Als wäre die Umstellung der Benchmark Zinssätze weltweit nicht bereits Herausforderung genug für den Fixed Income Markt, wirbelt nun auch noch die wirtschaftliche Corona-Superkrise die Zinswelt gehörig durcheinander. Risikomanager sind derzeit mit einer Fülle dramatischer Themen, Probleme und Entwicklungen konfrontiert, und auch die Clearing Häuser kämpfen mit volatilen Märkten, rasanten Barwertveränderungen und wichtigen Fragen rund um Kontinuität und Systemrelevanz. Da ist es durchaus verständlich, dass die in Kürze anstehende Umstellung der Discounting-Methode von EONIA auf €STR erstmal verschoben wird.
Die €STR Umstellung dauert
Als risikoloser Referenzzins wird €STR zwar bereits seit dem 2. Oktober 2019 eigenständig berechnet und veröffentlicht, und EONIA ist seither nur noch eine Ableitung von €STR, doch die meisten Finanzmarkt Teilnehmer haben die Umstellung von EONIA auf €STR für ihre Bewertungs- und Berechnungsmodelle noch nicht vollzogen. Das liegt zum Teil auch daran, dass Clearing Häuser für Derivate bisher ebenfalls noch EONIA verwenden. Die Umstellung war für den 22. Juni 2020 geplant, wird nun aber bis mindestens 27. Juli 2020 verschoben, möglicherweise sogar später.
Umstellung des Zinssatzes zur Barwertberechnung und Collateral Verzsinung
Wie in der gesamten Finanzmathematik üblich, werden Zahlungsströme ständig entweder auf- oder abgezinst. Die Wahl des Zinssatzes ist dabei verständlicherweise der zentrale Faktor. Dass Marktteilnehmer einheitlich verzinsen und abzinsen ist wichtig für Liquidität, Transparenz und die Vergleichbarkeit von Preisen. Entsprechend viele Marktstandards wurden deshalb über die Jahre festgeschrieben, wie beispielsweise die ISDA Daycount Conventions,und in sämtlichen Fixed Income Verträgen und Dokumentationen wird der Art der Verzinsung viel Augenmerk gewidmet. Denn jedes kleinste Detail kann bereits große Auswirkungen auf den Barwert haben. Je länger die Laufzeit, desto größer ist der Effekt dabei.
Sicherheiten hingegen, die als Collateral gegen einen möglichen Zahlungsausfall hinterlegt werden, werden verzinst. Das geschieht mit dem sogenannten risikolosen Zinssatz. Früher wurde dafür der Euribor verwendet, danach trat der Overnight Satz EONIA an dessen Stelle. Da aber nun EONIA nicht mehr eigenständig berechnet wird und nicht mehr der Europäischen Benchmarkverordnung entspricht, muss umgestellt werden.
Die Clearing Häuser für außerbörslich gehandelte und zentral geclearte Derivate haben sich darauf geeinigt, gemäß der Empfehlung der EZB Arbeitsgruppe auf ein €STR Flat Discounting umzustellen.Bei der Umstellung von EONIA auf €STR geht es dabei um 8,5 Basispunkte, also den Unterschied zwischen den beiden Zinssätzen. Das klingt für den Laien nicht viel, bedeutet aber für Zinsswaps mit langen Laufzeiten und für große Collaterals einen starken Unterschied.
Umstellungsprojekte verschieben sich
Dass sich Eurex Clearing für einen Aufschub von fünf Wochen entschieden hat, mag unter anderem daran liegen, dass sich durch die Corona Krise und den damit verbundenen Störungen im Betriebsablauf von Banken, Broker, Clearing Häusern und institutionellen Investoren viele Projekte nicht rechtzeitig abschließen lassen. Mitarbeiter arbeiten im Homeoffice oder sehr eingeschränkt, und zusätzlich belasten aktuelle Tagesgeschehen an den Märkten Händler, Risikomanager, Back- und Middleoffice und die IT. Ob die fünf Wochen Verschiebung ausreichen, wird sich zeigen. Von großen Banken hört man allerdings, dass selbst der 27. Juli 2020 nur mit Not zu stemmen sein wird und man einen deutlich späteren Termin vorziehen würde.
Die Umstellung der Referenzzinsen ist komplex und weitreichend
Hier zeigt sich einmal mehr, wie komplex die Umstellung der Referenzzinsen ist. Die Auswirkungen sind gigantisch, nicht nur bewertungsmäßig, sondern die Anzahl der Geschäfte betreffend. Eine riesige Zahl von Modellen muss angepasst und umgestellt werden, deren komplexen Code oft nur wenige Experten überhaupt durchblicken. Dabei ist die Umstellung von EONIA auf €STR noch vergleichsweise einfach.