Die Europäische Benchmark Verordnung im Anschluss an den Libor Skandal hat die Welt der Zinsen auf den Kopf gestellt. Die im Juni 2016 beschlossenen Verordnung legte strenge Regeln für die Berechnung und das Management von Indexberechnungen fest. Für sogenannte „kritische Referenzwerte“ wurden besonders strenge Vorschriften erlassen. Zu den kritischen Benchmarks zählen unter anderem die wichtigen Zinssätze EONIA und die EURIBOR. Die langjährigen Berechnungsmethoden der beiden Sätze galten plötzlich nicht mehr als Benchmarkkonform und mussten bis spätestens 2020 verändert und angepasst werden.

Strenge Regeln ab 1.1.2020

Seit 1. Januar 2020 müssen für alle Indizes Administratoren bestimmt sein, die von der zuständigen Aufsichtsbehörde eine Genehmigung für die jeweilige Indexberechnung erhalten haben. Gemäß der Verordnung müssen Benchmarks den tatsächlichen Markt widerspiegeln und vor allem auf Transaktionsdaten basieren. Liegen nicht genügend Transaktionsdaten vor, dürfen auch Quotes verwendet werden. Die verwendeten Daten müssen in jedem Fall nachprüfbar sein, und im Fall von Quotes müssen diese entweder von einem Ausschuss oder einer größeren Anzahl an Kontributoren kommen. Verantwortlich dafür ist der Administrator, der für die Benchmark die Genehmigung der Aufsichtsbehörde ESMA erhalten hat.

EONIA wird durch €STR ersetzt

Für den Eonia wurde von der EZB beschlossen, diesen nicht mehr separat zu berechnen, sondern durch den neuen, handelsbasierten Zins €STR zu ersetzen. Seit dem 2. Oktober 2019 wird €STR berechnet und veröffentlicht. Der EONIA Satz wird zwar für einige Zeit wie zuvor veröffentlicht, ist aber nichts weiter als €STR plus 8,5 Basispunkte. Der €STR selbst ist der Durchschnitt der Zinsen auf tatsächliche unbesicherte Einlagengeschäfte im Interbankengeschäft über eine Million Euro Nominal. Möglich geworden ist eine geschäftsbasierte Zinsberechnung überhaupt erst durch die Meldepflichten aus der europäischen MMSR Verordnung, die Banken seit 2016 verpflichtet, alle Transaktionen auf dem Geldmarkt unverzüglich an die EZB zu melden. Die Verwendung des €STR ist im Übrigen kostenlos möglich, also ohne Lizenzgebühren, und der Referenzzins ist eine geschützte Marke der EZB.

Euribor Berechnung wurde 2019 verändert

Für die EURIBOR-Sätze wurde ein anderer Weg eingeschlagen. EURIBOR ist ein so zentraler Referenzzins, der in einer solch riesigen Bandbreite an Produkten verwendet wird, dass eine komplette Abschaffung und ein Ersetzen der Termrates durch einen Overnight-Satz mehr Probleme geschaffen als gelöst hätte. Glücklicherweise gab sich die ESMA hier mit einer Veränderung in der Datenerhebung zufrieden, die den Euribor ansonsten aber unverändert in der Anwendung belässt. Durch die robustere Berechnung und Datenerhebung sollen die EURIBOR-Sätze mit größtmöglicher Sicherheit den tatsächlichen Markt am kurzen Ende widerspiegeln.

EURIBOR seit 2. Juli 2019 benchmarkkonform

Als Administrator für die Berechnung der EURIBOR Sätze mit den Laufzeiten 1 Woche, 1 Monat, 3 Monate, 6 Monate und 12 Monate wurde am 2. Juli 2019 das EMMI (European Money Markets Institute) beauftragt. EMMI, mit Sitz in Brüssel, ist eine nicht auf Gewinnerzielung gerichtete Organisation, deren Mitglieder die Bankenverbände der jeweiligen EU-Mitgliedsländer sind. In der Berufung von EMMI als EURIBOR Administrator wurde von der belgischen Aufsichtsbhörde FSMA auch die wichtige Bestätigung erteilt, dass die von EMMI durchgeführte, neue und veränderte EURIBOR Berechnungsmethode Benchmarkverordnungskonform ist und die EURIBOR Sätze auch nach dem 1.1.2020 für Neugeschäft verwendet werden dürfen.

Ein 3-stufiges Hybridverfahren zur Euribor Berechnung

Die Euribor Sätze sind die durchschnittlichen Zinssätze für unbesicherte Euro Interbanken Geldmarktgeschäfte in verschiedenen Laufzeiten (1 Woche, 1 Monat, 3 Monate, 6 Monate, 12 Monate) und damit jener Zins, zu dem sich Banken kurzfristiges Geld leihen können. Als Geldmarktgeschäfte gelten etwa unbesicherte Sichteinalgen, Commercial Papers, Certificate of Deposit oder variable Euribor Anleihen. Wichtig ist, dass die Geschäfte zwischen Banken oder zwischen Banken und institutionellen Investoren, der Zentralbank oder dem Staat stattfinden und damit rein institutionelles Geschäft abbilden. Die Geschäfte müssen dabei dem jeweiligen Marktstandard entsprechen, auf Euro lauten, ein Mindestnominal von 20 Millionen Euro haben und je nach Marktkonvention entweder am selben Tag, am Folgetag (T+1) oder dem übernächsten Geschäftstag (T+2) starten.

Gesammelt werden die Geschäftsdaten des jeweiligen Tages von jenen Banken, die als Kontributoren von EMMI ins EURIBOR Panel aufgenommen wurden. Sie melden ihre tatsächlich stattgefunden Geschäfte an das EMMI, berechnet gemäß der von EMMI vorgegebenen Formel (entspricht einem volumsgewichteten Durchschnitt). Dazu gibt es drei unterschiedliche Qualitäten von Daten, die geliefert werden, und die von EMMI in folgender Reihenfolge zur Euribor-Feststellung herangezogen werden:

  1. Zunächst werden die Transaktionen des Vortages gesammelt, die genau in den jeweiligen EURIBOR-Laufzeiten (1 Woche, 1 Monat, 3 Monate, 6 Monate, 12 Monate) stattgefunden haben und mindestens ein Nominal von 20 Millionen Euro haben.
  2. Doch was tun, wenn eine Panel-Bank an einem Tag nicht genügend Transaktionen vorweisen kann? Als nächstbeste Annäherung werden dann Geschäfte verwendet, die entlang der Geldmarktkurve in ähnlichen Laufzeiten oder in den vorangegangenen Geschäftstagen abgeschlossen wurden. Die gesuchten Laufzeiten werden entweder interpoliert oder ansonsten anhand der Tradedaten der Vortage berechnet.
  3. Reichen dafür die Geschäftsdaten auch nicht aus, muss die Panel-Bank die entsprechenden Daten modellieren und/oder schätzen. Dafür darf die Bank Geschäftsdaten aus nahe verwandten Geschäften und Märkten verwenden. Dazu zählen EURIBOR Futures, Forward Rate Agreements, Fix/variable Zinsswaps, EURIBOR Basisswaps, Swaps auf EONIA oder €STR und Wertpapierfinanzierungsgeschäfte. Die verwendete Methode muss nachvollziehbar sein und darf nicht ohne Meldung an die EMMI verändert werden.

EURIBOR ist vorerst gerettet

Die Berechnung der EURIBOR Sätze dürfte damit vorerst gesichert sein, was durchaus im Sinne des Marktes und der Banken sein dürfte. Schließlich referenzieren Zinsswaps in Billionenhöhe auf den EURIBOR, dazu noch Kredite, viele andere Derivate, Anleihen und eine gigantische Vielzahl weiterer Verträge. Eine Umstellung oder gar Berechnung von Altgeschäften mit Sätzen, die es nicht mehr gibt, wäre ein Albtraum für die Finanzwelt. Dazu wird es erstmal nicht kommen. Ob sich die neue Berechnungsmethode als robust genug erweist und es dauerhaft ausreichend Transaktionsdaten geben wird, um vor allem Level 1 und Level 2 Daten zu sammeln, wird sich zeigen. Das EMMI wird die Berechnungsmethode jährlich überprüfen, und auch die europäischen Aufsichtsbehörden werden ein Auge auf die Robustheit und Echtheit der EURIBOR Sätze haben. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die Bereitschaft von Banken, als Panelteilnehmer zu fungieren. Die strengen und komplexen Auflagen für Kontributoren kosten Geld und Ressourcen und bringen außer diverser Risiken (Reputationsrisiko, operationelles Risiko) nichts ein. Viele namhafte Banken haben das Panel bereits verlassen, darunter alle deutschen Landesbanken, aber auch internationale Häuser wie KBC, Danske, Bank of Tokyo Mitsubishi, JPMorgan, Commerzbank, Erste Group und viele mehr. Per Stand Januar 2020 gibt es immerhin noch 18 Panel-Mitglieder, die sich um den Weiterbestand des EURIBOR kümmern. Eine geographisch gleichmäßige Verteilung über die EU spiegeln die Teilnehmer zwar nicht wider, aber diese Diskussion wollen wir lieber nicht anstoßen, sondern einfach zufrieden sein, dass die EURIBOR Welt vorerst so bleibt wie sie war und sich nichts ändern muss.