Für Versicherungen in der EU hat sich über die vergangenen zehn Jahre viel verändert. Vor allem durch den einheitlichen Regulierungsstandard dank Solvency II konnten viele der großen Versicherungsunternehmen über die Grenzen ihrer Heimatländer hinweg stark wachsen. Denn Solvency II ermöglicht den freien Marktzugang. Davon profitiert haben auch Versicherungsnehmer, die dank mehr Konkurrenz und auch Transparenz eine größere Auswahl an Polizzen und Versicherungsunternehmen hatten, und damit verbunden hohe Kostenersparnisse.

Brexit kostet Briten den Marktzugang

Viele große Versicherungsgesellschaften haben ihren Sitz in Großbritannien. Das mag teils auch historisch begründet sein, schließlich war London schon vor langer Zeit ein wichtiges Zentrum der internationalen Versicherungsindustrie. Das allerdings könnte sich in den kommenden Monaten schlagartig ändern. Denn durch den Ausstieg aus der EU verlieren die dort ansäßigen Versicherungsgesellschaften auch den freien Marktzugang.

In aller Eile werden EU Niederlassungen gegründet

Nachdem sich lange Zeit wenig getan hatte, ist seit Beginn des Jahres Hektik in die Versicherungsbranche gekommen. In aller Eile werden überall in der EU, in denen britische Versicherungsgesellschaften tätig sind, neue Niederlassungen gegründet. Doch eine Versicherung zu gründen braucht seine Zeit, schließlich muss ein strenges, nationales Zulassungsverfahren durchlaufen werden. Da aktuell aber nicht nur eine, sondern viele Versicherungen ihre Anträge eingereicht haben, kommt es bei den zuständigen Aufsichtsbehörden in vielen europäischen Ländern zu Engpässen.

Die Übertragung von Verträgen muss vor Gericht

Sind die Versicherungsgesellschaften in den jeweiligen EU-Ländern erst einmal gegründet, kommt die nächste, große Hürde. Denn einfach so dürfen Versicherungsverträge einer britischen Gesellschaft nicht auf ein anderes Unternehmen übertragen werden. Gemäß dem Financial Services Market Act 2000 bedarf es dafür einer Anhörung und anschließenden Genehmigung vor dem High Court of England and Wales. Da nun aber die Zeit drängt – die Übertragung soll schließlich noch vor oder spätestens am 29. März 2019 erfolgen – werden die Termine dafür knapp. Denn auch die Gerichte sind überlastet. Doch selbst wenn die Versicherungsgesellschaft noch rechtzeitig einen Termin vor dem Brexit-Stichtag ergattern konnte, ist damit noch nichts in trockenen Tüchern. Schließlich hat jeder einzelne Versicherungsnehmer das Recht auf Anhörung und Einspruch, sollte er oder sie gegen eine Übertragung von Verträgen auf die neue gegründete EU Gesellschaft sein.

Eine Frage der Rückstellungen

Nun sollen Versicherungsgesellschaften also geteilt und bestehende Verträge auf die neu gegründeten Gesellschaften aufgeteilt werden. Da es bei Versicherungen unter anderem auch um ein gewisses Mengenspiel geht – ein großer Pool möglichst unterschiedlicher Profile ist besser als ein kleines Portfolio identer Risiken – kann eine Teilung durchaus negative Konsequenzen haben. Schließlich müssen sämtliche Berechnungen bezüglich Schadenseintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe für das neue Portfolio neu berechnet werden. Doch auch die Frage, wie die bestehenden Rückstellungen für Schadensfälle aufgeteilt werden ist nicht unumstritten. Das Einhalten von Eigenkapitalvorschriften ist dabei natürlich selbstverständlich – ansonsten bekäme das Unternehmen keine Genehmigung für den Betrieb – die Frage der Kapitalausstattung geht allerdings darüber hinaus.

Verbraucher verlieren Insolvenzschutz

Erschwerend kommt hinzu, dass Verbraucher in Großbritannien im Falle der Insolvenz von Versicherungsunternehmen abgesichert sind. In anderen EU Ländern ist das nicht der Fall. Gerade bei Lebens- und Rentenversicherungen ist das ein kritischer Punkt.

Bisher waren alle privaten Versicherungsnehmer, deren Polizzen über Großbritannien liefen, durch das „Financial Services Compensation Scheme“ abgesichert, und zwar zwischen 90% und 100% der Ansprüche ohne Höchstgrenze. Das betrifft vor allem Lebensversicherungen, Rentenversicherungen, aber auch alle anderen Versicherungsverträge wie Kraftfahrzeug- oder Haftpflichtversicherungen. Die Absicherung durch das FSCS war bei vielen Versicherungsunternehmen aus Großbritannien ein wichtiges Verkaufsargument. Finanziert wird der Kompensationsfonds übrigens durch spezielle Steuern für Finanzunternehmen und Versicherungen. Die betroffenen Versicherungsnehmer haben also durch ihre Beiträge den Fonds mitfinanziert. Werden ihre Verträge in ein anderes EU Land verschoben, verlieren sie allerdings sämtliche Ansprüche.

Alternativlos?

Mit der überstürzten Flucht aus dem UK sind zusätzlich hohe Kosten verbunden, die sich mit Sicherheit nachteilig auf die Gewinne der Versicherungsgesellschaften und damit mittelfristig auch auf die Höhe der Prämien auswirken werden. Organisatorische Kosten, Kosten für Sachverständige, Gerichts- und Rechtsberatungskosten, Mehrkosten der Verwaltung, Projektkosten, um nur einige zu nennen, fallen an. Doch noch höher ist das Risiko, plötzlich den Marktzugang zu verlieren und damit die Zulassung, um als Versicherungsunternehmen in der EU tätig sein zu dürfen. Das würde im Übrigen nicht nur neue Verträge betreffen, sondern auch bestehende. Denn das Versicherungsunternehmen könnte dann möglicherweise keine Leistungen mehr erbringen dürfen oder Änderungen an Polizzen vornehmen ( wie etwa Adresse, Name, Schadenssumme). Ensprechend dürfte die Übertragung von Verträgen an neu gegründete EU Versicherungsniederlassungen tatächlich alternativlos sein.

Bewertungsfragen offen

Speziell für komplexe Portfolien und lang laufende Versicherungsverträge können Bewertungsfragen entstehen. Sollten Sie Fragen haben oder Unterstützung benötigen sprechen Sie uns gerne an!