Unsere Zinswelt und damit die Art und Weise, wie wir investieren, sparen, uns verschulden sowie für das Alter oder schlechte Zeiten vorsorgen, hat sich über die vergangenen zehn Jahre dramatisch verändert. Gerade, wenn es um das Thema Sparen und Altersvorsorge geht, trifft uns die aktuelle Zinspolitik der Zentralbanken vieler Länder und Währungsblöcke mit voller Wucht.
Die EZB und andere Zentralbanken sorgen mit ihrer Negativzinspolitik für eine Verarmung der sparenden Bevölkerung sozusagen auf Forward Basis. Heute lohnt sparen nicht mehr. Bis noch vor zehn Jahren war das anders. Damals waren die Zinsen entsprechend hoch. Laut einer Statistik der Deutschen Bundesbank lagen die Renditen für Schuldverschreibungen inländischer Emittenten im Jahr 1999 noch bei 4,3%, und selbst in 2009 gab es für Anleihen deutscher Emittenten im Schnitt noch 3,2%. Hatte also jemand im Laufe seines Lebens Ersparnisse in Höhe von 1.000.000 Euro zurückgelegt, konnte er damit ziemlich einfach jedes Jahr 30.000 bis 40.000 Euro an Kapitalerträgen erwirtschaften. Aufs Monat gerechnet wären das immerhin 2.500 – 3.300 Euro gewesen, die man im Alter (oder idealerweise bereits früher) zur Verfügung gehabt hätte. Nicht schlecht. Dabei musste derjenige gar nicht die gesamte Million zurücklegen, sondern durch den Zinseszinseffekt deutlich weniger. Mit ein bisschen Beimischung von Aktien etwa über einfach zu handhabende ETFs oder Fonds hätte man vor 10 Jahren dann möglicherweise sogar auf noch mehr kommen können. Je nach Lebensstil und anderweitiger Rentenvorsorge etwa durch eine staatliche Rentenkasse oder eine betriebliche Vorsorge hätte also eine Million Euro an Ersparnissen für die meisten Menschen soweit ausgereicht, um sich auch später im Leben den gewohnten Lebensstandard leisten zu können. Die Inflation selbst lag damals selbstverständlich auch höher als heute. Inflation ist heute beinahe ein Fremdwort geworden. Aber eine moderate Inflation im einstelligen Bereich wäre damals absolut kein Drama gewesen. Denn die in den 1990er Jahren entwickelte 4%-Regel besagt, dass ein Rentner getrost jedes Jahr 4% seines Vermögens verbrauchen darf.
Das alles war einmal. Wenn heute jemand zu seinem Anlageberater kommt und sagt, er habe eine Million Euro für das Alter gespart oder eben eine Million Euro als Sparziel und wolle dies in Form von Anleihen für seinen Ruhestand anlegen, dann wird ihn der Anlageberater wahrscheinlich milde belächeln oder gar auslachen. Denn heute liegen die Renditen für inländische Schuldverschreibungen etwas tiefer. Im September 2016 erhielt man im Schnitt eine Rendite von 0,1%! Das macht aufs Jahr gerechnet bei einer Million Euro gerade einmal 1.000 Euro an Kapitalerträgen. Im Monat sind das 83 Euro. Damit können Sie dann einmal im Monat bei Aldi oder Lidl einen nicht allzu üppigen Einkauf tätigen. Die relativ sichere Anlageform der simplen Anleihe kommt damit als Altersvorsorge nicht mehr in Frage. Denn selbst die Inflation ist höher als die Rendite. Wollte man nur Plain Vanilla Anleihen zur Altersvorsorge einsetzen und damit monatlich auf eine Ausschüttung von 2.500 Euro kommen, bräuchte man heute insgesamt 30 Millionen Euro an Ersparnissen. Wenn eine Million für die meisten berufstätigen Menschen bereits sehr hoch erscheint, dann liegen 30 Millionen sowieso in unerreichbarer Ferne.
Nun stehen aber nicht nur Einzelpersonen vor diesem Dilemma, sondern die gesamte Rentenindustrie! Noch mögen einige von den Renditen alter Anleihen zehren, aber nach und nach laufen diese aus und müssen durch neue, niedrig oder gar negativ verzinste Rentenpapiere ersetzt werden. Die Zinspolitik der EZB, die wohl auf absehbare Zeit so bleiben soll, geht es nach Mario Draghi, bedeutet somit nichts anderes, als eine Verarmung der zukünftigen Rentner. Der aktuelle 10-Jahres-Euro Swap Satz liegt bei mageren 0,49%. Der 30-Jahres-Euro Swap Satz bringt mit 0,98% auch kein Prozent mehr ein. Bis auf 4 Jahre Laufzeit sind die Swapsätze sogar negativ, mit dem 1-Jahres Satz bei -0,2% und dem 4-Jahres Swap immerhin noch bei -0,07%. Wer sein Geld gar in Schweizer Franken anlegen will, hat mich noch niedrigeren Zinsen zu kämpfen, denn hier ist selbst der 10-Jahres-CHF Swap mit -0,09% negativ! Gerade Rentenfonds und Versorgungswerke mit ihren Garantiezinsen und starren Anlagevorschriften kommen hier in arge Not und werden auf längere Sicht ihre Zusagen deutlich reduzieren müssen.
Sie sagen, man könnte doch auch anstatt in Renten in Aktien, Immobilien, strukturierte Anleihen und Zertifikate mit exotischen Derivaten und Optionen oder gar Alternative Investments wie etwa Wald in den Tropen oder Rosen in Kenia investieren? Das kann man gewiss. Derzeit führt wohl kaum ein Weg daran vorbei, mehr Risiko einzugehen, als der durchschnittliche Anleger das in der Vergangenheit bereit war. Aber sind damit tatsächlich Renditen von 3,5% – 4% garantiert? Die Welt ist mit billigem Geld überschwemmt, Renditen sind zur Mangelware geworden und Risiko wird aktuell häufig nicht mehr bezahlt. Wie steht es zudem um die Volatilität, um Kapitalverluste, um Liquidität und Seriosität so mancher Anlagen und um das Verständnis beim Anleger?
Wo Verlierer sind, sind in der Regel auch Gewinner. Idealerweise könnten die Staaten in Europa die Niedrigzinsphase zu ihren Gunsten nutzen und sich nach und nach entschulden. Leider klappt das nicht wie erhofft. Der Schuldenstand steigt in vielen Ländern auf immer neue Rekordniveaus. Immer mehr Staatsanleihen werden emittiert und neue Kredite aufgenommen, wobei sich die Finanzminister und Kämmerer über die niedrigen Zinsen freuen. Wenn sie da nicht mal zu kurz denken. Denn die arbeitenden Menschen von heute, deren Ersparnisse plötzlich auf Forward Basis ziemlich wertlos geworden sind, werden als Rentner von morgen aufgrund dieser Niedrigzinspolitik möglicherweise bald am Tropf des Sozialstaates hängen. Die Rentenkassen und die private Vorsorge – so sie denn noch stattfindet bei einem umgekehrten Zinseszinseffekt – werden die Rentner von morgen wohl kaum mehr erhalten können. Eine wachsende Lebenserwartung bei geringeren Geburtenzahlen inklusive. Die Staaten von heute freuen sich möglicherweise zu früh über das billige Geld, das ihnen heute zur Verfügung steht.