linie auf Fundamentaldaten ankommt. Aktien großer Unternehmen sind zum neuen Safe Haven geworden.