Der Economist berichtet in seiner Ausgabe vom 20. April über die Derivate Exposure mehrerer internationaler Unternehmen. Dabei misst der Journalist das Risiko anhand der Nominalbeträge! Demnach hat BP 8 Mrd USD und Berkshire Hathaway gar 37 Mrd USD an Nominal an offenen Derivatepositionen. Dem Journalisten erscheint das unverschämt riskant.
Diese Zahlen für sich sagen aber nunmal absolut nichts über das Risiko und damit die tatsächliche Derivate Exposure aus! Bei Derivaten den Nominalbetrag als Messgröße heranzuziehen, ist genau so, als wolle man den Wert eines Aktienportfolios allein an der Stückzahl der enthaltenen Aktien messen. Ein Portfolio mit 10.000 Stück Aktien könnte ein Vermögen wert sein, oder eben auch nichts. Das leuchtet jedem ein.
Mit diesem Unverständnis ist der Economist aber nicht allein. Selbst ich wurde schon von Bankern gefragt, wie es denn sein könnte, dass jemand ein um Vielfaches größeres Derivate Volumen hätte als seine Bilanzsumme. Das klinge doch sehr gefährlich!
Vor allem bei Swaps, die in Bank- und Unternehmensbilanzen häufig zu finden sind, hat der Nominalbetrag allein keinerlei Aussagekraft! Schließlich geht es bei Swaps um die Zinsen, die ausgetauscht werden. Wichtig sind deshalb Risikokennzahlen sowie der aktuelle Barwert.
Hier ein Beispiel: Mit die größten und gleichzeitig unbedeutendsten Derivate Trades, die ich in meiner Laufbahn gehandelt habe, waren Eonia Swaps über oft 10 Milliarden Euro Nominalbetrag mit einer Laufzeit von ein, zwei oder drei Tagen. Risikomäßig ein Nichts, denn die Zinsdifferenz, die hier ausgetauscht wurde, war schon allein durch die Laufzeit entsprechend gering. Der Barwert dieser Swaps war deshalb nur wenige Tausend Euro wert. Hingegen konnten lang laufende Zinsswaps mit 25 oder 30 Jahren Restlaufzeit, deren Nominalbetrag zum Beispiel 10 Millionen Euro war, nach einiger Zeit einen Barwert von mehreren Millionen Euro aufweisen. Bei Swaps mit langen Laufzeiten können sich die Zinsdifferenzen der beiden Seiten sehr schnell summieren, auch wenn der Nominalbetrag nicht unbedingt sehr hoch ist. Noch schneller kann es gehen, wenn wir uns strukturierte oder sogenannte exotische Swaps ansehen, die möglicherweise noch einen Hebel und Optionskomponenten enthalten. Der Nominalbetrag ist zwar wichtig, aber für sich allein hat er wenig Aussagekraft über das Risiko und den Wert der Position!
Der Wert eines Derivats hängt von vielen Dingen ab, der Nominalbetrag ist hier eben nur eine Variable unter vielen. Die Laufzeit, die Strikes der eventuell noch enthaltenen Optionen, Caps und Floors, die Zinssätze der Swaps, die Schwankungsbreite (Volatilität) des Referenzwertes sind neben anderen Ausgestaltungsmerkmalen des Derivats weitere, wichtige Variablen.
Doch was sind die wichtigsten Risiken eines Swaps? Worauf sollte man hier stattdessen achten? Wenn wir uns einen einfachen Zinsswap ansehen (eines der häufigsten Derivate im Markt), so geht es einerseits um die möglichen Marktbewegungen, und wie sich diese auf den Wert des Swaps auswirken, sowie um das Risiko, dass der Geschäftspartner ausfällt (das Counterparty Risiko). Heutzutage sind die meisten Swaps mit Collateral besichert, was einerseits das Counterparty Risiko minimiert, andererseits aber auch die Bilanz desjenigen, der im Geschäft hinten liegt, belastet.
Das Risiko von Marktveränderungen wird mit sogenannten „Greeks“ gemessen. Am wichtigsten sind Delta und Vega. Das Delta gibt an, um wieviel sich mein Swap im Wert verändert, wenn sich der Referenzzins (z.B. der Bund oder Bobl Futures Kontrakt) verändert. Das Vega wiederum ist eine Messzahl für die Volatilität.
Bei einem Geschäft, das zum Beispiel nur zwei Tage läuft, ist das Risko, dass sich der Markt enorm bewegt, zwar vorhanden, aber sehr gering. Entsprechend wenig Delta und damit Risiko hat ein solcher Zinsswap also. Auch der Barwert wird unter normalen Umständen sehr gering sein und sich kaum bewegen.
Ganz anders verhält es sich, wenn wir einen Swap abschließen, der 30 Jahre lang laufen soll. Hier kann alles passieren. Niemand weiß, was in 30 Jahren sein wird, und desto länger ein Geschäft schon läuft, desto weiter kann sich auch der Markt bewegt haben. Lang laufende Zinsswaps, die vor mehreren Jahren abgeschlossen wurden, hatten damals auf der fixen Seite durchaus Zinssätze um die 4%. Zum Vergleich: Heute liegt der 10-Jahres-Swap Satz bei 0,55% und der 30-Jahres-Swap Satz bei 0,90%. Ein Vanilla Swap mit 4% auf der fixen Seite hat heute einen entsprechend hohen Barwert. Derjenige allerdings, der die fixen Zinsen zahlen muss, liegt auf solchen Swaps heute weit hinten, und je länger die Restlaufzeit, desto höher ist der aktuelle Rückstand und damit die Höhe der Sicherheiten, die hinterlegt werden müssen. Das Delta bei diesem Swap ist aufgrund der Restlaufzeit ebenfalls hoch.
Wichtig sind also bei Swaps nicht die Nominalbeträge, sondern der aktuelle Barwert sowie die Risikokennzahlen, die messen, wie sich das Portfolio bei Marktbewegungen verändert!