Am Erfolg börsengelisteter Unternehmen kann theoretisch jeder Investor teilhaben. Ob Kleinanleger oder großer Pensionsfonds, ob Versicherung oder Aktiensparplan für Enkelkinder oder die eigene Zukunft, jeder kann eine oder mehrere Aktien kaufen und damit am wirtschaftlichen Erfolg mit partizipieren. Aktionäre sind Miteigentümer. Die Öffnung der Eigentümerstruktur riesiger Unternehmen und Konglomerate für die allgemeine Bevölkerung ist damit eine beinahe revolutionäre Sache.

Junge Unternehmen mögen keine Börsenlistings

Der Trend unter jungen Unternehmen geht allerdings in eine andere Richtung. Für sie ist ein Börsenlisting nicht mehr das ultimative Ziel. Noch vor zwanzig Jahren war das anders. Sobald ein Unternehmen auf halbwegs sicheren Beinen stand, wurden Anteile an der Börse verkauft. Im Schnitt waren Unternehmen zu dem Zeitpunkt vier bis fünf Jahre alt.

Heute ist das anders. Wenn Unternehmen überhaupt an die Börse gehen, so bestehen sie bereits seit mindestens zehn bis fünfzehn Jahren. Zudem sind sie größer und nehmen mit einem Schlag deutlich mehr Kapital auf als IPO Kandidaten in den 1990ern. Das hat mehrere Gründe.

Wachstum braucht Geld. Immer noch.

Möchte ein Unternehmen wachsen, braucht es Kapital, und häufig nicht zu knapp. Wie viel Geld, das hängt selbstverständlich von der Art des Unternehmens und der Industrie ab, in der es tätig ist. Ein Stahlwerk oder eine chemische Fabrik benötigen wahrscheinlich mehr Geld als ein reines IT-Startup, das eine App und Online-Plattformen entwickelt. Doch auch kapitalschonende, virtuelle Unternehmensideen brauchen ein gewisses Kapital, um global bekannt zu werden. Nur selten bringen die Unternehmensgründer selbst das gesamte Kapital mit. Ab einer gewissen Wachstumsstufe werden externe Geldgeber nötig. Bankkredite sind eine Möglichkeit, doch auch der klassische Kapitalmarkt mit der Möglichkeit eines Börsengangs kann für Unternehmen attraktiv sein. Schließlich sind Bankkredite nur vorübergehendes Fremdkapital, auf das Zinsen bezahlt werden muss und am Ende der Laufzeit noch die Tilgung. Eine Aktienemission hingegen beschert dauerhaftes Eigenkapital.

Börsengänge sind kompliziert geworden

Anlegerschutz ist sehr wichtig. Das steht außer Frage. Zu viele schwarze Schafe haben Anlegern in der Vergangenheit Geld aus der Tasche gezogen. Es ist wichtig, dass für jeden Börsengang mit öffentlichem Angebot heute ein sehr umfangreicher Emissionsprospekt verfasst werden muss. Darin muss alles aufgeschrieben sein, das die Kaufentscheidung beeinflussen könnte, vom Geschäftsmodell über die bisherigen Zahlen, die verantwortlichen Personen, alle nur denkbaren Risiken und so weiter und so fort. Das zieht sich über hunderte von Seiten. Doch damit ist es nicht getan. Auch während des Börsenlistings selbst muss sich das Unternehmen an gesetzliche Publizitätspflichten halten. Unternehmenszahlen, Gewinnwarnungen, Eigenhandel durch das Management, alles muss nach einem festgelegten Prozedere über die Börse so veröffentlicht werden, dass alle Anleger auf neue, kursrelevante Informationen zur selben Zeit zugreifen können. Aus Anlegersicht wunderbar. Für das Unternehmen teuer, mühsam und mit Risiken verbunden. Man denke nur an Elon Musk, dem eine unbedachte Twitter-Meldung zu einer unbedachten Idee, „sein“ Unternehmen von der Börse zu nehmen, mittlerweile ein langwieriges, juristisches Nachspiel beschert hat. Inklusive hoher Kosten und Strafzahlungen. Solche Geschichten schrecken junge Unternehmen ab.

Geld ist auch ohne die Börse reichlich da!

Wer für sein Unternehmen aktuell Kapital benötigt, hat es nicht sonderlich schwer. Die Zentralbanken der U.S.A. und des Euroraums haben dafür gesorgt, dass seit der Finanzmarktkrise gigantische Summen an Geld neu in Umlauf gekommen sind. Sie haben über ihre Quantitative Easing Programme eine riesige Geldschwemme geschaffen. Das hat die Zinsen in den Keller fallen lassen und damit auch die Kosten für Fremdkapital. Auf Unternehmensanleihen, Schuldscheindarlehen und Kredite sind Zinsen im niedrigen, einstelligen Bereich oder sogar darunter fällig. Vor zwanzig Jahren waren es nicht selten zweistellige Zinsraten. Das hat Fremdkapital gegenüber Eigenkapital deutlich attraktiver gemacht. Die globale Verschuldung ist deshalb mittlerweile auch auf atemberaubende 318% des globalen BIP gestiegen. Schulden machen ist billig und einfach geworden. Börsengänge hingegen sind nach wie vor teuer und kompliziert.

Private Equity als Kapitalgeber

Neben Banken und klassichen Darlehen sind heute auch Private Equity Firmen sehr prominent aktiv und ständig auf der Suche nach neuen Start-Ups, denen Kapital zur Verfügung gestellt werden kann. Waren es vor zwanzig Jahren nur einige Hedge Funds, die sich hier tummelten, und diese wiederum eher in Richtung Leveraged Buyouts, so schießen heute Private Equity Firmen wie Pilze aus dem Boden. Sie nennen sich Inkubator, Angel Investor oder Venture Capital. Und sie scheinen aus endlos tiefen Taschen zu schöpfen. Was früher für die 1% der Reichen die Hedge Fonds waren, sind heute Private Equity Firmen, an denen sie sich beteiligen, um über sie in junge, erfolgversprechende Unternehmen einzusteigen. Anstatt eines komplizierten IPOs mit Börsenemissionsprospekt, Ad-Hoc Publizitätspflichten und den sonstigen, gefühlten 1.000 Auflagen eines öffentlichen Aktienangebots müssen Unternehmensgründer nur noch eine kleine Gruppe Investoren überzeugen, die ihrerseits im Geld schwimmen und verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten suchen. Schnell, günstig und einfach.

Transparenz leidet. Die Vielfalt auch.

Private Equity mag für Unternehmen attraktive Vorteile besitzen. Schneller geht es in der Regel auch, dazu viel unkomplizierter, mit deutlich weniger Akteuren. Die Due Diligence ist nicht annähernd vergleichbar mit der eines IPOs oder einer öffentlichen Bondemission. Was damit aber auch leidet ist die Transparenz. Über private Firmen ist wenig bis nichts bekannt. Die Art der Unternehmensführung, vernünftige Controlling- und Compliance Strukturen, solide, interne Abläufe, der Umgang mit Daten und Informationen und viele, viele andere Bereiche werden wenig bis nicht durchleuchtet. Doch auch für die Vielfalt an möglichen Aktiengesellschaften ist es ein Nachteil. Investoren, die auf öffentliche Angebote angewiesen sind, weil sie zu klein sind um bei den ganz Großen mitzumischen, bleiben dabei auf der Strecke.

Profitable Unternehmen mit hohem Wachstum eher bei Private Equity

Als wäre das alles noch nicht genug, kommt nun auch noch die Tatsache hinzu, dass vor allem profitable Unternehmen mit hohem Wachstum eher die Private Equity Linie einschlagen, anstatt an die Börse zu gehen. Das liegt mit auch daran, dass Unternehmen gerade in ihrer jungen Phase besonders stark wachsen und profitabel sein können. Genau diese Unternehmen bleiben heute länger in Privatbesitz anstatt an die Börse zu gehen.

Das wiederum verzerrt die Wohlstandseffekte. Für die möglichst gleichmäßige Teilhabe am Wachstum einer Volkswirtschaft ist es nicht gut, wenn die reichsten 1% die größten Renditen durch ihr Engagement in Private Equity erzielen können. Für „normale“ Investoren bleiben die nicht so profitablen Brocken übrig. Das können auch die Rentenfonds und Versicherungen nicht wett machen, denn meist dürfen auch sie nur einen geringen Anteil – wenn überhaupt – in Private Equity und nicht gelistete Unternehmen investieren.

Was ist zu tun?

Welche Wege führen weg von diesem Trend profitabler, junger Unternehmen hin zu Private Equity und deutlich späteren Börsengängen? So lange Fremdkapital dermaßen billig bleibt und die Geldschwemme derart groß, wird es für junge Unternehmen weiterhin attraktiv bleiben, sich über Fremdkapital und Private Equity zu finanzieren. Sie gehen – menschlich verständlich – den Weg des geringsten Widerstandes.

Einen Lichtblick könnten neue, elektronische Plattformen bringen. IPOs sind in ihrer heutigen Form nicht nur extrem langwierig und kompliziert, sondern vor allem auch viel zu teuer. Bis zu 20% an Kosten können anfallen, die zum Großteil die Emissionsbanken einstreifen. Je kleiner und unbekannter das Unternehmen, desto teurer. Für Unicorns stellen Emissionsbanken Kampfpreise, an den Kleinen verdienen sie ihr Geld.

Es gibt allerdings immer mehr Ideen, Börsengänge virtuell, transparent, unabhängig von Banken und kostengünstig abzuwickeln. Zudem wird das Sammeln von Unternehmensdaten und die Verteilung von Informationen durch neue Technologien immer einfacher und günstiger. Es mag durchaus sein, dass in wenigen Jahren die Hürden, die aktuell noch mit einem IPO verbunden sind, weniger werden. Zusammen mit vielleicht wieder steigenden Zinsen könnte das Unternehmen wieder dazu bewegen, sich dem allgemeinen Publikum zu öffnen und das öffentliche Angebot wieder attraktiver machen. Gesellschaftlich ist viel im Umbruch, inklusive Trends zu mehr Verantwortung als Aktionär, Nachhaltigkeit und Langfristigkeit.