Die Fixed Income Welt steht mitten in einem großen Umbruch. Die über viele Jahrzehnte verwendeten und überall gut etablierten Interbank Offeren Rates wie LIBOR und EURIBOR stehen möglicherweise vor dem Aus. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass Libor oder Euribor jemals aufhören könnten zu existieren. Zugegeben, einige Jahre davor waren auch negative Zinssätze nicht im Visier von Ökonomen, Bankern und Händlern. Doch nun sollen die auf freiwilligen Quotes basierenden und mit einem natürlichen Credit Spread versehenen Interbank Offered Rates nach und nach durch sogenannte risikofreie Alternativzinssätze auf Repogeschäfte ersetzt werden. In den USA wird der US-Libor durch SOFR ersetzt, im Vereinigten Königreich übernimmt der SONIA und im Euro-Raum werden wir bald den ESTER haben. Doch was passiert mit Altgeschäften, die oft noch über viele Jahrzehnte weiterlaufen werden?

Altgeschäfte haben einen langen Atem

Vor allem Zinsderivate können ein langes Leben haben. Zinsswaps und Swaptions mit Laufzeiten von 30 Jahren sind keine Seltenheit, und auch Laufzeiten von 50 Jahren sind nicht außergewöhnlich. Credit Default Swaps und Total Return Swaps haben meist kürzere Laufzeiten, aber auch hier werden wir ausreichend Geschäfte in den Büchern von Banken, Brokern, Versicherungen, Fonds, Versorgungswerken, Kommunen und Unternehmen vorfinden, die zum Zeitpunkt einer möglichen Umstellung von Interbank Offered Rates zu Repo-basierten Overnight Rates noch längere Restlaufzeiten haben werden. Was wird damit passieren, wie werden die jeweils aktuellen Barwerte berechnet, und wie sollen die Zinszahlungen fixiert werden? Wenn aus Äpfeln dann Birnen gemacht werden, wie sollen Zahlungsströme adaptiert, das Risiko korrekt berechnet und Bewertungen richtig dargestellt werden?

Es soll einen sogenannten „Fallback“ geben

Das Ende von Libor & Co ist zwar noch nicht in Stein gemeisselt, aber die Wahrscheinlichkeit für ein baldiges Ende der Berechnung ist über die letzten Monate und Jahre gestiegen. Möglicherweise könnten wir damit schon in zwei Jahren konfrontiert sein. Deshalb soll es in den gängigen Dokumentationen eine neue Vertragsklausel geben, einen sogenannten „Fallback“, für den Fall, dass ein Index aufhört zu existieren. Bisherige Verträge enthalten entweder gar keine Klausel darüber, oder aber eine in diesem Fall abstruse Vereinbarung, dass bei fehlender Veröffentlichung des referenzierten Index schlicht der Index des Vortages oder des aktuellsten, verfügbaren Veröffentlichungsdatums verwendet werden muss.

Rahmenverträge sollen angepasst werden

Werden Derivate außerbörslich zwischen Vertragsparteien gehandelt, so wird in beinahe allen Fällen zwischen den Geschäftspartnern zuvor ein sogenannter Rahmenvertrag oder auf Englisch ein Master Agreement abgeschlossen. In diesem Rahmenvertrag wird festgehalten, welche Marktstandards für alle gehandelten Derivate gelten sollen und auch eine ganze Menge an Definitionen festgeschrieben. Die häufigsten Rahmenverträge sind jene der ISDA (International Swaps and Derivatives Association) sowie der Deutsche Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte aus 2018 des Bankenverbandes. Beide Rahmenverträge nehmen aktuell noch keinen Bezug darauf, was passieren soll, wenn Libor oder Euribor aufhören, zu existieren. Die ISDA zumindest plant für 12. Juli 2019 ein Konsultationsverfahren, um eine entsprechende Klausel zu finden, die sich genau damit beschäftigt. Diese Klausel sollen dann zumindest für Transaktionen gelten, die ab der Einführung dieser Klausel und vor dem Ende von Libor & Co abgeschlossen werden. Altgeschäften, die vor der Veröffentlichung und Unterzeichnung der „Fallback“-Klausel abgeschlossen werden, müssten separat über ein sogenanntes „Amendment“ abgeändert werden. Dafür plant die ISDA übrigens ein separates Änderungsprotokoll, durch das gleich mehrere oder alle Geschäfte auf einmal umgestellt werden können. Doch was noch offen ist, das ist das Wie.

Viele Arbeitsgruppen, noch keine konkreten Ergebnisse

Der mögliche Wechsel der Referenzzinssätze für den weltweit gigantischen Markt an Finanzderivaten ist ein ausgesprochen komplexes und schwieriges Unterfangen. Man möchte meinen die Zeit drängt und alles müsste schon längst fertig, beschlossen und in trockenen Tüchern sein, denn schließlich steht der Wechsel nicht nur mehr nur vor unserer Haustür, sondern hat den ersten Schritt ins Innere der Fixed Income Welt schon gemacht. Trotzdem scheinen sich Marktteilnehmer und Akteure gegen die Veränderungen zu sträuben und adaptieren ihre Infrastruktur und Dokumentationen nur zögerlich. Vor allem die Frage, was mit Altgeschäften passieren wird und wie die Umrechnung stattfinden soll, ist noch völlig offen.

Es haben sich zu dieser Frage gleich mehrere Arbeitsgruppen gebildet. Die wichtigsten sind das Financial Stability Board (FSB) in der Europäischen Union, das Alternative Reference Fates Committee (ARRC) in den USA und die Financial Conduct Authority (FCA) in England. Hinzu kommen Konsultationen der ISDA. Konkrete Ergebnisse und Beschlüsse stehen allerdings noch aus. In den USA ist man hier schon deutlich weiter, die Europäer hinken in ihrer Entscheidungsfreudigkeit sichtlich hinterher.

Fallback-Klausel ist eine heikle Sache

Eine allgemein gültige Klausel zu finden, die greift, wenn ein Referenzzinssatz aus welchen Gründen auch immer aufhören sollte, zu existieren, ist keine simple Angelegenheit. Neben einer genauen Definition was passiert sein muss, dass die Klausel greift, muss auch festgelegt werden, ab wann die Änderung aktiv wird und für welche Geschäfte. Gilt die Klausel erst, wenn der Index definitiv nicht mehr publiziert wird, oder auch schon dann, wenn eine Aufsichtsbehörde den Index als nicht mehr repräsentativ einstuft oder eine andere, aufsichtsrechtliche Regelung eine Verwendung des Index untersagt?

Kreditaufschlag, Blickrichtung und Zinseszinseffekt

Gerade bei der Änderung von Interbank Zinsen auf Repo-Zinsen gibt es zusätzlich einige heikle Punkte zu beachten. Denn Interbank-Zinsen wie LIBOR und EURIBOR sind Zinssätze, die widerspiegeln, zu welchen Zinssätzen sich Banken untereinander Geld leihen. Sie enthalten damit einen entsprechenden Kreditaufschlag für die Bonität von Banken. Außerdem sind sie nach Vorne gerichtet, in die Zukunft, mit entsprechend höheren Aufschlägen für länger in der Zukunft liegende Laufzeiten. Die neuen Repo-Referenzzinssätze sind hingegen auf Transaktionen in der Vergangenheit gerichtet und reine Overnight Zinsen, die auf der Basis „compounded in arrears“ berechnet werden.

Vorzeitige Auflösung und Änderungen als empfohlene Lösung?

Geht es nach den britischen Aufsichtsbehörden, die übrigens das Aus des Libors losgetreten hatten, so sollten Marktteilnehmer doch bitte schön noch vor dem Ende von Libor & Co ihre Geschäfte freiwillig auflösen und neu abschließen oder zumindest auf den neuen Index abändern. Das soll auf bilateraler Basis schon vorab geschehen, ohne dass jemals eine Fallback Klausel nötig wäre. Das Argument hat sicherlich eine gewisse Gültigkeit, unterschätzt aber auch die Komplexität der Umstellung. Viele Marktteilnehmer haben weder die nötige IT noch personelle Infrastruktur, um alle Derivate binnen kurzer Zeit neu abzuschließen oder zu verändern. Und wer jemals OTC Derivate gehandelt hat, kann ein Lied von der Kostenfalle einer vorzeitigen Auflösung oder eines Amendments singen. Hier könnten sich die großen Dealer ordentlich die Taschen voll machen. Denn die Bewertungskapazitäten sind nicht bei jedem Geschäftspartner gegeben. Bewertungsstreitigkeiten sind vorprogrammiert, und möglicherweise auch die ein oder anderen gerichtlichen Auseinandersetzungen. Hinzu kommt die Problematik der bilanziellen Gewinn- oder Verlustrealisierung bei Änderung oder vorzeitiger Auflösung, die sicherlich nicht jedem Vertragspartner ins Konzept passen dürfte. Diesbezüglich stellt sich ohnedies die Frage, wie Finanzbehörden das Austauschen von kompletten Zinssätzen in einem Swapgeschäft oder Zinsoptionsgeschäft bewerten werden, und ob dann auch P&L realisiert werden muss!

Derivate sind oft nur 1:1 Hedges für Grundgeschäft!

Vor allem geht es nicht nur um die Änderung der Derivate, sondern in vielen Fällen um die Grundgeschäfte selbst. Denn nicht selten sind vor allem Zinsswaps und Swaptions 1:1 Absicherungen für Kredite, Anleihen, Schuldscheindarlehen, Verbriefungen und Projektfinanzierungen. Swaps zwischen einer großen aber immer noch überschaubaren Anzahl professioneller Gegenparteien zu schließen oder zu ändern mag bereits eine Mammutaufgabe sein, aber Grundgeschäfte mit möglicherweise hunderttausenden Nicht-Profis abzuändern oder vorzeitig aufzulösen, um sie dann erneut abzuschließen, samt ihren individuellen Vertragsklauseln, darüber mag man erst gar nicht nachdenken! Für die Anpassung von Neugeschäft mit einer entsprechenden Index-Klausel für den Fall, dass ein Index aufhört zu existieren, müssen zudem die Systeme und Dokumentationen sämtlicher betroffenen Geschäftsfelder angepasst werden. Ein riesiger Rattenschwanz, den viele noch gar nicht richtig überblicken!

Bewertung ohne aktuelle Swapkurve?

Eine große Herausforderung für die zukünftige Bewertung von Derivaten liegt in den jeweils verfügbaren, aktuellen Marktdaten. Was wird passieren, wenn alle Marktteilnehmer für Neugeschäfte auf die dann neuen Repo-basierten Referenzzinssätze umgestellt haben? Die Bewertung von Zinsswaps und Swaptions ist selbst jetzt schon keine triviale Angelegenheit, die komplexe Pricing-Modelle erfordert. Ohne eine aktuelle Swapkurve mit Swapsätzen gegen Euribor, Libor & Co. wird eine Bewertung für bestehende Euribor und Libor Altgeschäfte ausgesprochen schwierig. Die große Frage ist tatsächlich, welche Marktdaten in Zukunft verfügbar sein werden und auf welche Methodik sich die Marktteilnehmer einigen werden, um die Basis zwischen Libor und den neuen, risikolosen Zinssätzen zu bestimmen.

Eine große Herausforderung mit gigantischen Auswirkungen

Einen dermaßen etablierten Referenzsatz wie die Interbank Offered Rate Familie zu ersetzen, und das im mit Abstand größten Marktsegment des Finanzmarktes, dem Fixed Income Markt, stellt die gesamte, weltweite Finanzwelt vor gigantische Herausforderungen. Es geht hier nicht nur um eine praktikable Formel, um aus Äpfeln Birnen zu machen, sondern darum, für jedes betroffene Unternehmen das komplexe Geflecht zu entwirren, in das Libor, Euribor & Co eingebettet sind. Es geht sowohl um strategische als auch praktische Lösungen, aber allem voran um das Bewusstsein und den richtigen Blickwinkel für die betroffenen Bereiche, die Wechselwirkungen und mögliche Auswirkungen. Sollten Sie oder Ihr Unternehmen dafür punktuelle, personelle oder strategische Unterstützung benötigen, sprechen Sie unsere Experten gerne an!