Die Frage ist ein nicht enden wollender Dauerbrenner und Klassiker im Risikomanagement: Womit kann Risiko besser gemessen werden, mit Value at Risk (VaR) oder mit Risikoparametern wie Delta, Gamma, Vega & Co, also den sogenannten Greeks?

Controlling und Aufsicht wollen VaR

Im Controlling von Banken und Unternehmen sowie unter Aufsichtsbehörden ist Value at Risk der klare Favorit. Schließlich ist Value at Risk einfach zu berechnen, leicht zu überprüfen, von jedem Betriebswirt ohne höhere Mathematikkenntnisse anwendbar und sogar ziemlich einfach auf Gesamtunternehmensebene aggregierbar. Value at Risk sagt dem Manager, wie viel Geld über einen bestimmten Zeitraum mit einer entsprechenden Wahrscheinlichkeit verloren gehen kann im Rahmen eines Projekts, einer Geschäftssparte oder für das gesamte Unternehmen. Die Berechnung selbst ist auch nicht sonderlich kompliziert. Es wird eine Standardnormalverteilung zugrunde gelegt, diese mit historischen Daten befüllt und anhand gut bekannter, statistischer Methoden berechnet, wie viel Geld auf dem Spiel steht. Keine komplexen Zeichen und Zahlen, die erst interpretiert werden müssten und deren Formeln kaum jemand durchblickt, sondern handfeste Zahlen, mit denen sofort gearbeitet werden kann.

Handel und Treasury bevorzugen Greeks

Händler und Treasurer rümpfen allein bei der Erwähnung von Value at Risk die Nase, schütteln den Kopf und halten VaR nicht nur für nicht aussagekräftig, sondern seine Verwendung für schlichtweg fahrlässig und gefährlich. Die Daten, die als Input dienen, können leicht manipuliert werden (und werden es regelmäßig auch!). Werden historische Datenreihen verwendet, hängt das Ergebnis sehr stark vom gewählten Zeitraum ab. Für kürzere Zeitreihen ist VaR deutlich weniger aussagekräftig als für lange Zeiträume, doch welcher Zeitraum ist am Aussagekräftigsten? Passen die Ergebnisse dem Manager nicht ins Konzept lässt sich durch eine andere Zeitreihe übrigens meist sehr viel an den Zahlen ändern!

Hinzu kommen diverse Annahmen und Schätzungen. Sämtliche negative Ereignisse müssen mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit geschätzt und bewertet werden. Die Annahme einer Normalverteilung und die vielen, verschiedenen Arten der Berechnung von Value at Risk sind weitere Kritikpunkte. Denn Value at Risk kann rein über historische Zeitreihen berechnet werden, aber auch mithilfe von Varianz-Kovarianz oder über eine Monte-Carlo-Simulation, und doch firmiert alles unter dem selben Namen. Doch des größte Manko: Value at Risk sagt rein gar nichts über das sogenannte Tail Risk aus, also die Höhe der möglichen Verluste über die verwendete Wahrscheinlichkeit hinaus.

Ein Beispiel: „Der 1-Monats-VaR des Projekts beträgt 12 Mio. Euro mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,05.“ Das bedeutet übersetzt, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% unsere Verluste während des nächsten Monats nicht höher als 12 Mio. Euro sein werden, beziehungsweise mit einer Wahrscheinlichkeit von 5% werden sie höher als 12 Mio. Euro sein. Doch um wieviel höher? Darüber sagt Value at Risk nichts. Diese unbekannten 5% werden als Tail Risk bezeichnet. Unter VaR ist darüber nichts bekannt, und wir könnten hier von 12,5 Mio. Euro sprechen oder von einer Milliarde, ohne es zu wissen!

Basel III, CRD IV: VaR ist vielfach vorgeschrieben!

Über die letzten Jahre lag der Trend in der Regulierung weg von der Produktregulierung hin zur ganzheitlichen Betrachtung im Sinne eines solideren Risikomanagements. Die Idee dahinter ist richtig und schafft ein deutlich faireres Spielfeld unter Banken und Versicherungen. Das für Banken weltweit mit Abstand wichtigste Regulierungswerk ist Basel III, das sehr umfangreich auf die Messung aller nur erdenklichen Risiken im Bankgeschäft behandelt. Value at Risk ist hier explizit vorgeschrieben und muss allein deshalb schon von Banken für die Berechnung ihrer Risiken verwendet werden. In der EU wurde Basel III in Form der CRD IV umgesetzt und verwendet ebenfalls Value at Risk als wichtige Risikokennzahl.

Greeks, DV01 und Konvexität als mögliche Alternative

Eine andere Möglichkeit, das Risiko für mögliche Wertänderungen und damit Verluste zu betrachten, sind Risikokennzahlen wie Delta, Gamma, Vega, Theta und Rho. Sie werden auch als Greeks bezeichnet und kommen aus der Optionspreistheorie. Das Delta etwa gibt an, um wie viel sich der Preis einer Option oder eines Portfolios verändert, wenn sich der Preis des Basiswertes um eine Einheit verändert. Da sehr viele Risiken einer Bank und ihrer Portfolien in Form von Derivaten vorhanden sind oder als Derivat ausgedrückt werden können, lassen sich die Greeks auf viele Bereiche anwenden. Sie geben ein Gefühl für die Sensitivität von Portfolien und Positionen gegenüber Marktveränderungen. Das hat in vielen Fällen eine höhere Aussagekraft als Value at Risk Beträge. Der Nachteil von Greeks zur Sensitivitäts- und Risikomessung liegt in ihrer vergleichsweise komplexen Berechnung und abstrakten Betrachtung von Risiko, die nicht für jeden verständlich sind.

Bei Anleihen und Bondportfolien können sehr ähnliche Konzepte verwendet werden, um die Sensitivitäten von Marktveränderungen zu berechnen. Die bekanntesten Risikokennzahlen sind hier etwa das DV01, das ähnlich wie das Delta die Preisveränderung der Anleihe anzeigt, wenn sich die Marktrendite um einen Punkt verändert, sowie die Konvexität, die zeigt, wie sich die Duration einer Anleihe oder eines Porfolios verändert, wenn sich die Zinskurve verschiebt. Auch hier geben die Kennzahlen ein genaueres Bild über die Veränderungen und Verschiebungen. Der Nachteil ist wieder ihre vergleichweise hohe Komplexität, und die Tatsache, dass sich Sensitivitäten schon gar nicht einfach so addieren lassen.

Weiterhin beide Methoden in Verwendung

Auf absehbare Zeit sieht es nicht aus, als würde Value at Risk von anderen Risikokennzahlen oder Sensitivitätsparametern abgelöst werden. Aufsichtsbehörden werden wohl weiterhin auf Value at Risk Zahlen bestehen, und Controller und Portofliomanager weiterhin aneinander vorbei reden, wenn es um die Bewertung eines Positions- und Portfoliorisikos geht. Allerdings ist durch höhere Rechenleistungen und integrierte Systeme bereits heute schon vielfach die gleichzeitige Auswertung von VaR, Greeks, DV01 und Korrelationen möglich, und nach und nach könnte sich auch im Controlling und Risikomanagement ein stärkeres Gefühl für die Interpretation der „Händlerzahlen“ einstellen.

Sollten Sie in Ihrem Unternehmen vorübergehende, fachliche Unterstützung für die Anwendung von Greeks, DV01, Korrelationen und anderen Sensitivitätskennzahlen benötigen, sprechen Sie uns gerne an!