BahlConsult GmbH: Ihre Experten für die Bewertung und Analyse von Derivaten, Swaps und komplexen FinanzproduktenDas Langlebigkeitsrisiko ist eines der am schwersten einzuschätzenden Risiken für Versicherer. Gerade in der Berechnung der Lebenserwartung gibt es viele Unsicherheitsfaktoren. Neben der Trendunsicherheit und Schwankungsrisiken kommen auch sozio-demografische Entwicklungen zum Tragen, Modellfehler, Fehler bei den verwendeten Variablen in den komplexen Berechnungsmodellen, das Risko der Riskokonzentration, Zufallsschwankungen, und vieles mehr. Da kann schon mal etwas in den Berechnungen schief gehen. Die Lebenserwartung verändert sich zudem immer wieder, und so gibt es immer wieder böse Überraschungen für die Versicherungsbranche durch falsche Annahmen und Berechnungen.

Ein Beispiel unter vielen war die Verbriefung amerikanischer Lebensversicherungen, die vor einigen Jahren auch in Europa fleissig vermarktet wurden. Die Idee selbst war gut und machte Sinn. In den USA werden hauptsächlich Risikolebensversicherungen verkauft, die nur im Fall des Ablebens des Versicherungsnehmers bezahlen. Die Laufzeit ist unbegrenzt und entsprechend hoch sind die Versicherungsprämien. Es kommt allerdings häufig vor, dass jemand seine Lebensversicherung nicht mehr weiter bezahlen kann oder möchte. Für höhere Versicherungssummen sind nämlich pro Jahr gleich mal mehrere Tausend Dollar als Prämie fällig. Aber hört der Versicherte einfach auf zu zahlen, erlischt die Versicherung, das Versicherungsunternehmen freut sich und die Prämien, die oft über Jahrzehnte gezahlt wurden, verfallen wertlos. Eine Alternative für den Versicherten sind hier die Aufkäufer von Lebensversicherungen. Sie kaufen dem Versicherten die Versicherung ab und zahlen bis zum Tod des bisher Versicherten die Prämie weiter. Stirbt dieser irgendwann, erhält der Aufkäufer die Versicherungsleistung. Der Versicherte selbst ist damit gut gestellt, denn anstatt seine Versicherung für nichts einfach aufzugeben, erhält er Geld vom Aufkäufer. Wieviel, das hängt in erster Linie von der erwarteten Lebenserwartung ab. Je länger diese noch ist, desto niedriger der Kaufpreis, und umgekehrt. Und hier lag dann auch der Haken bei den Produkten, die vor einigen Jahren verkauft wurden. Die Lebenserwartung wurde nämlich häufig viel zu kurz eingeschätzt. Durch medizinischen Fortschritt und einen gesünderen Lebensstil lebten die Versicherungsnehmer im Schnitt einfach länger als erwartet. Das wiederum machte die erwarteten Renditen zunichte, denn die Prämie musste nun länger bezahlt werden. Der Kaufpreis war somit zu hoch angesetzt gewesen. Ein Berechnungsfehler, der so manchen Anbieter und manches Produkt in den Ruin trieb.

Der Versicherungsbereich lebt mit vielen Risiken. Das ist die Natur des Geschäfts und auch die Daseinsberechtigung der Branche. Risiko ist nie vollständig berechenbar oder vorhersagbar. Immer wieder kam und kommt es deshalb auch zu Pleiten von Versicherungsunternehmen. Werden durch falsche Berechnungen die Reserven aufgefressen, kann dies schlimme Folgen haben.

Um das Risiko der Risikoabsicherer zu begrenzen, hat sich die Europäische Union deshalb auf die Solvency II Richtlinie geeinigt, die ab Januar 2016 in Kraft treten wird. Eine der wichtigsten Säulen von Solvency II ist die Anforderung an Versicherungsunternehmen, Risiken mit genügend Eigenkapital zu unterlegen. Das ist selbstverständlich teuer. Vor allem, wenn es um so hohe Risiken wie das Langlebigkeitsrisiko geht.

Solvency II gilt nur in der EU. Die Versicherungsbranche aber ist global. Und wenn es um Geld geht, wohlgemerkt um sehr viel Geld, wird so manches Unternehmen erfinderisch. Unter Solvency II heißt das Zauberwort deshalb Rückversicherung. Europäische Versicherungsunternehmen kaufen sich ihrerseits riesige Polizen bei Versicherungskonzernen aus den USA oder der Schweiz, um vor allem Langlebigkeitsrisiken abzusichern. Diese Rückversicherungsunternehmen von außerhalb der Europäischen Union unterliegen nicht den strengen Eigenkapitalvorschriften von Solvency II. Damit haben sie für viele Versicherungsrisiken auch automatisch geringere Kosten.

Die europäischen Versicherungen haben durch die Rückversicherung das entsprechende Risiko von ihren Büchern geschaffen. Die nicht-EU Versicherungskonzerne geben die Kostenersparnis, die sie durch die geringeren Eigenkapitalvorschriften haben, zum Teil an die Versicherungen in der EU weiter. Die Ersparnis rechnet sich für beide Konzerne. Insgesamt sicherer wird die Sache dadurch zwar nicht unbedingt, aber was zählt sind häufig die Kosten und die Rendite. Bei der Versicherung aus der EU findet durch die Rückversicherung zum Beispiel des gesamten Langlebigkeitsrisikoportfolios eine deutliche Entlasung der Passivseite der Solvency II Bilanz statt. Die Aktiv-Seite wird hingegen nur durch ein deutlich geringeres Rückversicherungsausfallsrisiko belastet. Insgesamt verringert sich so die Eigenkapitalanforderung und damit reduzieren sich die Kosten für das Versicherungsunternehmen erheblich.

Regulatorische Arbitrage nennt sich das Spiel. Und es zeigt ganz klar die Grenzen von Regulierung in einem globalen Markt auf. Weltweit einheitliche Standards sind eine Utopie. Es wird immer wieder Staaten geben, die von der Regulierung anderer profitieren, ob gewollt oder durch Zufall. Sich völlig abzuschotten ist ebenfalls nicht realistisch. Dem Gesetzgeber und Regulator bleibt meist nur, durch immer neue Regeln den Arbitrageuren immer wieder Wege abzuschneiden oder zu erschweren. Es ist ein ständiges Katz und Maus Spiel das zunehmend schneller wird. Entsprechend verwirrend und mit ständigen Änderungen versehen ist der Regulierungsdschungel mittlerweile. Die Beratungsbranche freut das. Der Rest von uns ist mit der anwachsenden Menge an Vorschriften oft überfordert.