Die britische Financial Conduct Authority (FCA), die aktuell für die LIBOR Regulierung zuständig ist, hat im Zuge des LIBOR Skandals die Regulierung des LIBORs an sich genommen, und danach im Jahr 2017 bekannt gegeben, dass sie die Berechnung nur noch bis Ende 2021 garantieren will. Danach sollen die Panel-Banken aus ihrer Pflicht entlassen werden, für die LIBOR Sätze zu quotieren und – geht es nach Andrew Bailey und der Financial Conduct Authority – der LIBOR ersatzlos gestrichen werden.

Der LIBOR ist enorm wichtig für den weltweiten Finanzmarkt

LIBOR wird aktuell für Zinssätze in fünf Währungen (USD, GBP, CHF, JPY, EUR) und in verschiedenen Laufzeiten berechnet (Overnight Spot Next, 1 Woche, 1 Monat, 2 Monate, 3 Monate, 6 Monate und 12 Monate). Der LIBOR entspricht jenem Satz, zu dem sich Banken unbesichert im institutionellen Markt Geld für die entsprechenden Laufzeiten leihen können. Die FCA befand allerdings schon in 2017, dass sie findet, diese Art der Finanzierung des Bankgeschäfts sei nicht mehr zeitgemäß und es deshalb zu wenig tatsächliche Transaktionen gibt, auf denen die Quotes für die Zinssätze basieren können. Trotzdem dienen die LIBOR Sätze als Grundlage für ein gigantisches Volumen an Fixed Income Geschäften, Derivaten und Krediten. Millionen von Verträgen lauten auf den LIBOR, und das weltweit.

Noch immer Neugeschäft in LIBOR

Der LIBOR soll also in weniger als zwei Jahren nicht mehr berechnet werden. Trotzdem schließen viele Marktteilnehmer überall auf der Welt noch immer Swaps, Kredite, Bonds und jede Menge anderer Verträge ab, die auf einen der LIBOR Sätze referenzieren. Im US-Dollar Swap Markt sind Swaps auf USD-LIBOR noch immer der Standard, und Swaps auf den neuen SOFR die exotische Ausnahme. Im britischen Markt sieht es nicht viel anders aus. Der Markt ist weder bereit noch gewillt, sich vom LIBOR zu verabschieden. Die Laufzeiten vieler dieser neuen Verträge, die auf LIBOR abgeschlossen werden, sind deutlich länger als 2021. Hinzu kommt eine riesige Anzahl Altgeschäfte aus vor 2017, die selbstverständlich auf LIBOR referenzieren. Zehntausende Marktteilnehmer sind vom Nutzen und der Funktionalität der LIBOR Sätze überzeugt. Können sie sich alle irren?

Overnight Rates sollen die LIBOR Sätze ersetzen

Die bisherigen LIBOR Sätze sollen – geht es nach der „Official Sector Steering Group“ (OSSG) des Financial Stability Boards – durch eine Reihe von Overnight Sätzen abgelöst werden. Overnight Index Zinssätze sind nichts Neues, es gibt sie schon seit Jahrzehnten, und sie werden standardmäßig seit vielen Jahren für wichtige Funktionen wie die Verzinsung von Collaterals verwendet. Aber als Referenzzins für Swaps, variable Anleihen und Term Rates haben sich die Overnight Rates in der ganzen Zeit nie durchgesetzt, und das nicht ohne Grund. Sie taugen schlicht nicht besonders gut als Grundlage für Termstructures, dafür sind LIBOR Sätze einfach viel besser geeignet. LIBOR-Sätze werden am Beginn einer Zinsperiode festgesetzt, Overnight-Sätze, die für einen längeren Zeitraum gelten sollen, werden hingegen über die gesamte Zinsperiode an jedem Geschäftstag gesammelt, täglich aufgezinst und die Zinszahlung dann im Nachhinein festgesetzt. Daran ist der Markt nicht gewöhnt und es passt nicht in die gängige Risikobetrachtung und Bewertungsmodelle. Jetzt soll den Marktteilnehmern keine Alternative gelassen werden, zumindest in USD, GBP, JPY und CHF. Im Euro sieht die Sache zum Glück weniger dramatisch aus, hier konnte eine Lösung für den EURIBOR gefunden werden, der glücklicherweise nicht von der FCA berechnet wird, sondern vom EMMI (European Money Market Institute).

Worum geht es wirklich?

Der Markt will die LIBOR Abschaffung nicht. Dass die alte Methode der Quotierungen auf Vertrauensbasis anfällig für Manipulation ist, bestreitet im Markt niemand. Doch es gibt – wir sehen es am Beispiel des EURIBOR – sicherlich auch andere Wege, die Daten für die Termrates des LIBORS zu sammeln. Warum also bestehen Andrew Bailey (zuvor CEO der britischen Financial Conduct Authority, ab dem 16.3. Governor der Bank of England) und sein amerikanisches Pendant John Williams (CEO der US Federal Reserve Bank of New York) darauf, LIBOR auf Biegen und Brechen abzuschaffen? Die beiden sitzen übrigens als Co-Chairs der Official Sector Steering Group vor, die das Ende des LIBORS vorbereitet. In dieser Gruppe sitzen ausschließlich Vertreter von Aufsichtsbehörden und kein Vertreter des Marktes. Vor der Finanzmarktkrise wäre es undenkbar gewesen, dass Aufsichtsbehörden über etwas derart wichtiges entschieden hätten wie den LIBOR. Schließlich sind sie nicht die Anwender des LIBOR, nutzen ihn nicht, haben sicherlich nicht die gleichwertige Expertise, die jene haben, die den LIBOR über Jahrzehnte etabliert, verwendet und sinnvoll in ihre Geschäfte integriert haben. Wackelt der Schwanz hier also mit dem Hund? Geht es um eine Machtdemonstration der Aufsichtsbehörde gegenüber den Banken? Ist es überhaupt Aufgabe der Aufsichtsbehörde, etwas so wichtiges wie den LIBOR zu vernichten? Der LIBOR selbst ist schließlich weder schädlich noch gefährlich. Die Datensammelmethode mag überholt sein, doch dafür gibt es heute Dank der verpflichtenden Meldung von Transaktionsdaten von außerbörslichen Geschäften und Central Clearing eine alternative Basis. Was also steckt wirklich dahinter, und wie kann es sein, dass die Entscheidung einiger Aufsichtsbehörden Einfluss bis in den letzten Winkel der Welt hat, denn selbst dort werden die LIBOR-Sätze heute verwendet. Schafft nicht die Nachfrage nach dem LIBOR das Angebot, und überwiegt nicht der Nutzen des LIBORs und seine etablierte Anwendung, die Liquidität des Marktes und die Integration dieses Satzes die Argumente der FCA gegen den LIBOR?

Die Argumente der FCA gegen den LIBOR

Die FCA argumentiert mit mehreren Argumenten, warum sie den LIBOR unbedingt abschaffen muss:

  • Der Markt braucht einen wirklich risikolosen Referenzzins. Gegenargument: Den kann der Markt haben, und Overnight Rates und Repo Rates gibt es bereits sehr lange, dazu jede Menge Government Bond Rates. Diese werden auch verwendet, etwa zur Verzinsung von Collateral, das aus risikolosen Assets besteht. Doch für die Bewertung von Zinsswaps zwischen zwei Banken eignet sich der LIBOR besser. Er enthält nämlich schon den entsprechenden Credit Spread. LIBOR und die Existenz eines anderen, risikoloseren Referenzsatzes schließen einander nicht aus.
  • Die Transaktionen in den Grundgeschäften, die zur Bildung des LIBOR führen, reichen nicht mehr aus. Gegenargument: Für den EURIBOR scheinen sie doch auszureichen, wer also hat Recht?
  • Die Panel-Banken wollen nicht mehr quotieren. Gegenargument: Die Banken nutzen den LIBOR nach wie vor, und für den EURIBOR haben sich auch Banken gefunden. Ist der LIBOR dem Markt wichtig, werden sich die Banken schon finden, man sollte diese Entscheidung also den Marktteilnehmern überlassen. Alternativ könnte man immer noch auf gemeldete Transaktions – und Marktdaten zurückgreifen.
  • Der Ruf des LIBOR ist durch den Skandal nachhaltig geschädigt. Gegenfrage: Warum verwenden ihn dann noch immer so gut wie alle?
  • SONIA, SOFR, SARON und Co sind viel besser und können genauso verwendet werden, um einzelne Laufzeiten abzubilden. Gegenargument: Die Overnight Sätze gibt es schon sehr lange, und trotzdem hat sie bisher kaum jemand verwendet, um lange laufende Swaps zu handeln. Fixing in arrears, eine tägliche Verzinsung und fehlende Laufzeitbänder und Forwards machen die Verzinsung für langlaufende Fixed Income Produkte ungeeignet.

Riskiert die FCA die globale Stabilität des Finanzsystems?

Seit Jahren predigt die FCA und auch das von ihr dominierte Financial Stability Board, dass Finanzinstitute doch endlich für jegliches Neugeschäft auf LIBOR verzichten sollten und ihre Altgeschäfte so bald wie möglich auf die dafür empfohlenen Ersatz-Referenzsätze der Overnight-Rates umstellen sollen. Trotzdem ist der USD LIBOR nach wie vor in gigantischer Größe in Verwendung, auch für Neugeschäft, und eine massenhafte Abänderung von Altgeschäft auf SOFR & Co ist bisher absolut nicht zu beobachten. Ein kleiner Erfolg ist in Großbritannien zu sehen, wo viele neue, variable Anleihe-Emissionen auf SONIA referenzieren. Aber im deutlich stärkeren Derivatemarkt ist SONIA noch nicht der Zins der Wahl, zumindest nicht für lange Laufzeiten. Für kurze Laufzeiten gibt es OIS Swaps bereits seit über zwei Jahrzehnten. Aber was passiert, wenn es den LIBOR von heute auf morgen wirklich nicht mehr geben sollte? Die Umstellung von LIBOR auf OIS ist keine reine Formsache, sondern zieht weitreichende Bewertungsfragen, Risikoberechnungen und Modellfragen mit sich. Ein nicht zu unterschätzendes Systemrisiko, das die FCA offensichtlich in Kauf zu nehmen scheint. Doch ist es nicht Aufgabe von Aufsichtsbehörden, gerade solche Systemrisiken zu vermeiden?

Warum etwas abschaffen das gut funktioniert?

Der LIBOR hat über Jahrzehnte gut funktioniert. Die Nachfrage schafft das Angebot, und der LIBOR wäre nie so wichtig geworden, hätte er keinen Nutzen geboten, selbst nach der Krise und dem LIBOR Skandal. Wären die nun von den Aufsehern auserkorenen Overnight-Sätze wirklich so toll und nützlich für lange Laufzeiten, warum haben sie sich dann nicht schon längst im Markt etabliert? OIS Sätze werden verwendet, für viele Bewertungen, aber sie konnten in den Jahrzehnten, in denen es sie bereits gibt, keinen Ersatz liefern für LIBOR und Co. Warum also wollen FCA und FSB mit Gewalt dieses wichtige Zahnrad der Finanzwelt abschlagen?

Integrität und Verlässlichkeit sind wichtig

Niemand stellt in Frage, dass gerade bei weit verbreiteten Referenzsätzen die Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit der Berechnung und der Berechnungsgrundlagen enorm wichtig sind. Dass es hier in der Vergangenheit Missstände gegeben hat, steht ebenfalls fest. Eine Antwort darauf kam von der Europäischen Kommission in Form der Benchmark Verordnung, die ein wichtiges und funktionierendes Rahmenwerk für die Berechnung und Verwendung von Benchmarks und Indizes festlegt. Für die FCA sind EU Verordnungen natürlich nach dem Austritt aus der EU nicht mehr relevant. Dennoch könnten sie ein gutes Beispiel liefern, wie die LIBOR Sätze auf ein besseres Fundament gestellt werden können, ohne ihre Abschaffung zu erzwingen. Beim EURIBOR hat es gut geklappt, hier sind die EU Aufsichtsbehörden einen marktnahen Weg gegangen. Denn auch wenn der LIBOR Skandal und die damalige an den Tag gekommene Arroganz vieler Banker wütend macht, sollte niemand aus den Augen verlieren, dass es um mehr geht als einen Denkzettel für einige große Banken. Die Auswirkungen des LIBOR reichen bis in kleine Unternehmen und ihre Kredite, betreffen jeden Assetmanager und jeden Rentenfonds, und damit auch den kleinen Bürger. Die großen Banken können die Bewertungs- und Modellproblematiken auch kurzfristig stemmen und die mit Sicherheit entstehenden Markt- und Bewertungsungleichgewichte zu ihren Gunsten für satte Gewinne nutzen. Für den außenstehenden Beobachter stellt sich trotzdem die Frage: Warum das alles?