Wie Wasser, so geht auch Geld gerne den Weg des geringsten Widerstandes. Das ist weder neu noch überraschend. Große Vermögen, zwielichtige Vorhaben, Personen und Unternehmen mit theoretisch hohen Steuerlasten, jene, die nicht gerne alles offen legen möchten, das Geld aus Korruption und sonstigen Quellen, die besser im Verborgenen bleiben, Hedgefonds, Crypto, und viele, viele andere zieht es schon immer – und das nicht ohne Grund – nach Luxemburg für schnelle und kostengünstige SPVs, Dubai für intransparente Fonds, Cayman und die Bahamas aus Steuergründen, nach Mauritius dank geringer Auflagen für Firmen aller Art, nach Malta wieder aus Steuergründen oder nach Delaware, um die wirtschaftlich Begünstigten zu verschleiern. In die Liste will sich nun offenbar auch London einreihen und zur Wunschdestination für Banken und Finanzdienstleister werden, denen die Regulierungen andernorts zu anstrengend geworden sind.

Die Edinburgh Reforms

Die Britische Regierung hat ihre Vorhaben unter dem Namen „Edinburgh Reforms“ veröffentlicht. Die Freude darüber dürfte wohl weniger in Schottlands sondern mehr in Londons Bankenvierteln groß sein. Die Liste der geplanten Reformen klingt wie ein Auszug aus einer Episode „Wünsch dir was“ für Banken. Schon in der Einleitung ist nur noch die Rede von „angemessenen“ Standards für Regulierungen und Anlegerschutz. Das zweite Schlagwort ist „dynamisch“, was sich auf Regulierungen und Produkte beziehen soll. Geplant ist, möglichst viele EU-Gesetze und Regulierungen entweder zu widerrufen oder zu „reformieren“, also wohl aufzuweichen und abzuschwächen. Ziel sei es, die Position des UKs außerhalb der EU zu nutzen, um den eigenen Finanzplatz attraktiv zu machen. Ein netter Euphemismus für regulatorische Arbitrage. Die Banken dürfte es freuen.

Als EU-Mitglied war das UK ein Mitstreiter für strenge Regulierungen

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich das UK, als es noch Mitglied der Europäischen Union war, für strenge Vorschriften und Regulierungen eingesetzt hat, die nach und nach die in Europa tätigen Banken an den Rand des regulatorischen Nervenzusammenbruchs gebracht haben. Nun also will das UK seine Position als Nicht-EU-Mitglied ausnutzen, um gerade diese regulatorischen Bürden abzuschütteln und dadurch den Finanzsektor zu stärken. Die Liste der geplanten „Reformen“ ist dabei lang und dürfte, sollte alles wie geplant umgesetzt werden, die Champagnerkorken in der City und Canary Wharf knallen lassen. Das, was die britische Regierung jetzt an regulatorischer Arbitrage vorschlägt, klingt nicht nur frech, sondern könnte auch als hinterlistig und von langer Hand geplant erscheinen. Wie auch immer es dazu kam, dass die EU sich selbst über die vergangenen 15 Jahre ein irrwitziges Kompendium regulatorischer Knebelungen für Banken, Versicherungen, Asset Manager und Finanzdienstleister auferlegt hat, das UK geht jetzt ganz andere Wege und lässt die EU damit alt und unattraktiv dastehen. Die Liste an regulatorischen Geschenken für die Finanzbranche ist lang.

Regulierungen im Finanzsektor werden großflächig aufgeweicht

Die regulatorischen Geschenke betreffen Banken, Versicherungen, Asset Manager und Finanzdienstleister gemeinsam und auf breiter Linie. Dabei soll unter anderem Solvency II reformiert, das „Ring-Fencing“ für Banken einer Reform unterzogen werden, die lästigen und umfangreichen Prospektpflichten aufgeweicht, Verbriefungen erleichtert, die PRIIPs und ELTIF abgeschafft, Short Selling erleichtert, die „belastenden“ Kundeninformationspflichten verringert werden, Eigenkapitalrücklagen bei Banken für non-performing Assets verringert, das Interbanken-Geschäft sowie das Settlement erleichtert und Investment Research Regulierungen verändert werden. Dazu kommen Vereinfachungen für Pensionskassen, Steuererleichterungen für REITs, Reformen bei den Bausparkassen und Mehrwertsteuererleichterungen für Fondsmanager. Auf der Anlegerseite haben die Edinburgh Reforms vor allem die Gebühren-Caps für Pensionsanlagen im Visier, sowie das Verbot der Provisionsberatung und den Consumer Credit Act, alles drei potenzielle Cash-Cows zulasten normaler Anleger. Das sind nur einige der Punkte, die sich London hier vorgenommen hat.

Das ESG Geschäft soll angelockt werden

Viele Details sind noch nicht bekannt, doch den lukrativen Hype rund um ESG (environmental, social and governance) will die Edinburgh Reform jedenfalls auch noch mitnehmen. Dafür soll es in 2023 eine Green Finance Strategy geben, mit der unter anderem ESG Rating Anbieter ins Rampenlicht kommen. Da passt es natürlich gut ins Spiel, dass die Europäische Kommission gerade in diesem Bereich die Zügel für den Finanzmarkt richtig fest anzieht und jede Menge neuer Vorschriften plant oder schon verabschiedet hat.

Stablecoins und Cryptoassets werden gefördert

Den vor allem in den USA aber auch in der EU immer stärker regulierten „New Technologies“ aus dem Blockchain und Cyberassets Dunstkreis möchten die Briten ebenfalls willkommen heißen. Ein großer Teil der Schlagwortfamilie der Cryptowelt ist in den Plänen verankert: Digitales Zentralbankgeld für Banken, Stablecoins als legales Zahlungsmittel, Cryptoassets als Kapitalanlage für Asset Manager, Cryptobörse und einige mehr.

Es kommt wenig überraschend

Regulatorische Arbitrage ist ein alter Trumpf, der immer wieder gezogen wird. Ob nun von langer Hand heimtückisch geplant oder schlicht das Ergebnis opportunen Ausnutzens aktueller Umstände: Eine Überraschung ist das nicht. Dass die britischen Behörden traditionell enge Bindungen zu den Londoner Finanzinstituten pflegen, ist ebenfalls nicht neu. Wir haben noch vor dem Brexit auf die Wahrscheinlichkeit der Londoner Bestrebungen zu regulatorischer Arbitrage hingewiesen. Arbitrage bedeutet übrigens, risikolosen Gewinn zu erzielen. Genau das dürfte den Briten hier gelingen, denn das Timing ihrer „Reformen“ ist gut gewählt. Die EU ist mit anderen Dingen beschäftigt, und eine starke Gegenwehr gegen die neuen Allüren aus London ist nicht zu erwarten. Für Finanzinstitute sind die Neuigkeiten jedenfalls wichtig, und wer im ständigen Konkurrenzkampf weiter vorne dabei sein möchte, tut gut daran, sich frühzeitig zu positionieren.