In etwas mehr als einem Jahr, Ende 2021, wird das Ende der Libor-Sätze gekommen sein. Zumindest, wenn es nach den Aufsichtsbehörden im UK und den USA geht. Im Fixed Income Markt ist ein Jahr ein Wimpernschlag, nicht viel mehr. Doch noch immer scheinen die meisten Marktteilnehmer die neuen RFRs (Risk Free Rates) wie SOFR, SONIA, SARON, TONA, €STR und AONIA nicht sonderlich lieb gewonnen zu haben. Das zumindest zeigt die aktuelle Statistik der ISDA (International Swaps and Derivatives Association), die Daten für die ersten drei Quartale 2020 zusammen getragen hat.

Endlich eine Übersicht in DV01, nicht nur Nominalbeträgen

Die Datensammlung der ISDA überrascht uns zumindest in einem Punkt ausgesprochen positiv: Sie verwendet endlich ein Risikomaß anstelle der leidigen, nichts aussagenden Nominalbeträge, die man sonst in allen Zinsderivate-Statistiken findet. DV01 ist eine gängige und durchaus brauchbare Messgröße für das vorhandene Risiko einer Zinsswap-Position, die auch von Händlern standardmäßig verwendet wird. DV01 sagt uns, um wie viel sich der Barwert eines Swaps verändert, wenn die Zinskurve um einen Basispunkt (0,01%) parallel verschoben wird. DV01 steht dabei abgekürzt für „Dollar Value of a basis point“, ist aber natürlich auch für Zinsswaps mit einem Nominal in anderen Währungen verwendbar.

Libor gegen RFRs unterschiedlich gemessen

Laut den gesammelten Daten der ISDA betrug das DV01 an Neugeschäften während der ersten drei Quartale 2020 über alle Referenzsätze hinweg insgesamt 280 Milliarden US-Dollar. Auf die RFRs entfielen davon 18,9 Milliarden USD-Dollar, was einem Anteil von 6,75% entspricht. Das ist nicht gerade viel, angesichts der Tatsache, dass wir uns möglicherweise in einem guten Jahr vom Libor verabschieden müssen und für alle Neugeschäfte, die länger als bis 2021 laufen, Fall-Back-Klauseln und sonstige Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen müssen. Die ISDA misst übrigens trotzdem noch immer zusätzlich die Nominalbeträge, die zwar wie bereits erklärt wenig Aussagekraft besitzen, an die viele Entscheider aber leider gewöhnt sind. In Nominalbeträgen betrachtet wurden laut ISDA in den ersten drei Quartalen insgesamt 190 Billionen US-Dollar gehandelt, wovon 7,8% oder 14,8 Billionen auf RFRs entfielen. Die ISDA verrät uns sogar die Anzahl der Geschäfte: Neugeschäfte in Zinsderivaten insgesamt in USD, GBP, EUR, CHF und JPY gab es in den ersten drei Quartalen 2020 immerhin 1.252.203 bekannte Geschäfte, wovon lächerliche 23.795 Geschäfte (das entspricht 1,9%) in RFRs abgeschlossen wurden. Die hohe Diskrepanz zwischen 1,9% Anteil an der Anzahl der Neugeschäfte und 7,8% Anteil am Nominalbetrag lässt sich mit der tendenziell deutlich geringeren Laufzeit von RFR-Geschäften erklären, die ihrerseits zwar höhere Nominalbeträge haben, aber gleichzeitig weniger DV01 und auch in geringerer Zahl meist für Macro-Hedges für Bankbücher abgeschlossen werden. „Normale“ Zinsswaps hingegen werden häufig als 1:1 Absicherungen für reale Grundgeschäfte wie Kredite verwendet.

Dramatischer Neugeschäfts-Einbruch im Vergleich zum Vorjahr

Was noch auffällt: Der gesamte Markt für Zinsderivate ist im Vergleich zum Jahr 2019 dramatisch eingebrochen. Ein Zeichen, wie dramatisch das Grundgeschäft unter der Corona Krise leidet. In DV01 ausgedrückt sank das Volumen des Neugeschäfts laut der ISDA Studie von 322,4 Milliarden US-Dollar in 2019 auf jetzt nur noch 280 Milliarden US-Dollar in 2020.

RFR-Anteil wächst, aber zu langsam

Betrachten wir die Wachstumsraten vor allem in SOFR und SONIA Produkten, so sind diese durchaus vorhanden. Insgesamt stieg ihr Anteil im dritten Quartal 2020 auf immerhin 7,7%, verglichen mit 4% im dritten Quartal 2019. Auch wenn sich der Anteil annähernd verdoppelt hat, so ist das Wachstum trotzdem bei Weitem nicht hoch genug, um Libor-Geschäfte rechtzeitig abzulösen. Offensichtlich können die meisten Marktteilnehmer mit den RFRs nicht sonderlich viel anfangen. Möglicherweise haben sie derzeit auch ganz andere Probleme, die wichtiger sind als der Umstieg auf ziemlich unbrauchbare Overnight Rates.

Markt und FCA auf gefährlichem Konfrontationskurs

Die Lage bleibt jedenfalls spannend. Marktteilnehmer und FCA steuern mit Vollgas aufeinander zu. Die Frage ist, wer als erster ausweicht. Dass der Finanzmarkt in seiner derzeitigen Lage absolut keinen Libor-gegen-die-Wand-Crash verträgt, dürfte hoffentlich auch der FCA klar sein. Den Ernst der Lage sollten sich übrigens auch alle Akteure in Euroland klar machen, denn selbst wenn unser Euribor weiterhin existieren wird, sind die Libor-Sätze überlebensnotwendige Arterien, die das globale Finanzsystem bewegen.