Der Markt hat zu wenig gute Assets

Finanzinstitute, Unternehmen, Zentralbanken, Fonds, Stiftungen, institutionelle Anleger, Verbriefungszweckgesellschaften, Börsen und zentrale Gegenparteien haben eine große Gemeinsamkeit: Sie alle wollen und brauchen hochwertige, liquide Assets. Neu ist das freilich nicht. Was sich über die vergangenen eineinhalb Jahrzehnte seit der Finanzmarktkrise allerdings geändert hat, sind zwei wichtige Dinge:

Qualitätsansprüche und Einsatz haben sich verändert

  1. Die Einschätzung, was zu den hochwertigen Assets zählt, hat sich verändert. Bis 2008 waren auch Investment Grade Corporate Bonds, Bankanleihen, Commercial Paper und die oberen Tranchen sämtlicher Verbriefungen wie ABS, CLO, CDO und sogar CDO2 Teil der risikoarmen und hochwertigen Assets, dazu Aktien aus den großen Indizes und Geldmarktfondsanteile. Heute? Sichteinlagen, ausgewählte Staatsanleihen, manche öffentliche Anleihen und Supranationale Bonds und vielleicht noch Gold und Platin, aber mit Abschlag.
  2. Die zweite, wichtige Änderung betrifft, wozu diese hochwertigen Assets eingesetzt werden (müssen). Vor 2008 war es vor allem der Repo-Markt, in dem der damals deutlich größere Assetpool qualitativ als hochwertig angesehenen Anlagen eingesetzt wurde, um Liquidität zu schaffen und zu vermehren. Heute? Eine Vielzahl neuer Vorgaben und veränderte Marktverhältnisse machen Assets höchster Qualität unter anderem notwendig für:
  • Eigenkapitalanforderungen an Banken und Versicherungen
  • Collateral für Kredite, Derivate und sonstige Verbindlichkeiten
  • Repo-Geschäfte
  • Margins für zentral geclearte und nicht zentral geclearte Derivate
  • Liquiditätsreserven

Immer mehr Geschäfte müssen besichert werden

Der Trend in Richtung Besicherung reicht lange zurück. Schon vor der Finanzmarktkrise hatten die meisten großen Häuser untereinander Collateral Vereinbarungen für den Großteil ihrer gehandelten Derivate. Kleinere Adressen hingegen und vor allem Corporates liefen hingegen meist über unbesicherte Linien. Das hat sich geändert. Einerseits gibt es eine ganze Reihe regulatorischer Vorschriften, die etwa das zentrale Clearing der meisten außerbörslich gehandelten Derivate vorschreiben, und zunehmend auch das Margining für nicht zentral geclearte Derivate. Andererseits sehen auch Marktteilnehmer selbst die Notwendigkeit, das Ausfallrisiko entsprechend abzusichern. Die gesamte Risikobetrachtung hat sich verändert, und Bonitätsrisiken und Liquiditätsrisiken werden heute strenger bewertet und anders gesehen, als vor der großen Finanzmarktkrise. Auf der einen Seite ist der Drang nach Sicherheit und die kritische Betrachtung möglicher Risiken ein positiver Schritt, um Systemrisiken zu vermindern. Andererseits aber sehen wir im Markt ganz deutlich, dass die Menge an Collateral, die nun hinterlegt werden muss, stark gestiegen ist und dadurch mehr und mehr Assets langfristig aus dem Markt genommen werden.

Ansprüche an Assets sind deutlich gestiegen

Bis 2008 reichte ein vernüftiges Rating im A-Bereich aus, um als hochwertiges Asset zu gelten, das als Collateral und für Repos akzeptiert wurde. Der mögliche Collateral- und Repo-Pool war entsprechend riesig. Heute müssen Assets folgenden Kriterien entsprechen, die das Universum verfügbarer Assets dramatisch einengen:

  • Die Bonität muss außer Frage stehen. Sichteinlagen in einer der großen Währungen, Staatsanleihen ausgewählter Staaten höchster Bonität, Anleihen öffentlicher Emittenten, wenn diese vom ausgewählten Staat garantiert werden, einige supranationale Organisationen und Entwicklungsbanken sowie Gold sind in Ordnung. Alles andere wird nur bedingt akzeptiert, gar nicht oder nur mit schwindelerregend hohen Haircuts.
  • Die Liquidität muss dramatisch gut sein, selbst in Krisensituationen. Deshalb kommen beinahe ausschließlich die sogenannten On-the-Run-Papiere in Frage, selbst bei Staatsanleihen.
  • Die Wertstabilität muss selbst in Zeiten der Krise gegeben sein.
  • Der Collateralnehmer oder Repo-Käufer muss einen direkten Marktzugang beim betreffenden Asset haben, denn im Zweifel zählt jede Sekunde wenn es um die Liquidierung geht.

Assets sind Mangelware

An gute Assets zu kommen ist nicht einfach. Auktionen von On-the-Run Treasuries etwa sind regelmäßig heillos überzeichnet, und auch die Auktionen für Bundesanleihen der Republik Deutschland und anderer, qualitativ hochwertiger Staaten sind so nachgefragt, dass die Renditen regelmäßig negativ ausfallen. Das hat mit der hohen Nachfrage und dem Mangel an ausreichend qualitativ hochwertigen Assets zu tun. Der Bedarf ist deutlich höher als das Angebot. Das haben mittlerweile zwar auch die Zentralbanken erkannt, und viele haben ihre Qualitätsanforderungen für zentralbankfähige Assets teils bedenklich gesenkt. Im Interbankenmarkt aber ist nach wie vor Cash Trumpf vor allerhöchster Bonität und Liquidität, und davon gibt es leider nicht genug für alle. Das schränkt das Geschäft ein.

Assets und Liquidität stehen dem Markt nicht zur Verfügung

Nun hat sich, wie wir bereits erklärt haben, das Universum möglicher Sicherheiten und Repo-Assets sehr verkleinert. Diese aber wiederum sind mehr und mehr aus dem Markt genommen. Denn Sichteinlagen, Wertpapiere, Verbriefungen und Edelmetallbestände, die als Sicherheit für Derivate oder Verbindlichkeiten hinterlegt wurden, dürfen nicht für andere Dinge verwendet werden. Sie bleiben getrennt von Assets und Betriebsvermögen als Sondervermögen liegen und werden verwahrt. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass diese Vermögenswerte weder dem Finanzmarkt noch der Wirtschaft zur Verfügung stehen. Dem Markt wird Liquidität entzogen, bei Cash direkt, und im Fall anderer Assets indirekt. Denn normalerweise könnten diese hochwertigen Assets wiederum für Repo-Geschäfte eingesetzt werden, um Liquidität zu schaffen und zu vermehren. Das fällt nun weg, und vor allem der Repo-Markt leidet seit Jahren unter einem Mangel geeigneter Assets.

Liquidität wird gehortet

Die mit Abstand größten Teilnehmer am Besicherungsmarkt sind Banken. Es gehört zu ihrem Grundgeschäft, mit Derivaten zu handeln oder für deren Handel als Broker und Risikodrehscheibe zu fungieren. Gerne finanzieren sich Banken auch über den Repo-Markt, doch durch den Mangel an Qualitätsassets, die im Repo akzeptiert werden, müssen sie zunehmend Cash horten. Schließlich ist das größte Risiko einer Bank – und im Übrigen auch jedes Unternehmens – nicht, Verluste zu schreiben, sondern unvorhergesehen insolvent zu werden, also kein Bargeld mehr zu haben. Wie schnell das selbst großen Banken passieren kann, haben uns Lehman Brothers gelehrt, die aufgrund stark schwankender Märkte plötzlich keine Margin- und Collateralzahlungen mehr leisten konnten. Sie hatten schlicht nicht genug Cash in Reserve, und viele der Assets, die sie hatten, wurden plötzlich im Repo-Markt und von Collateralpartnern nicht mehr als Sicherheit akzeptiert. Cash ist deshalb heute Trumpf, und einen riesigen Berg Sichteinlagen – am besten hinterlegt bei der Bundesbank – vor sich herzuschieben gehört mittlerweile zum Selbstverständnis bei allen Banken. Liquidität wird gehortet.

Liquidität kommt nicht in der Wirtschaft an

Da nun aber die Banken und großen Finanzdienstleister große Reserven hochwertiger Assets und Cash horten, kommt die viele Liquidität, die Zentralbanken zur Verfügung stellen, nicht in der Wirtschaft an. Banken und Finanzinstitute halten heute gigantische Mengen an Staatsanleihen, häufig ihres eigenen Staates und damit ihres eigenen Marktes. Sie tun das nicht aus Motiven des guten Samariters heraus, weil sie ihrem Staat helfen wollen – Banken sind nur an ihren eigenen Gewinnen interessiert und sonst nichts – sondern, weil es genau diese Anleihen sind, die sie als Collateral oder Margin posten, im Repo-Markt für Liquidität einsetzen und im Notfall aufgrund ihres guten, heimischen Marktzugangs schnell liquidieren können. Die Cash-Bilanzen der Banken sind ebenfalls schwindelerregend hoch. Gigantische Summen werden allein in Deutschland von Banken Nacht für Nacht bei der Bundesbank geparkt, Negativzins hin oder her. Denn vor allem Banken machen sich großen Sorgen um ihre Liquidität.

Kreditvergaberichtlinien werden mehr und mehr verschärft

Die Liquiditätskrise belastet den gesamten Finanzmarkt. Sie schwappt aber auch direkt in die reale Wirtschaft über, weil Banken immer weniger gewillt sind, Kredite zu vergeben. Die EZB führt dazu halbjährlich Umfragen zum Kreditgeschäft („Bank Lending Survey„) unter Banken durch. Die Zahlen aus Deutschland sind eindeutig: Seit April 2019 haben deutsche Banken nach eigenen Angaben die Kreditrichtlinien immer weiter verschärft, und seit 2020 im Zuge von Corona sogar sehr deutlich, wie die deutschen April 2020 Umfragewerte zeigen. Die befragten Banken planen zudem bald noch schärfere Kreditvergaberichtlinien, vor allem für Unternehmen. Als Gründe nennen sie „die ver­schlech­ter­te Ein­schät­zung des Kre­dit­ri­si­kos sowie eine ge­rin­ge­re Ri­si­ko­to­le­ranz“. Und das, obwohl die Nachfrage nach Krediten deutlich gestiegen ist.

Liquiditätskrise wegen zu viel Sicherheitsbestreben?

Dem Markt mangelt es an Liquidität. Gleichzeitig krankt das System an einer geringen Umlaufgeschwindigkeit und reduzierter Geldschöpfung. Der Interbankenmarkt für Repos ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst, und der beliebteste Funding-Partner ist die jeweilige Zentralbank. Der Finanzmarkt rollt nicht mehr so rund und flüssig, wie vor 2008. Das Rad mag sich davor zeitweise gar zu schnell und übermütig gedreht haben. Doch die jetzige Situation des beinahen Stillstands darf auch keine Dauerlösung sein. Der beste Weg wird wie meistens irgendwo in der Mitte der beiden Zustände zu finden sein: Ein wenig mehr Risikobereitschaft, höhere Renditen, Schaffung von Liquidität durch ein breiteres Assetspektrum und eine Rückkehr eines aktiven Interbanken Marktes. Dass sich die Voraussetzungen aufgrund von Regulierung und Marktveränderungen deutlich verschoben haben, macht es nicht einfacher, diesen Weg zu sehen.