Sie dachten Hedge Funds beschäftigen sich nur mit Long-Short oder Smart Beta? Dann sind Sie bisher nur von Mainstream Funds angesprochen worden. Eine etwas ausgefallene aber scheinbar ausgesprochen lukrative, wenn auch moralisch nicht ganz einwandfreie Hedge Fund Strategie ist jene der Litigation Finance, die nun langsam auch in Europa ankommt.
Wie der Name bereits vermuten lässt, handelt es sich um eine amerikanische Entwicklung, die in Europa erst langsam im Entstehen ist. Denn für Litigation Finance bedarf es einiger spezieller Voraussetzungen, allem voran schwindelerregend hoher, gerichtlicher Vergleichssummen. Diese gibt es typischerweise in den USA, wo es nicht unüblich ist, dass sich viele Kläger gemeinsam zu Massenklagen gegen große Unternehmen zusammenschließen, um am Ende möglichst einen hohen Schadensersatzanspruch oder eine Vergleichszahlung zu erreichen.
Das US-amerikanische Rechtssystem ist für Europäer oft verwirrend und schwer verständlich. Massenklagen, Vergleiche mit gigantischen Geldzahlungen, Klagen mit für Europäer irrwitzigen Begründungen, dazu gewählte und politisch beeinflusste Richter. Tatsächlich enden aber in den USA etwa 95% aller Gerichtsverfahren in Vergleichen und sogenannten „Plea Deals“, also vorab ausverhandelten Urteilen. Die meisten großen Massenklagen gegen große Unternehmen, bei denen die Ansprüche von oft tausenden bis zehntausenden Menschen gebündelt werden, enden in Vergleichen. Teilweise werden hier astronomisch hohe Zahlungen vereinbart, um eine Verurteilung zu vermeiden und die Sache für das Unternehmen ohne ein Schuldeingeständnis und den rechtlichen Konsequenzen daraus vom Tisch zu schaffen.
Daraus hat sich in den USA eine eigene Industrie entwickelt, in deren lukrativer Welt mittlerweile auch einige spezialisierte Hedge Funds mitspielen. Die Strategie nennt sich Litigation Finance. Dabei finanzieren die Hedge Funds den zunächst teuren Ankauf von Massenklagen. Die potenziellen Kläger werden dabei zunächst von darauf spezialisierten Anwaltskanzleien über die Arbeit von Call Centern aber auch Zeitungs- und Fernsehinseraten rekrutiert und gesammelt. Sind genug Kläger zusammen gekommen, werden diese gebündelt und an nochmals spezialisiertere Kanzleien weiterverkauft. Dabei kann jede einzelne Klage je nach Fall durchaus mehrere tausend Dollar erlösen. Die Aufkäufer von Sammelklägern wiederum werden ihrerseits von Hedge Funds finanziert.
Eine andere Variante, die womöglich noch lukrativer ist, ist Litigation Finance von Unternehmen zu Unternehmen. Patentklagen, aber auch andere Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen sind in den USA keine Seltenheit, und auch hier finanzieren Hedge Funds die oft ungeheuer teuren Klagen vor. Denn gerade in Unternehmensklagen werden häufig nur die renommiertesten Anwaltskanzleien beschäftigt, und diese kosten nunmal sehr viel Geld.
Je nach Ausgestaltung der Finanzierung erhält der Hedge Fund entweder eine sehr hohe Verzinsung – 15% bis 20% sind keine Seltenheit – von den Aufkäufern oder Unternehmen, oder der Fonds beteiligt sich mit einem fixen Prozentsatz an den Vergleichzahlungen, die irgendwann fließen sollten.
Die Gewinnspannen können bei Litigation Finance enorm sein, sowohl für die Aufkäufer der Klagen als auch ihre Hedge Fund Financiers. Den Aufkaufszahlungen von einigen hundert bis mehreren tausend Dollar stehen bei einem erfolgreichen Abschluss der Settlement Verhandlungen durchaus Erlöse für die Rechtsberatung und sonstige den Aufkäufern zustehende Anteile von mehreren zehntausend Dollar pro Kläger entgegen. Im Corporate Bereich liegen die Margen ebenfalls sehr hoch und der Aufwand ist hier sogar meist geringer.
Das Geschäft mit den Klägern und der gängige Weiterverkauf ihrer Ansprüche von Kanzlei zu Kanzlei ist selbst in den USA nicht unumstritten. Der Corporate Bereich, also die Klagen zwischen Unternehmen, ist zwar in der amerikanischen Öffentlichkeit weniger kontroversiell, birgt aber durchaus – so sagen Kritiker – das Risiko, dass mehr Klagen als bisher eingebracht werden, da das finanzielle Risiko für Unternehmen wegfällt. So könnte nun auch dann geklagt werden, wenn man sich ohne Litigation Finance dagegen entschieden hätte.
Viele der Hedge Funds, die als Financiers in diesem einträglichen Geschäft mitmischen, halten sich meist bedeckt. Der Zustrom von Investorengeld scheint aber ungebrochen. Einige der Spezialfonds wie etwa Gerchen Keller, Burford Capital, Parabellum Capital oder Juridica Capital Management haben bereits mehrere Fonds aufgelegt und verwalten mehrere Milliarden Dollar. Die Fonds sind in der Regel wie Private Equity Funds strukturiert und nur für große institutionelle Investoren und Family Offices zugänglich. Die Renditen der Fonds liegen attraktiv hoch im zweistelligen Bereich nach Kosten.
Abhängig ist die Rendite aber immer auch von der guten Auswahl der Rechtsstreitigkeiten. Es kann auch teuer und verlustreich werden, wenn ein Fonds auf das falsche Pferd setzt, wie etwa der derzeit größte Anbieter Burford Capital erfahren musste, als ein Fall von Erdölverschmutzung in Ecuador gegen Chevron 2014 in einem Disaster für die Anklage endete. Burford konnte seine Investition über 4 Mio USD damals an einen Investor weiterverkaufen und sich und seine Fondsinvestoren schadlos halten. Das Risiko bei Litigation Finance wurde mit diesem großen Investment allerdings offensichtlich, denn der Ausgang von Gerichtsprozessen gleicht einer Binärfunktion, deren Ausgang zu Beginn großer Ungewissheit unterliegt.
In Europa steckt Litigation Finance noch in den Kinderschuhen und konzentriert sich statt auf Massenklagen auf die Finanzierung von Klagen zwischen Unternehmen. Im Oktober 2015 hat Burford, einer der größten Litigation Finance Hedge Funds, die Gründung eines Joint Ventures mit der Anwaltskanzlei Hausfeld in Berlin bekannt gegeben. Hier sollen ab 2016 zunächst mit 30 Millionen Euro Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen mit Schwerpunkt Wettbewerbsrecht vorfinanziert werden.
Als Argument für Investoren führen viele der Manager übrigens an, dass es sich bei Litigation Finance um eine nicht mit anderen Assetmärkten korrelierte Anlage handelt. Damit haben sie sicherlich recht. Wie es um Ethik und Moral steht, darüber muss sich am Ende jeder Investor selbst Gedanken machen.