Das Jahr 2020 ist für Solvency II sehr wichtig. Schließlich steht die Überprüfung der seit 2016 für Versicherungen geltenden Regulierungen an. An vielen Stellschrauben wird aktuell gedreht, um Solvency II zu verbessern und zu stärken.

Im Juni 2020 gibt es erste Details

Wie genau Solvency II angepasst und verändert wird, ist aktuell noch in Diskussion. Seit einem Jahr arbeiten die EIOPA, die EU-Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen, zusammen mit Marktteilnehmern und nationalen Aufsichtsbehörden an Verbesserungen und Änderungen. Dass Solvency II wichtig ist, um den Versicherungsmarkt in der EU zu harmonisieren und auf solide, sichere Beine zu stellen, ist dabei kein Thema, denn von der Wichtigkeit und Bedeutung von Solvency II sind alle überzeugt.

Diesmal ohne Input aus Großbritannien

Solvency II ist zu einem großen Teil das Werk der britischen Aufsichtsbehörden. Dieser Input wird diesmal fehlen, und die tatsächliche Richtung der Änderungen könnte sich damit verändern. In den ursprünglichen Verhandlungen zu Solvency II hatte sich Großbritannien mit vielen Vorschlägen durchgesetzt, und das Regelwerk der EU gleicht ziemlich genau dem, was die Briten davor als nationale Regulierung für ihren eigenen Versicherungsmarkt hatten. Dieser war – das mag viele überraschen – schon vor vielen Jahren ausgesprochen auf Sicherheit und Konsumentenschutz bedacht. Denn die Briten hatten in den Jahren 1999-2000 mit dem Zusammenbruch eines ihrer größten Lebensversicherern Equitable Life eine große Krise im eigenen Markt, der zu lockere Regulierung und fehlende Kompetenzen der Aufsichtsbehörden offenbarte. Als Folge wurde bereits vor 20 Jahren eine Mindestunterlegung mit Eigenkapital für Versicherungen eingeführt, sowie umfassende Bewertungs- und Aufsichtsregelungen verabschiedet. Die Finanzkrise 2008 konnte deshalb dem britischen Versicherungsmarkt wenig anhaben und hat Großbritannien als Versicherungsplatz deutlich gestärkt. Solvency II hat sich an diesem erfolgreichen Beispiel orientiert. Wie sich Brexit und damit der fehlende Einfluss des UK auf Änderungen in Solvency II auswirkt, wird sich zeigen.

ESG als neuer Baustein

Als sicher gilt, dass ESG – environmental, social and governance – Aspekte mit in Solvency II aufgenommen werden. Die Europäische Kommission ist mit ihrem European Green Deal und dem EU Action Plan on Sustainable Finance ein Vorreiter in der Implementierung von ESG Kriterien und der Transparenz zu ökologischen und sozialen Aspekten des Finanzmarktes sowie einer nachhaltigen Unternehmensführung. Dass Solvency II hier ebenfalls einen ESG-Baustein erhält, erscheint nur schlüssig. Schließlich sind Versicherungen und Versorgungswerke mit die wichtigsten Investoren weltweit. Eine Kapitallenkung über ESG Kriterien könnte dem Thema Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung einen deutlichen Schub geben.

Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung

Bei ESG geht es nicht nur um Umwelt- und Klimaschutz, wie viele denken. Das Thema reicht viel weiter und orientiert sich an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Hier sind insgesamt 17 Ziele genannt, die ESG ausmachen, und auf deren Verbesserung hingewirkt werden soll. An erster Stelle steht die Bekämpfung von Armut, gefolgt von „kein Hunger mehr“. Gesundheit, gute Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen folgen. Danach kommen saubere und leistbare Energie, würdige Arbeitsstellen, wirtschaftliches Wachstum, weniger Ungleichheit, nachhaltige Städte und Gemeinschaften, verantwortungsvoller Konsum und Produktion, Klimaschutz, Schutz der Unterwasserwelt, Umweltschutz an Land, Friede, Recht und stabile Institutionen, sowie eine globale Partnerschaft, um diese Ziele zu erreichen. Wie jeder gut sehen kann, geht es um weit mehr als Klimaschutz. Nachhaltigkeit und ein Investieren und Wirtschaften nach ESG Kriterien reicht viel weiter. Den großen Kapitalanlegern kommt hier eine wichtige Lenkungsfunktion zu, die Solvency II verpflichtend festschreiben wird.

EU Taxonomy wohl als Grundlage

Wie genau die Formulierungen in Solvency II NEU aussehen werden, was Umweltschutz betrifft, steht noch nicht fest. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass sich Solvency II in Bezug auf Klima- und Umweltschutz hier sehr genau an der EU Taxonomy orientiert, die im März 2020 finalisiert wurde und die Kriterien für den EU Action Plan on Sustainable Finance festlegt. Die EU Taxonomy hat zum Ziel, Kapital in Richtung jener Projekte und Unternehmen zu lenken, die sich um Klima- und Umweltschutz bemühen. Dieses Kapital muss irgendwo her kommen, und da passt die Änderung von Solvency II mit einer Aufnahme von ESG Kriterien nur allzu gut in den Zeitplan.

Grüne und ESG Investments plus Anlegerschutz

Solvency II basiert ganz grundsätzlich auf den Bausteinen der korrekten Bewertung von Werten und Risiken, dem Risikomanagement sowie einem transparenten Reporting. Der ESG-Baustein darf den Anlegerschutz nicht aufweichen. Möglichkeiten, ESG Aspekte zu berücksichtigen, gibt es mehrere. Entweder, solche Anlagen, die der neuen ESG Richtung entsprechen, müssen mit weniger Risiko und damit Kapital bewertet werden, oder der Blacklisting-Ansatz, in dem Anlagen, die den Kriterien nicht entsprechen (z.B. fossile Brennstoffe, chemische Industrie, Monokulturen, etc.) müssen mit Risikoaufschlägen rechnen. Der erste Ansatz könnte sich negativ auf den Anlegerschutz auswirken.

Versicherungen tragen hohe Klimaänderungs-Risiken

Für Versicherungen nicht unwichtig sind die Auswirkungen der Klimaveränderungen auf ihre Schadensbilanzen. Schließlich tragen sie bei großen Naturkatastrophen die finanzielle Hauptlast. Solvency II NEU wird wohl auch dieses industriespezifische Systemrisiko im Auge behalten, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass hier spezielle Modelle, Szenarien und Risikoaufschläge verpflichtend vorgeschrieben werden.

ESG wird uns mehr denn je begleiten

Wer dachte, Umwelt- und Klimaschutz sowie der Blick auf soziale Themen und nachhaltige Unternehmensführung wäre nur ein vorübergehender Hype, der hat sich geirrt. ESG wird uns nachhaltig begleiten und mehr und mehr Teil von Investitionsentscheidungen werden. Green Bonds, Transitionsbonds, gründe Schuldscheindarlehen, ESG-linked Loans, ESG Ratings und ESG Reportings werden sich mehr und mehr als Standard etablieren. Dass der gesetzliche Rahmen hier den Anstoß gibt, ist nur sinnvoll und auch wünschenswert, um die Finanz- und Versicherungswirtschaft in die entsprechende Richtung zu lenken.