Die Berechnung der LIBOR Referenzzinssätze soll per Ende 2021 eingestellt werden. Das zumindest will die Financial Conduct Authority (FCA), die seit 2013 für die Regulierung des LIBORs zuständig ist. LIBOR wird aktuell noch für Zinssätze in fünf Währungen (USD, GBP, CHF, JPY, EUR) und in verschiedenen Laufzeiten berechnet (Overnight Spot Next, 1 Woche, 1 Monat, 2 Monate, 3 Monate, 6 Monate und 12 Monate) und findet Verwendung in Kreditverträgen, Zinsderivaten, Anleihen und vielen mehr. Für auf Euro lautende Geschäfte werden die Auswirkungen glücklicherweise nicht dramatisch sein, da wir in der EU den EURIBOR als Referenzzins weiter verwenden dürfen, aber für alle Geschäfte in USD, GBP und CHF, die auf den LIBOR referenzieren, könnten dramatische Zeiten zukommen, da der LIBOR dort keine ähnliche Alternative hat. Die Japaner verfolgen einen ähnlichen Ansatz wie die EU und wollen den TIBOR weiterführen.

Weltweit basieren Millionen Verträge auf LIBOR

Der Markt für LIBOR-basierte Swaps, Kredite, Bonds und Verträge ist riesig, sehr liquide, gut etabliert, standardisiert und bei jedem Marktteilnehmer als Produkt zugelassen. Eine Umstellung ist nicht einfach. Selbst heute werden standardmäßig noch immer Neugeschäfte abgeschlossen, die auf LIBOR referenzieren, beinahe so, als gäbe es das angekündigte Ende dieser wichtigen Referenzsätze nicht. In weiten Teilen des Marktes ist Business as Usual an der Tagesordnung. Da stellt sich natürlich die Frage, was mit den vielen, vielen LIBOR Geschäften nach 2021 passieren soll. Was geschieht an dem Tag, an dem der LIBOR nicht mehr veröffentlicht wird? Wie können Mark-to-Market Bewertungen durchgeführt werden auf etwas, das es nicht mehr gibt?

FCA und Fed wollen einen wirklich risikolosen Zins

Die FCA und die Federal Reserve of New York, die bei der Umstellung federführend sind und deren Präsidenten gemeinsam dem Steuerungskomitee zur LIBOR Abschaffung vorsitzen, begründen ihre Ablehnung gegen den LIBOR einerseits mit den lückenhaften Marktdaten, die zur Verfügung stehen, der Unwilligkeit von Banken Quotes zu liefern und zudem damit, dass Overnight Rates ohnedies näher an der Definition eines risikolosen Zinses lägen, als es LIBOR Sätze je waren. Ob man für einen Swap zwischen zwei Banken tatsächlich einen risikolosen Zins benötigt oder doch lieber einen Satz, der bereits das entsprechende Credit-Element beinhaltet, sei dahingestellt. Das Komitee ist jedenfalls fest entschlossen, die LIBORs durch folgende Overnight-Rates zu ersetzen:

  1. Für den US-Dollar soll der zukünftige Zins der SOFR (Secured Overnight Financing Rate) sein, der von der Federal Reserve Bank of New York berechnet wird. Grundlage sind Repo-Geschäfte, die mit amerikanischen Staatsanleihen besichert sind.
  2. Für den Sterling soll der SONIA (Sterling Overnight Index Average) an die Stelle des LIBOR treten, berechnet von der Bank of England. Der SONIA spiegelt unbesicherte Overnight Wholesale Deposit Transaktionen wider.
  3. Die Schweizer stellen auf den SARON (Swiss Average Rate Overnight) um, der von der SIX Exchange berechnet wird und besicherte Overnight Repos im Interbankenmarkt abbildet.
  4. Die Japaner verwenden künftig den TONAR (Tokyo Overnight Average Rate), berechnet durch die Bank of Japan, der den unbesicherten Overnight Call Rate Markt widerspiegeln wird.
  5. Der EUR-LIBOR soll durch den €STR ersetzt werden, aber da der EURIBOR glücklicherweise erhalten bleibt, haben die Marktteilnehmer zumindest hier eine andere Alternative, auf die sie ihre Verträge relativ problemlos umstellen können.

Die Altgeschäfte: Eine Mammutaufgabe!

Geht es nach FSB und FCA, so sollten alle Neugeschäfte idealerweise bereits heute auf die neuen Overnight Rates referenzieren, egal ob Swap, Kredit oder Anleihe, und alle Altgeschäfte sollten noch vor Ende 2021 von LIBOR auf SONIA, SOFR, SARON, TONAR oder €STR umgestellt werden. Nun, wer schon einmal einen ganz gewöhnlichen Swap umstrukturiert hat, sei es um die Laufzeit, den Kupon oder die Tilgungsstruktur zu verändern, der weiß, wie mühsam die Umstellung auch nur eines Geschäfts ist. Da sind die Preisverhandlungen, bei denen der Händler eine Marge möchte, der Sales natürlich auch, der Wert des neuen Geschäfts ist ein anderer, also müssen Zahlungen von einem Geschäftspartner an den anderen fließen, die ganze Dokumentation der Änderung, die Umbuchungen im System, der Austausch der geänderten Verträge, die Wiederaufnahme des neuen Geschäfts, das nun eine neue Trade-ID erhalten hat, in sämtliche Reportings, und, und, und. Wer hat hier schon groß Lust, nicht nur einen, sondern hunderttausende Verträge und das auch noch gleichzeitig abzuändern? Es geht hier schließlich nicht nur um das Austauschen des Wortes LIBOR durch SOFR oder SONIA. Es geht um eine Neubewertung. Das gesamte Risikoprofil ändert sich. Der Wert ändert sich, die Sensitivitäten sind andere, Konvexität wird zum Thema, das Fixing funktioniert viel komplexer, neue Risiko-Adjustments müssen verwendet werden, da wir von einer Termrate mit Credit Komponente auf einen OIS umstellen, die in USD und CHF besichert ist und in GBP und JPY zwar unbesichert aber ohne Termstructure. Das wird Auswirkungen auf das ganze Portfolio haben. 1:1 Hedges für Grundgeschäft muss penibel zusammengehalten und im gleichen Moment abgeändert werden. Und das zusätzlich zum Tagesgeschäft, das nebenher läuft wie gewohnt. Werden Anleihen umstrukturiert, ist die Sache noch komplizierter. Denn hier muss die Zustimmung aller Investoren eingeholt werden. Bei syndizierten Krediten müssen alle Kreditgeber zustimmen. Verbriefungen bedürfen ebenfalls der Zustimmung aller Investoren.

Die Umstellung auf multiple Kurven hat Jahre gedauert

Der Fixed Income Markt hatte ab 2009 schon einmal eine massenhafte Bewertungsumstellung zu stemmen. Bis 2008 hatten Marktteilnehmer in der Regel eine einzige Euribor oder LIBOR Kurve, mit der sie ihre Geschäfte bewerteten. In den Geschäftsverträgen wurde zwar ein bestimmter Tenor vereinbart, etwa der 3-Monats-Euribor oder der 6-Monats-Euribor, aber die Bewertung erfolgte schlicht gegen DIE Euribor Kurve. Vor der Finanzmarktkrise gab es zwischen den diversen Laufzeiten und selbst zwischen den Overnight Sätzen und den Euribor und Libor Tenors so gut wie keine Unterschiede. Das änderte sich mit der Finanzmarktkrise und dem Vertrauensverlust zwischen den Banken. Nach und nach kamen die Banken zur Einsicht, dass ab nun verschiedene Zinskurven gleichzeitig verwendet werden mussten. Diese Umstellung umfasste weder eine Umstrukturierung noch eine Vertragsänderung und bedurfte auch nicht der Zustimmung von Geschäftspartnern oder Investoren. Es ging „nur“ um eine Neubewertung und Neubuchung mit den neu eingeführten Zinskurven. Die Umstellung auf EONIA Discounting und die Verwendung multipler Kurven war trotzdem ein riesiges und sehr komplexes Projekt. Es dauerte Jahre, bis der ganze Markt die Umstellung geschafft hatte.

Ein erster Schritt: Broker-Quotes auf SONIA Zinsswaps

Seit Anfang 2020 quotieren einige Banken und Broker auch Swap-Preise für Zinsswaps auf SONIA in Laufzeiten bis 30 Jahre. Für den SOFR wurden Futures eingeführt. Das Open Interest der SOFR Futures ist im Verhältnis zum Fixed Income Markt bescheiden. Und auch wenn einige Anleihen und Swaps mit längeren Laufzeiten auf die neuen Sätze referenzieren, so ist der große Ansturm bisher ausgeblieben. Der Markt bleibt großteils nach wie vor beim bekannten LIBOR als Referenzzins für die meisten Neugeschäfte. Eine massenhafte Umstellung von Altgeschäften auf Overnight Rates ist auch nicht zu beobachten. Was wird also geschehen?

Die Fall-Back Klausel in ISDA Verträgen

Neue ISDA Verträgen, die auf LIBOR referenzieren, werden künftig sogenannte Notfallklauseln oder Fall-Backs haben. Für Zinsderivate, die von der Umstellung am stärksten betroffen sein werden, wird die International Swaps and Derivatives Association (ISDA) die Vertragsvorlagen entsprechend anpassen. In den 2006 ISDA Definitions wird genau festgehalten werden, wie die Neubewertung im Notfall ablaufen muss. Dafür wird es auf Bloomberg veröffentlichTe Adjustments geben, die angewendet werden müssen, wenn von LIBOR auf einen Overnight Satz umgestellt wird. Dieser Spread wird anhand historischer Durchschnittsdaten der vorangegangenen fünf Jahre berechnet werden. Die Zinsberechnung wird bei Fall-Back vom Fixing in Advance auf Compounded setting in arrears umgestellt werden. Damit es nicht zu Settlement Problemen kommt, wird in der Fallback Klausel auch eine Anpassung der Zahlungen auf voraussichtlich t+2 enthalten sein.

Die neue Fallback Klausel soll bald in allen neuen ISDA Verträgen zum Standard werden. Zusätzlich wird die ISDA – wie auch sonst üblich bei Definitionsänderungen – eine Zusatzvereinbarung anbieten, die Vertragspartner für Legacy Geschäfte abschließen können. Übrigens müssen Marktteilnehmer von der ISDA für die Verwendung der Fallback Rates eine eigene Lizenz erwerben.

Weitreichende Änderungen könnten bevorstehen

Werden die Term Rate LIBORs tatsächlich aufgegeben und durch Overnight Rates ersetzt, hat das weitreichende Auswirkungen. Betroffen wird die gesamte Kette vom Handel über Treasury, Middle Office, Back Office, Risikomanagement, Controlling und alle verbundenen Unternehmen wie Softwareanbieter und Systementwickler, Central Clearer und viele mehr sein. Und wer denkt die Umstellung wird dank der netten Spreads von ISDA und Bloomberg zum Kinderspiel, der soll daran denken, dass viele Geschäfte eben keine simplen Plain Vanilla Trades sind, sondern maßgeschneiderte Absicherungen für Grundgeschäft. Ohne Zustimmung der Vertragsparteien im zugrundeliegenden Kreditvertrag, der ausstehenden Anleihe, Pfandbrief oder dem Schuldscheindarlehen, der Verbriefung oder dem sonstigen Asset, können die Grundgeschäfte nicht umgestellt werden. Und selbst wenn, werden die ISDA Fallback Spreads nicht mehr passen, wenn es um maßgeschneiderte, exotische Swaps geht. Einfach werden die Änderungen nicht werden, und auch nicht von heute auf morgen machbar sein. Dem Markt stehen – sollte es wirklich so weit kommen – anstrengende Zeiten bevor. Aber wer weiß, vielleicht findet der Markt doch noch eine Lösung für einen Erhalt der LIBORs.