Nachhaltigkeit liegt voll im Trend, auch bei Investitionen und im Portfolio Management. Doch was ist wirklich nachhaltig, und wo müssen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und ESG („environmental, social and governance“) einfach nur als Marketingmasche herhalten, damit sich Bonds, Loans, Schuldscheindarlehen und Fonds besser verkaufen lassen? Die Kriterien sind noch immer schwammig. Die kommende EU Taxonomie Regulierung wird diesen Missstand hoffentlich beheben. Bis dahin heißt es: Gut hinschauen, doppelt hinterfragen und nicht nur auf den Namen eines Produkts achten.
ESG gelinkte Schuldscheindarlehen teils problematisch
Ein wunderbares Beispiel sind ESG gelinkte Corporate Schuldscheindarlehen. Sie boomen seit einiger Zeit. Der Schuldscheinmarkt ist ohnedies kaum reguliert, handelt es sich bei diesem Instrument schließlich um kein Wertpapier sondern um ein Darlehen, das sich ausschließlich an Institutionelle richtet. Die ESG und „grünen“ Schuldscheindarlehen – oder zumindest viele, die einen entsprechenden Namen haben – sind dabei ein besonders nachgefragtes Produkt. Doch nicht immer ist die Sache so grün oder nachhaltig, wie es der Name vermuten lässt.
Fragwürdige Produktstrukturen
Im Juni 2020 emittierte der Metallgießer Aurubis ein ESG-gelinktes Schuldscheindarlehen. Abgesehen von der Frage, ob ein Unternehmen, dessen Geschäft das ziemlich umweltschädliche Schmelzen von Kupfer ist, überhaupt als nachhaltige Investition in Frage kommt, war hier vor allem die Struktur des nachhaltigen Schuldscheindarlehens fragwürdig. Zunächst einmal bezog sich die Nachhaltigkeit auf ein ESG Rating, das von dem Unternehmen EcoVadis vergeben wird. Ratings von EcoVadis können nicht öffentlich eingesehen werden und somit von interessierten Investoren auch nicht verifiziert werden. Laut Angaben der Schuldscheindokumentation lag das EcoVadis Rating für Aurubis im Juni 2020 bei 68 von 100 möglichen Punkten. Ob 68 ein guter Wert ist oder nach welchen Kriterien EcoVadis seine Ratings erstellt, lässt sich leider nicht recherchieren, noch, wie dieser Wert im Vergleich zu ähnlichen Unternehmen liegt. Doch wäre das die einzige Herausforderung, die man als interessierter Investor hat, könnte man im Zweifel noch darüber hinwegsehen und dem Unternehmen EcoVadis und der Emittentin vertrauen. Nun aber zur Struktur selbst. Aurubis verspricht, um mutige 0,05% mehr Kupon pro Jahr zu zahlen, sollte das Rating unter die Marke von 56 Punkten fallen. In der Optionspreistheorie würde man hier von einem weit aus dem Geld liegenden Strike und einer entsprechend wertlosen Option sprechen. Aurubis sagt aber auch, es wird um 0,05% weniger Kupon zahlen, sollte das Nachhaltigkeitsrating über 80 Punkte steigen. Da sich das Rating bereits im Juli auf 72 Punkte erhöht hat, könnten wir diese Option – die zum Nachteil des Investors ist – durchaus als näher am Geld sehen und sie dürfte einen gewissen Wert haben. Allerdings ist der Payoff dieser Option mit nur 0,05% so gering, dass der Wert kaum ins Gewicht fällt. Schließlich wurde das Schuldscheindarlehen für drei Jahre mit Spreads von 1,3%-1,6% bewertet, die fünfjährige Tranche lag bei 1,6%-1,9% und die sieben Jahre bei 2%-2,3% über der Benchmark. Da sind 0,05% ein lächerliches Wagnis, ganz unabhängig von den weit entfernten Strikes, und der Unmöglichkeit, das blackbox-Rating nachzuprüfen. EcoVadis wird übrigens – wie bei Ratingagenturen leider generell üblich – vom zu ratenden Unternehmen beauftragt und bezahlt, Interessenkonflikte inklusive.
Optionen auf ESG-Ratings: Bewertungsfragen
Eingebettete Optionen in Anleihen müssen bewertet werden. Das ist bei gängigen Optionen auf Aktien, Bonds, Credit Default Swaps, Swapsätze und diverse Benchmarks und Indizes schon schwierig genug. Bei intransparenten ESG Ratings ohne Benchmarks ist die Bewertung schwierig bis unmöglich. Was für ein Glück, dass Schuldscheindarlehen nicht zu Marktpreisen bewertet werden müssen, sondern mit ihren Anschaffungskosten in der Bilanz stehen bleiben dürfen, ohne Mark-to-Market. Transparenter und besser wird die Lage für Investoren dadurch nicht. Das scheint viele trotzdem nicht zu stören. Sie packen froh und munter Produkte in ihre Fonds und auf ihre Bilanzen, die in ihren Bedingungen zumindest entfernt etwas zu Umweltschutz oder Nachhaltigkeit versprechen, und können sich dann selbst auf die Fahne schreiben, soundso viel Prozent nachhaltig anzulegen.
Die Spreu vom Weizen trennen: Nicht alle sind schlecht!
Nicht alle Emissionen liegen im Graubereich. Viele Emittenten sind durchaus ernst zu nehmen, vor allem dann, wenn die Erlöse aus der Emission strikt für Projekte aus den Bereichen Umweltschutz, Soziales und Nachhaltigkeit eingesetzt werden. Sowieso werden – geht es um Umweltschutz – nur diese Emissionen in Zukunft der Taxonomie Regulierung entsprechen, und Greenwashing wird deutlich schwieriger werden.
Notwendigkeit für einheitliche Regeln und eine gute Regulierung
Der Markt für nachhaltige Anleihen, Kredite, Schuldscheindarlehen, Verbriefungen, Fonds und andere Kapitalmarktprodukte hat nun eine Größe erreicht, die es notwendig macht, einheitliche Spielregeln für alle zu schaffen. Das schützt einerseits jene Unternehmen, die es ernst meinen, und andererseits hilft es Investoren, mit überschaubarem Aufwand sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Dass sich der Markt selten von alleine reguliert, schon gar nicht bei ethischen Fragen, wird jeder Kapitalmarktprofi zugeben. Regulierungen und Vorschriften machen zwar selten Spaß, doch ohne sie wird es auch im Bereich ESG nicht gehen. Bleibt zu hoffen, dass die Europäische Kommission nach der Taxonomie für Umwelt- und Klimaschutz auch zügig die Themen Soziales und nachhaltige Unternehmensführung in Angriff nimmt.