Man kann es wenden und drehen, wie man will: Seit 2008 befindet sich die Weltwirtschaft in der Krise. Schwächelndes Wirtschaftswachstum, verlorenes Vertrauen innerhalb des Finanzsystems, ein QE-Programm und Bond-Kaufprogramm der großen Zentralbanken nach dem nächsten, trotzdem sind wir stets am Rande der Deflation statt Inflation, negative Zins- und Swapsätze, Deutsche Staatsanleihen, die bereits bei ihrer Emission ein Verlustgeschäft für den Anleger sind, jetzt auch noch diese leidige Corona-Sache, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb: Aktienindizes auf Rekordständen. Kunstauktionen mit Mondpreisen. Immobilienpreise, die nur eine rasante Entwicklung nach oben kennen. Eigentlich riskante Assetklassen trotzen der Krise und steigen gegen jede Vernunft und Logik immer weiter im Wert. Steht die Welt des Risikos Kopf?

Ändern Bits und Bytes unsere Risikoeinstellung?

In Krisenzeiten versucht der kluge Hirte seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Investoren suchen nach den besten Möglichkeiten, ihre Ersparnisse, Gewinne und Investitionen so anzulegen, dass ihr Vermögen die Krise möglichst unbeschadet übersteht und sich im Idealfall sogar noch vermehrt. In früheren Jahrhunderten war das gar nicht so einfach. Wertpapiere waren noch das, was das Wort meint, und zwar physisches, bedrucktes Papier, das auch physisch gegen Bargeld im Köfferchen an einem physischen Finanzplatz zwischen Menschen, die sich persönlich treffen mussten, gehandelt werden konnte. Dividenden und Zinskupons mussten noch vom Bogen abgeschnitten und physisch bei einer ganz bestimmten Zahlstelle gegen Bargeld eingetauscht werden. Glücklicherweise ist heute alles anders. In unserer global vernetzten Welt geht es nur noch um Bits und Bytes, weder Geld noch Wertpapiere existieren physisch, und gehandelt wird bequem von irgendwo auf der Welt, vorausgesetzt es gibt eine Datenleitung. Die Möglichkeiten für Investoren sind heute größer, internationaler und transparenter denn je. Außerdem hat sich die Geschwindigkeit verändert, mit der gekauft und wieder verkauft werden kann, und das bei vergleichsweise lächerlichen Transaktionskosten. Hat sich dadurch auch die Einschätzung von Risiko geändert?

Aktien, Immobilien und Kunst als Safe Haven?

Warum aber fließen so dramatisch viele Investorengelder in Aktien, Immobilien und Kunst? Ein gewagtes Argument: Es handelt sich um Safe Haven Flows, also einen Geldfluss in Richtung möglichst sicherer Assets. Freilich widerspricht genau das der gängigen Kapitalmarktlehre, die Aktien als riskant und Anleihen, Gold und Barreserven als sichere Assets betrachtet. Eine ganze Fülle an Portfoliotheorien orientiert sich daran und empfiehlt Anlegern, nur in jungen Jahren in Aktien zu investieren und später im Leben lieber in den sicheren Hafen der Anleihen einzulaufen. Aber stimmt das heute noch? Haben die alten Finanzmarkttheoretiker Recht, oder doch der Markt? Schließlich besagt eine alte Finanzmarktweisheit: „Der Markt hat immer Recht.“

Die Alternativen sind womöglich noch riskanter

In der Finanzanlage geht es immer um Alternativen. Schließlich muss mit vorhandenem Geld irgendetwas gemacht werden. Eine Entscheidung für eine Anlage wird stets im Vergleich zu anderen möglichen Investitionen getroffen und anhand von Risiko und Rendite abgewogen. Doch welche Alternativen haben Anleger – wir sprechen vor allem von jenen mit viel Vermögen – aktuell?

Bargeld, Treasuries, Bunds, Gold oder Bitcoin?

  1. Sie können ihr Vermögen in Form von Cash, also Bargeldreserven halten. Nun gut, die Diskussion ist selbst unter Volkswirten derzeit sehr strittig, aber eine gewisse Inflationsgefahr durch die Machenschaften der Zentralbanken und die zunehmende Unberechenbarkeit von Regierungen in Bezug auf Staatsschulden ist nicht zu leugnen. Freilich kennt niemand die Zukunft und keiner wünscht sich eine dramatische Inflation, doch selbst eine reale Inflation von drei oder vier Prozent wäre für den Erhalt von Vermögen schlecht. Cash ist damit riskant.
  2. Wie steht es mit Bundesanleihen und Treasuries, also den klassischen, risikolosen Anleihen? Die Nachfrage danach ist groß, und das seit Jahren. Das hat viele Gründe, eine davon die Notwendigkeit von hochwertigstem Papier für Repos und Collateral. Treasuries und Bundesanleihen dienen als Liquiditätsversicherung und Liquiditätsersatz, haben deshalb mit dem Anlage-Segment nicht mehr viel zu tun. Schon bei Emission sind Bundesanleihen oft ein Verlustgeschäft. Dazu das große Zinsrisiko, dem langlaufende Anleihen mit niedrigen Zinssätzen besonders ausgesetzt sind. Für Anleger also keine Option. Viel zu riskant!
  3. Gold! Das klassische Safe Haven Asset! Es gibt nur einen begrenzten Vorrat an Gold auf unserer Welt, der Preis entwickelt sich in Krisenzeiten sehr gut, und außerdem ist es aufgrund seiner hohen Dichte und kleinen Größe einfach aufzubewahren und kann zur Not in einem Koffer transportiert werden. Was stimmt ist, dass sich der Preis von Gold in Krisenzeiten gerne nach oben bewegt. Das mit der Knappheit trifft allerdings nur begrenzt zu, denn ganz so wenig gibt es nicht, und steigt der Preis genug, gibt es stets ausreichend Verkäufer, die Gewinne mitnehmen, um das Geld in andere, profitablere Assets zu stecken. Schließlich legt Gold keine Eier und zahlt keine Zinsen. Die Volatilität des Goldpreises ist zudem nicht unbeachtlich, und eine hohe Vola ist gleichbedeutend mit hohem Risiko. Eine spannende Assetklasse ist Gold bestimmt. Eine risikolose Anlage allerdings nicht.
  4. Kryptowährungen: Alles in Bitcoin! Wenn Dollar, Euro, Yen und Sterling erst den Bach hinunter fließen oder gar über den riesigen Wasserfall eines globalen Kollaps stürzen, könnte Bitcoin da die Rettung des Vermögens werden? Wohl kaum, denn dafür ist Bitcoin noch zu abgehoben, zu wenige Menschen haben darauf Zugriff, und wer sagt, dass Bitcoin die Krise überlebt? Dazu eine hohe Volatilität und die Gefahr von Cyber Diebstahl und anderen, technischen Pannen. Kryptowährungen mögen ebenfalls eine spannende Sache sein, aber ein sicheres Asset, nein, das sind sie nicht.
  5. Rohstoffe? Wir erinnern uns kurz daran, was im Mai 2020 mit dem WTI Öl Future passiert ist, und lassen auch hier lieber die Finger davon, wenn wir von sicheren Assets sprechen. Geld verdienen lässt sich mit Rohstoff-Investments schon immer, aber es lässt sich damit auch schon immer viel Geld verlieren. Also lieber doch nicht.
  6. Emerging Markets stehen noch auf meiner Liste, aber die galten noch nie als sichere Assets, und aktuell mit der ganzen Corona Problematik und einer langen Liste an EM-Bittstellern beim Internationalen Währungsfonds dürfte sich die Frage danach in Bezug auf sichere Vermögensanlagen sehr schnell erledigt haben.

Aktien, Kunst und Immobilien als sicherste Assets?

Es bleibt Anlegern also wenig Wahl, um ihr Vermögen zu parken, zu sichern oder gar zu vermehren. Sie haben die Wahl zwischen Pest und Cholera, oder etwas moderner gesprochen zwischen Covid und Schnupfen, und da wählen sie lieber den Schnupfen. Denn zugegeben sind Aktien, Kunst und Immobilien auch keine Traum-Assets was Sicherheit betrifft, aber im Chancen-Risiko-Vergleich schneiden sie seit 2008 gar nicht so schlecht ab. Aktien sind Mitbesitzanteile an Unternehmen, und eine schwächelnde Wirtschaft ist für Unternehmensgewinne nicht gerade vorteilhaft. Doch die Menschheit kauft weiter Dinge ein und nimmt Dienstleistungen in Anspruch, also ganz aussterben dürften Unternehmen auch nach Corona und Finanzmarktkrise nicht. Kunst ist Ansichtssache, kann gestohlen oder zerstört werden, der Markt ist intransparent, und trotzdem behalten jene Werke, die einheitlich als wertvolle Kunst angesehen werden, ihren Wert gerne dauerhaft. Immobilien sind wohl auch kein Allheilmittel, sie werden irgendwann alt, kaputt oder unattraktiv, Standorte kommen und gehen, Grundsteuern steigen, doch im Großen und Ganzen ist bei guter Lage eine positive Rendite erzielbar und die Substanz immerhin von einer gewissen Dauerhaftigkeit.

Asset Managern fehlen sichere Alternativen

Bei der Suche nach Alternativen gehen vielen Asset Managern derzeit schlicht die Argumente gegen Aktien, Immobilien und Kunst aus. Sie sind im Vergleich zu anderen Anlagen wohl keine allzu schlechte Wahl, Vermögen zu parken. Wie lange, das wird sich zeigen. Vermögensverwaltern wäre es sicherlich auch lieber, zurück in die gute, alte Welt der sicheren Anleihen mit ihren stabilen 5% Renditen und langweiligen Risikoprofilen zurück zu kehren. Sie hätten bestimmt auch lieber ihr klassisches 40/60 Porfolio, das sie ohne große Aufregung und Risiko an die breite Masse verkaufen könnten. Doch seit 2008 steht die Welt des Risikos Kopf. Wie lange wir es aushalten, bis uns zu viel Blut in den Kopf geschossen ist und wir umkippen, wer weiß? Der Safe Haven Strom in Richtung Aktien- und Immobilienmärkte dürfte vorerst aber noch anhalten.