Anleihen gelten als sicher, Aktien als riskant. So lernt es jeder Student im Studium, wird es in der Kapitalanlage gelehrt und spiegelt es sich in allen erdenklichen Vorschriften und Regulierungen wider. Eigenkapitalvorschriften unter Basel I, Basel II und Basel III, der daraus resultierenden CRD IV oder Dodd-Frank, Solvency II und eine ganze Menge weiterer Regulierungen zur Sicherheit von Banken und Versicherungen beruhen auf dem Prinzip, dass vor allem Staatsanleihen der meisten OECD Mitgliedsländer absolut sicher und sogar risikolos sind. Versicherungen und Rentenkassen betrachten Anleihen als risikoarmes Asset, und auch viele Fondsmanager und Anlageberater empfehlen ihren Kunden Fixed Income Anlagen als Hort des Sicheren, Risikoarmen.

Kippt unsere Vorstellung der Fixed Income Welt gerade?

Sind Anleihen wirklich so sicher? Können und sollen wir Staatsanleihen tatsächlich als risikoärmstes aller Assets betrachten, zumindest von jenen Staaten, die als verantwortungsvoll und westlich gelten? Dafür ist es wichtig, sich zunächst den Unterschied zwischen Anleihen und anderen Assets wie Aktien und Immobilien in Erinnerung zu rufen, und danach die jeweiligen Risiken zu betrachten.

Laufzeitbegrenzung und Tilgung

Anleihen, Schuldscheindarlehen, Notes und Zertifikate sind Schuldtitel, die in der Regel eine begrenzte Laufzeit haben, die bereits zum Zeitpunkt der Emission feststeht. So begibt die Republik Deutschland regelmäßig 10-jährige Anleihen, deren Laufzeit nach exakt 10 Jahren mit der Tilgung endet. Einige wenige Anleihen werden mit unbestimmten Laufzeiten begeben, aber ihr Ende hängt dann entweder vom Eintritt eines bestimmten Ereignisses ab oder kann durch Kündigung beendet werden. Anleihen sind generell niemals für die Ewigkeit gedacht, sondern eben nur für eine begrenzte Zeit. Sie zählen zum Fremdkapital, es gibt also einen Gläubiger, der das Geld für die Laufzeit zur Verfügung stellt, und einen Schuldner, der dieses Geld während der vereinbarten Zeit verwenden kann, um damit Wert zu schaffen. Aktien und Immobilien hingegen werden für die Ewigkeit erworben. Sie zählen zum Eigenkapital. Das Geld gehört fortan dem Unternehmen, der Aktionär wird zum Miteigentümer. Aktien oder Immobilien gehören dem Käufer dann so lange, bis dieser entscheidet, seine Anlagen zu verkaufen. Doch selbst dann hören sie nicht auf zu existieren. Selbstverständlich ist auch bei Unternehmen und Bauwerken kaum etwas für die Unendlichkeit gedacht. Der große Unterschied ist die grundsätzliche Abwesenheit eines vorab definierten Laufzeitendes für Unternehmen oder Immobilien. Dadurch gelten diese als risikoreicher als Anleihen, denn dort wird Geld nur für eine begrenzte Zeit verliehen und nicht investiert. Was in diesem Gedankenspiel außer Acht gelassen wird: Die meisten Anleihen, die fällig werden, müssen refinanziert werden. Die Schuldnerin verfügt nicht über die Liquidität, die Anleihe aus dem eigenen Vermögen zu tilgen. Stattdessen werden neue Schulden gemacht, um die auslaufende Anleihe zu tilgen. Das betrifft Staatsanleihen genauso wie Unternehmensschuldverschreibungen. Die Sicherheit der Rückzahlung ist damit also direkt abhängig von der Refinanzierungsfähigkeit der Schuldnerin.

Liquidität als wichtige Risikokomponente

Lassen Sie uns einen genaueren Blick auf die vermeintlich sichere Anlagengruppe der Anleihen werfen. Rein wirtschaftlich gesehen sind Anleihen nichts anderes als Kredite. Ein Geldgeber leiht der Emittentin Geld für eine festgesetzte Laufzeit, und während dieser Zeit bezahlt die Schuldnerin der Gläubigerin Zinsen. Anleihen sind dabei praktischerweise als Wertpapiere gestaltet, und können so auch während der Laufzeit gehandelt werden. Das vereinfacht die Situation und bringt noch eine ganze Menge anderer Vorteile mit sich. Gerade sehr große, liquide Anleihen werden dadurch zu Geldersatz, allein aufgrund ihrer Eigenschaft, jederzeit verkäuflich zu sein. Wer große Staatsanleihen im Portfolio hat und plötzlich aus welchen Gründen auch immer dringend Geld braucht, um seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, muss sich keine Sorgen machen. Er kann die Staatsanleihen jederzeit an der Börse oder über Broker verkaufen und zu Geld machen. Das ist mit die wichtigste Idee hinter dem Gedankenkonstrukt risikoloser oder risikoarmer Anleihen. Doch was passiert, wenn der Bondmarkt zusammenbricht und plötzlich niemand mehr in unbegrenzter Menge Anleihen von Deutschland, Frankreich oder den USA kaufen möchte, zumindest nicht zu einem für den Verkäufer akzeptablen Preis?

Zinsen und Bonität: Zwei weitere Risiken

Dazu ist es wichtig, sich die beiden Grundkomponenten von Anleihen ins Gedächtnis zu rufen: Zinsrisiken und Bonitätsrisiko. Das Zinsrisiko ist schwierig genug einzuschätzen. Die reine Zinskomponente entschädigt den Gläubiger für den erwarteten Kaufkraftverlust seines Geldes während der Laufzeit. Die Inflation einzuschätzen und die Erwartung dafür vorherzusagen ist eine komplexe Angelegenheit, und je länger die Laufzeit, desto schwieriger das Unterfangen. Entsprechend korrigiert sich der Markt laufend und verändert seine Einschätzungen, was sich in der stetigen Veränderung der Zinssätze widerspiegelt. Die Unsicherheit bezüglich einer zurückkehrenden Inflation ist seit geraumer Zeit vorhanden. Einen nicht unwichtigen Anteil daran haben Staaten und die Zentralbanken, deren Schuldenstände und Bilanzen in den vergangenen Jahren kräftig angestiegen sind. Inflationsängste aber können die Zinsen für Anleihen über Nacht stark beeinflussen. Den Beginn sehen wir gerade an den Bondmärkten. Anleihen verkaufen ab, die Renditen steigen entsprechend, und die Zinskurve verschiebt sich nach oben.

Doch dann haben wir noch die Bonitätskomponente, also die Wahrscheinlichkeit, dass der Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen nicht oder nicht zur Gänze nachkommt oder nachkommen kann. Bei Staatsanleihen der meisten OECD Staaten war das bisher kaum jemals ein Thema, schon gar nicht bei Ländern wie Deutschland, Frankreich, den USA oder Japan. Wir sehen die Lage derzeit allerdings alles andere als entspannt. Die Staatsverschuldungen explodieren geradezu, seitdem Anfang 2020 die Pandemie ausgerufen wurde. Viele Länder hatten auch schon davor begonnen, riesige Staatsschuldenberge anzuhäufen und vor sich her zu schieben. Was seit der Pandemie allerdings dazu kommt: Den Staaten und Kommunen wurde und wird die Steuerbasis durch Verbote und Einschränkungen, geschlossene Grenzen, unterbundene Logistikketten und tief reichende Eingriffe in Gesellschaft, Demokratie und Unternehmertum geradezu erodiert. Kommunen, Ländern und dem Bund brechen durch die eigene Pandemiepolitik riesige Steuereinnahmen weg, ein guter Teil davon wahrscheinlich sogar dauerhaft. Was fehlende Einnahmen bei steigenden Schulden mit der Bonität machen, dazu bedarf es keines Studiums.

Der Markt könnte kippen

Wie stark das Ungleichgewicht zwischen fehlenden Staatseinnahmen und zusätzlichen Schuldenbergen werden darf, bevor die Marktteilnehmer in Panik geraten und dem Bondmarkt den Rücken kehren, ist die große Frage, die wir uns derzeit stellen. Geht die Situation genau so weiter wie bisher, und die Anzeichen sprechen aktuell dafür, wird der Bondmarkt kippen. Einige Variablen stemmen sich dagegen, darunter die Zentralbanken, die versuchen, durch riesige Ankaufprogramme die Nachfrageseite des Bondmarktes aufrecht zu erhalten und damit die Zinsen zu drücken. Gegen eine Massenpanik kann sich aber ziemlich sicher auch keine Zentralbank auf Dauer stellen. Eine weitere, nicht zu unterschätzende Komponente sind Regulierungsvorschriften, die das Halten von Staatsanleihen vorschreiben, sowie der Mangel alternativer Assets, die das Staatsanleihensegment bei Repos, Collaterals und Margins ersetzen könnten.

Die Risiken im Blick behalten

Der Staatsanleihenmarkt ist strategisch wichtig und sogar systemrelevant. Ihn als sicheres, risikoarmes oder sogar risikoloses Anlagesegment zu bezeichnen, ist unserer Meinung nach derzeit nicht mehr richtig. Die vorhandenen Zinsänderungsrisiken sind enorm. Das Bonitätsänderungsrisiko ist signifikant. Sogar das Liquiditätsrisiko ist vorhanden. Wer nun denkt, ein Kippen des Bondmarktes beträfe die anderen Märkte nicht, der irrt gewaltig. Denn alle anderen Teile des Finanzmarktes hängen vom Bondmarkt ab. Der Bondmarkt schafft über Repos, Collaterals und Margins erst die Grundlage für Liquidität und Sicherheit im Finanzsystem, dem globalen Geld- und Kapitalstrom, ist die Basis für Handel, Zahlungsverkehr und die Sicherheit des Bankensektors. Die Auswirkungen von starken Bewegungen an den Bondmärkten spüren auch alle anderen Märkte. Die Risiken des Bondmarktes sind deshalb nicht zu unterschätzen und müssen von allen Marktteilnehmern gut im Auge behalten werden.