Geheime, nicht überprüfbare Ratings. Denken Sie gibt es nicht, und würden keinen Sinn machen? Das dachten wir auch. Doch dann stießen wir auf ein ESG-gelinktes Schuldscheindarlehen, dessen Kuponentwicklung direkt an das ESG-Rating der Rating-Agentur EcoVadis gebunden ist. Wir wollten eine DueDiligence dazu machen, und es interessierte uns, wie man die enthaltene Digital-Option – einen Call und einen Put – bewerten könnte. Der Haken: Wir konnten das angegebene Rating nicht verifizieren. Es gab weder eine öffentlich einsehbare Information zum Rating selbst, geschweige denn zur Historie (Stichwort Rating Momentum Investment Strategie) oder gar einer Benchmark. Ohne Benchmark oder einem Vergleich, wie ähnliche Unternehmen oder die Branche von genau dieser Ratingagentur bewertet werden, ist ein einzelnes Rating wenig aussagekräftig. Für die Bewertung der enthaltenen Option wären zudem historische Daten oder Vergleichswerte interessant gewesen.

Recherchen gestalten sich schwierig

Da wir auf der bunten aber trotzdem wenig aussagekräftigen Webseite von EcoVadis nicht fündig wurden, kontaktierten wir das Unternehmen. Das gestaltete sich nicht gerade einfach. Denn im Kontaktformular muss man zuerst angeben, welcher Kundengruppe man angehört. Zur Auswahl stehen 1) Unternehmen, das seine Lieferanten raten lassen möchte 2) Ich möchte EcoVadis zu einer Ausschreibung einladen 3) Ich bin an einer Partnerschaft interessiert 4) Presse 5) Ich möchte meine eigene Firma raten lassen 6) Ich bin bereits Kunde. Nun, das traf offensichtlich alles nicht auf uns zu. Wir wählten also eine der Möglichkeiten nach dem Zufallsprinzip und erhielten keine Antwort. Einige Wochen später versuchten wir es zum zweiten Mal. Wir formulierten unsere Anfrage ziemlich detailiert und wollten wissen, wie wir ESG Ratings von EcoVadis, die wir von Firmen mitgeteilt bekommen, überprüfen können, ob EcoVadis eine Liste mit den ESG Ratings der von ihnen gerateten Firmen veröffentlicht, wie man diese vergleichen könnte, und ob es eine Benchmark gibt beziehungsweise wie hoch das durchschnittliche Rating ist, das EcoVadis vergibt. Wir erkundigten uns auch nach dem Ratings Prozess und den Kriterien. Zunächst kam wieder keine Antwort. Doch dann, ganze 16 Tage später, erhielten wir die freundliche und kurze Antwort: „Vielen Dank für Ihre Kommentare und Fragen. Als Teil unserer Terms und Conditions veröffentlichen wir aus Vertraulichkeits- und Sicherheitsgründen keine Unternehmensergebnisse. Für mehr Informationen zum Prozess und unserer Methode sehen Sie bitte auf der Webseite nach.“ Aus Sicherheitsgründen???

Warum kaufen Investoren Produkte, die an geheime Ratings gekoppelt sind?

Es verstößt gegen kein Gesetz, wenn Ratings gemacht und dann geheim gehalten werden. Was aber schon nachdenklich stimmt ist, wenn Kapitalmarktprodukte begeben und an Investoren verkauft werden, die sich auf genau diese geheimen Ratings beziehen und deren Auszahlung sogar direkt davon abhängt. Die Nachfrage nach ESG-gelinkten, grünen und nachhaltigen Investitionen ist mittlerweile sehr hoch, und immer mehr Portfolien und ganze Versicherungsunternehmen und Rentenkassen schreiben sich auf die Fahne, nachhaltig zu investieren. Dass ich als Begünstigter oder interessierter Investor das entsprechende Rating nicht nachprüfen kann, es auch nicht vergleichen oder eine Historie ansehen darf, ist beunruhigend. Wäre ich Asset Manager mit treuhändischer Verantwortung („fiduciary duty“) könnte ich das persönlich nicht verantworten.

Due Diligence wird zu oberflächlich gehandhabt

Zugegeben, der ganze Bereich ESG, grüne Investments, Nachhaltigkeit, Impact Investing und Exoten wie Gender Lens Finance sind relativ neu und noch nicht überall in Gänze etabliert. Trotzdem: Gerade als institutioneller Investor habe ich allein schon eine moralische Pflicht zur ordentlichen Due Diligence meiner Kapitalanlagen. Dazu gehören allem voran auf jeden Fall Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Überprüfbarkeit und Dokumentierbarkeit. Schließlich verwalten institutionelle Investoren fremde Gelder und haben entsprechende Treuhänderpflichten zu erfüllen. Für ESG Investitionen gibt es leider noch keine zwingende Due Diligence Pflicht des Investors, wie wir sie aus der Verbriefungsverordnung kennen.

Zu viele ESG Rating Unternehmen auf dem Markt

Für Bonitätsratings von Unternehmen, Staaten und Produkten haben sich die „Big Three“ etabliert: Moody’s, Fitch und S&P. Das bringt zugegeben eigene Fragen mit sich, aber immerhin ist sich der Markt einig: Die Ratings der „Drei“ sind vergleichbar, transparent, überprüfbar und nachvollziehbar. Bonitätsratingagenturen sind zudem heute streng reguliert und unterliegen einer Aufsicht. Im ESG-Rating-Markt hingegen herrscht (noch) ziemlicher Wildwuchs. Im Grunde kann sich jeder der möchte ESG-Rating-Agentur nennen und eigene Ratings vergeben. Die Anzahl der Unternehmen, die sich hier tummelt, ist groß. Die etablierten „Big Three“ sind hier ebenfalls am Start, aber auch jede Menge Neuankömmlinge. Vergleichbar ist dabei wenig bis gar nichts, jeder arbeitet nach anderen Methoden, Prozessen, Daten und Gewichtungen. Und transparent, nachvollziehbar und überprüfbar sind ebenfalls nicht alle. Die Bandbreite ist groß. Es gibt durch und durch transparente Ratingagenturen im ESG-Bereich, und dann wiederum solche wie EcoVadis, wo das Rating eine geheime BlackBox ist.

Issuer Pays Bezahlmodell zusätzlich problematisch

Nicht nur hier sondern generell ist das gängige Rating-Agentur-Bezahl-Modell problematisch. Denn bezahlt werden Rating-Agenturen von den Unternehmen, die geratet werden. Man nennt das auch das „Issuer Pays“ Modell. Das schafft seit jeher Interessenkonflikte. Die mittlerweile sehr strenge Regulierung der Bonitäts-Rating-Agenturen ist auf Skandale wie die DotCom Bubble in 2000 und die SubPrime Bubble 2008 zurückzuführen. Unternehmen und Emissionen wurden zu häufig zu gut geratet. Ratings wurden damals schlicht erkauft. Wie das in einem Markt ist, in dem die Konkurrenz groß und die Regulierung so gut wie nicht vorhanden ist, wie wir das aktuell im ESG-Ratings-Markt finden, mag jeder für sich selbst überlegen.

An Regulierung führt kein Weg vorbei

Ein guter Finanzplatz braucht Transparenz, Stabilität und Sicherheit. Dazu gehört auch Rechtssicherheit. Dass neue Trends wie jetzt ESG einen gemeinsamen Rahmen benötigen, ist in Brüssel schon lange ein Thema. Begonnen wird mit dem Bereich Umwelt- und Klimaschutz, der durch die kommende EU Taxonomie Verordnung reguliert, geregelt und auf einheitlich hohe Standards gestellt wird.

Asset Manager in der Verantwortung

Dass neben einer strengeren Regulierung des ESG Wildwuchses auch Eigenverantwortung der Asset Manager gefragt ist, versteht sich von selbst. Etikettenschwindel ist kein spezielles Phänomen des Finanzmarktes, sondern tritt überall dort auf, wo Geld zu verdienen ist, niemand genau genug hinschaut und der Markt entweder zu wenig reguliert oder zu lasch beaufsichtigt wird. Gerade unter hoch qualifizierten institutionellen Investoren sollten wir an uns selbst höhere Ansprüche stellen und nicht jedem Etikett blind vertrauen. Das sind wir den ernst gemeinten und wirklich nachhaltigen Investments, Projekten und Unternehmen schuldig. Den Begünstigten der Portfolien sowieso.