Wenn die Sache schief geht

Niemand wünscht es sich, und doch passiert es: Investments, Kredite, Verbriefungen, Derivate und Beteiligungen erleiden noch während ihrer geplanten Laufzeit einen Totalschaden. Das ist bitter und manchmal existenzbedrohlich. Für den Anleger oder den Kreditgeber ist es ein Albtraum, für den Arrangeur oder die Emittentin jedenfalls ein Reputationsschaden, und für Anwälte und Journalisten eine goldene Möglichkeit. Für die Buchführung ist die Sache hingegen klar: Der Kredit, die Beteiligung, die Investition oder das Derivat werden auf null abgeschrieben.

Abgeschrieben ist nicht gleich ausgelöscht!

Rein vermögensmäßig mögen die ausgefallenen oder wertlos gewordenen Wertpapiere, Derivate oder Beteiligungen nicht mehr in der Bilanz aufscheinen. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich komplett in Nichts aufgelöst haben. Haben die betroffenen Papiere, Derivate und Beteiligungen noch eine Restlaufzeit oder gar unbegrenzte Laufzeit, bleiben sie als Rechte und Pflichten erhalten. Sie müssen rein organisatorisch weitergeführt und verwaltet werden. Sie landen auf den gigantischen Schrottplätzen der Finanzwelt.

Der ganze Schrott wird gesammelt

Die Namen sind von Bank zu Bank, Versicherung zu Versicherung und Broker zu Broker verschieden. Ob Cash Resolution Group oder Abwicklungsabteilung, auf ihre elektronischen Handelsbücher wird alles gebucht, das anderswo niemand mehr haben will und das andere Händler aus ihren eigenen Büchern wertlos ausbuchen. Der ganze Dreck landet in der Resolution Group, defaultete Counterparties, eigentlich schon abgeschriebener Schrott, und nicht nur der eigene, sondern auch geerbter, aufgekaufter und übernommener, manchmal freiwillig, manchmal auch nicht. Eine ganze Fülle verschiedenster Anlagen und Derivate muss hier weiter verwaltet und in manch seltenen Fällen wieder zu Geld gemacht werden.

Bewertung nicht möglich?

Auf den Handelsbüchern der Cash Resolution Groups landen nicht nur langweilige und einfache Finanzprodukte wie tief aus dem Geld liegende Optionen, sondern auch immer wieder extrem ausgefallene Exoten. Die Finanzwelt ist bekanntlich sehr kreativ, und gerade im institutionellen Bereich werden viele Produkte maßgeschneidert. Es finden sich die verrücktesten Derivate und Anleihen, deren einziger Zweck es womöglich einmal war, Steuern zu sparen, Erträge umzuleiten, andere Produkte zu verschleiern oder ebenfalls schief gegangene Geschäfte durch noch komplexere Konstruktionen umzustrukturieren. Für diese hoch komplexen Exoten ist die Bewertung eine Herausforderung bis schlicht nicht möglich, zumindest nicht mit einem vernünftigen Resourceneinsatz.

Bewertungen ohne Modell

So kommt es im Sumpf der Cash Resolution Schrottplätze vor, dass Produkte ohne die Verwendung eines Modells bewertet werden. Es herrscht völliger Wildwuchs, resultiert in völlig an den Haaren herbeigezogenen Preisen, aber am Ende stört es wohl niemanden. Denn die Entwicklung eines eigenen, validierten Modells für ein neues Produkt ist teuer. Befindet sich dieses Produkt zudem bereits in der Abwicklungsabteilung, und ist es noch dazu das einzige seiner Art oder eines von sehr wenigen, so lohnt der finanzielle und personelle Aufwand schlicht nicht.

Auch Schrott birgt Chancen und Risiken

Dennoch, ganz auf die leichte Schulter nehmen sollte man die Existenz riesiger Abwicklungsportfolien nicht. Denn auch wenn die Produkte bilanziell abgeschrieben sind, so existieren sie doch weiter. Viele beinhalten eine Fülle von Optionen und exotischen Zahlungsströmen, von Rechten und Pflichten, und es kann durchaus vorkommen, dass aus ihnen doch noch der ein oder andere Funke schießt. Im Idealfall läuft ein Produkt, das verloren geglaubt wurde, doch wieder ins Geld. Bei einigen Credit Default Obligations, die 2008 abgeschrieben wurden, konnte man das gut sehen. Im unglücklicheren Fall driften die enthaltenen Derivate unerwartet ins Negative. Bei sehr komplexen Derivaten und Anleihen, die modellfrei nach Gutdünken berechnet wurden, kann es zudem zu Bewertungsstreitigkeiten zwischen den Gegenparteien kommen. Denn auch Schrott birgt noch immer Chancen und Risiken, und Altlasten können auch viele, viele Jahre später noch auftauchen, um unerwarteten Geldregen oder einen bösen Fluch zu hinterlassen.  Anleger würden gut daran tun, die Existenz, Arbeitsweisen und Risiken dieser meist im dunklen Hintergrund agierenden, kleinen Cash Resolution Groups besser zu hinterfragen.