Willkommen zur Beitragsreihe „Regulierung einfach erklärt“, ein kostenloser Service von BahlConsult. Hier erfahren Sie kurz und einfach, was sich hinter den vielen Abkürzungen, Vorschriften udn Richtlinien verbirgt, auf die wir im Finanzmarkt stoßen.

Die erste europäische Benchmark-Verordnung

Hinter der Abkürzung BMR versteckt sich die englische Bezeichnung „Benchmark Regulation“, oder auf Deutsch die Verordnung über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert verwendet werden. Sie gilt für alle Indizes und Referenzwerte, die für die Preisbildung von Finanzinstrumenten verwendet werden, die an geregelten Handelsplätzen notieren oder gehandelt werden, aber auch für Kreditverträge und Investmentfonds. Die Verordnung ist damit ausgesprochen umfangreich!

Veröffentlicht wurde die Verordnung (EU) 2016/1011 am 8. Juni 2016. Sie fasst eine ganze Reiher älterer Richtlinien zusammen und ergänzt diese in vielen Punkten. Erstmals wurden durch die Referenzwerte-Verordnung EU-weite, einheitliche Regeln festgelegt.

Der Verordnung unterliegen sämtliche Akteure an den Finanzmärkten. Die einzige Ausnahme bilden Zentralbanken und Behörden (z.B. Statistisches Zentralamt).

Referenzwerte sind alle Indizes, denen eine Formel zugrunde liegt

Unter die Verordnung fallen sämtliche Indizes und Referenzkennzahlen, zu deren Berechnung etwa eine Formel verwendet wird, oder wofür eine andere, bestimmte Berechnungsmethode (z.B. auch Schätzung oder Auswertung von Quotes) notwendig ist.

Ein weiterer Punkt ist der Ermessensspielraum, der zum Beispiel bei der Berechnung von vielen Zinssätzen wie dem LIBOR oder EURIBOR ins Spiel kommt. Denn viele Referenzsätze sind nicht ausschließlich auf tatsächlich gehandelte Geschäfte basiert, sondern häufig nur auf Quotes.

Nicht als Referenzwert gilt zum Beispiel ein einzelner Kurs eines Wertpapiers. Denn hierzu wäre keine Berechnung oder Formel nötig.

Interessenkonflikte sollen vermieden werden

Die Verordnung wurde vor allem durch diverse Skandale rund um Referenzsätze wie Libor, Devisen und Öl geprägt. Demgemäß wird die Vermeidung von Interessenkonflikten und ein gutes Risikomanagement ganz prominent präsentiert. Alle Kontributoren, also jene, die zu einem Referenzwert beitragen, müssen stets ihre „Genauigkeit, Integrität, Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit“ für die Berechnung dieser Referenzwerte garantieren.

Die Zuverlässigkeit und Integrität von Indizes soll garantiert werden

In einem Unternehmen, das einen Referenzsatz berechnet, müssen laut der Verordnung „chinese walls“, also organisatorische Trennungen zwischen der Index-Administration und anderen Bereichen eingerichtet werden, mit denen es zu Interessenkonflikten kommen könnte. Beispiel wäre etwa ein von einer Bank berechneter Index, auf den die New Issues Abteilung eine eigene Anleihe referenziert hat. Oder die Abgabe von Quotes für das Libor-Panel, welche organisatorisch getrennt sein muss von der Kreditabteilung, die Darlehen auf Libor-Basis vergeben hat.

Zudem muss der sogenannte Index-Administrator seine eigene Index-Berechnung oder Kontribution selbst überwachen und Aufzeichnungen darüber führen. Es muss alles genau dokumentiert werden, etwa wie es zur Berechnung oder Feststellung kommt, welche Algorithmen verwendet wurden und welche Daten wann durch wen eingegeben wurden. Sorgar Telefongespräche müssen dokumentiert werden. All diese Unterlagen müssen danach mindestens fünf Jahre aufbewahrt werden.

Zudem müssen die betroffenen Unternehmen Notfallpläne erstellen, in denen sie regeln, was bei einer Störung im Berechnungsprozess zu machen ist.

Zuguterletzt muss jeder Index-Berechner auch noch eine Beschwerdestelle und ein Beschwerdeverfahren einrichten, und Beschwerden zeitnah bearbeiten.

Durchgriffsrecht und Weisungsrecht der Aufsichtsbehörde

Stellt die Behörde einen Interessenkonflikt fest, der nicht durch organisatorische Maßnahmen behoben werden kann, so darf die Aufsichtsbehörde das betroffene Unternehmen zwingen, eine der beiden Tätigkeiten einzustellen (also entweder die Berechnung des Index oder der Kontribution zur Berechnung, oder eben das andere Geschäft, welches davon profitieren könnte).

Besonderheit: Kritische Referenzwerte

Die Europäische Kommission kann bestimmte Indizes als „kritische Referenzwerte“ einstufen, für die dann nochmals strengere Regelungen gelten. Alle zwei Jahre wird die Liste überprüft. Als kritisch oder besonders wichtig gelten Indizes dann, wenn:

  • 500 Mrd Euro: Index ist für die Bewertung von Produkten über mehr als 500 Milliarden EUR an Wert wichtig (sowohl direkt als auch indirekt!)
  • In der EU: Der Index wird durch mehrheitlich in der EU befindliche Kontributoren bestimmt
  • Kein Ersatz vorhanden: Liegt der Marktwert unter der Grenze von 500 Mrd, aber über 400 Mrd. EUR, und gibt es keinen geeigneten Ersatz, so gilt der Index auch als kritisch
  • Wenn die Behörden es sagen: Zusätzlich können die Aufsichtsbehörden einen Index auch einfach so als kritisch einstufen. Die ESMA hat hier das letzte Wort.

Die Berechnung eines kritischen Referenzwertes darf der sogenannte Administrator nicht ohne Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde einstellen oder an einen anderen übertragen. Selbst ein Kontributor, also jemand, der mit seinen Quotes oder Preisen zur Berechnung beiträgt, darf nicht ohne Erlaubnis der ESMA und der Finanzmarktaufsicht aufhören, für den Index zu quotieren. Ein Beispiel sind etwa die Panel Banken für den LIBOR.

Die Aufsichtsbehörde kann zudem den Administrator dazu zwingen, den Index weiterhin zu berechnen. Allerdings darf dieser Zwangszustand nicht länger als zweimal 12 Monate, also insgesamt zwei Jahre andauern. Gleiches gilt wieder für Kontributoren.

Sollte der bisherige Anbieter eines kritischen Index wegen eines Insolvenzverfahrens abgewickelt werden, übernimmt die Aufsichtsbehörde die Aufgabe, die Indexberechnung auf einen anderen Administrator zu übertragen beziehungsweise die geordnete Einstellung.

Zusätzlich dürfen die Anbieter von kritischen Referenzwerten ihre Marktmacht nicht ausnutzen. Sie müssen ihre Lizenzen und Informationen dem gesamten Markt zu „angemessenen, vernünftigen, transparenten und nichtdiskriminierenden“ Konditionen zur Verfügung stellen.

Zweite Besonderheit: Signifikante Referenzwerte

Es gibt Indizes, die zwar wichtig sind, aber nicht groß genug, um die Kriterien für die kritischen Referenzwerte zu erfüllen. Diese können von den Behörden als signifikant eingestuft werden, also nicht sehr wichtig, aber doch wichtig, um nochmals etwas strengere Vorschriften erfüllen zu müssen.

  • 50 Mrd. EURO: Der Index wird für Produkte über mindestens 50 Mrd. EUR herangezogen.
  • Kein Ersatz: Es gibt keinen vergleichbaren Index, den man einfach als Ersatz nehmen könnte

Veröffentlichungspflichten: Einfacher, fairer und müheloser Zugang

Zuguterletzt haben die Anbieter von Indizes und Referenzwerten noch eine Reihe von Veröffentlichungspflichten zu erfüllen. Alle Informationen und Dokumente müssen einfach, fair und mühelos zugänglich sein, also zum Beispiel im Internet auf einer frei zugänglichen Seite veröffentlicht werden.

Der Indexanbieter muss eine detaillierte Information über den Index veröffentlichen. Was wird wie, wann, von wem und mit welchen Mitteln berechnet, woher stammen die Daten, und sämtliche anderen, wichtigen Informationen müssen jedermann zur Verfügung stehen. Selbst Informationen, was passiert, wenn jemand eine falsche Dateneingabe macht, müssen enthalten sein. Gibt es einen Ermessensspielraum bei der Berechnung?

Notfallpläne müssen erstellt werden

Sehr interessant und durchaus wichtig angesichts der geplanten Einstellung des LIBORS ist die Verpflichtung für alle Indexanbieter in der EU, für ihre Referenzwerte sogenannte Notfallpläne zu erstellen. Welche Maßnahmen greifen, sollte sich ein Referenzwert plötzlich wesentlich ändern oder aus welchen Gründen auch immer nicht mehr bereitgestellt werden können? In diesen Plänen muss enthalten sein, welche Alternativen zum Index es geben könnte (z.B. der Index eines anderen Anbieters). Diese Notfallpläne müssen der Aufsichtsbehörde übermittelt werden.

Nur zugelassene Administratoren dürfen Indizes veröffentlichen!

Um als Administrator für einen Index oder Referenzwert tätig werden zu dürfen, braucht es eine Zulassung bei der jeweiligen Finanzaufsichtsbehörde. Hier wird dann überprüft, ob die vorgeschriebenen, organisatorischen Voraussetzungen (z.B. Chinese Walls, Risikomanagement) erfüllt sind. Das Register wird neben der nationalen Behörde auch bei der europäischen ESMA geführt.

Register für nicht-EU Indizes

Wird ein Index oder Referenzwert in einem Drittstaat, also zum Beispiel in den USA oder Japan, berechnet, müssen sowohl der Referenzwert als auch der Administrator in ein spezielles Register eingetragen werden, damit der Referenzwert überhaupt in der EU für Finanzprodukte verwendet werden darf.

Die ESMA kann beschließen, dass der Rechtsrahmen und die Aufsichtspraxis in einem Drittstaat ausreichen, und somit nicht jeder Index und Anbieter gesondert geprüft werden muss.

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