Die Rede von Christine Lagarde am 30. April über die aktuellen Einschätzungen der EZB und ihr weiteres Vorgehen hatte es in sich. Sie sprach nicht nur davon, dass die EZB ihr Pandemie Kaufprogramm grenzenlos aufstocken wird, sondern vor allem auch davon, wie dramatisch die wirtschaftliche Situation in Europa und weltweit ist. Sie vergleicht die Auswirkungen mit Kriegszeiten, auch wenn sie es anders formuliert, und zwar dass in Friedenszeiten so etwas normalerweise nicht vorkommt. Sie spricht von Arbeitslosigkeit und Rezession, und dass es der EZB gerade jetzt wichtig ist, den Menschen und Unternehmen im Euroraum günstige Liquidität zur Verfügung zu stellen. Sie stellt dabei Programm nach Programm vor, mit denen die EZB nicht Milliarden, sondern Billionen an neuem Geld schaffen wird, und zwar ohne gesetztes Limit!

Der Geldregen trifft Banken und Staaten

Der Haken an den Repo-Programmen und Asset Purchase Programmen? Sie kommen Banken und Staaten zugute, und nicht den normalen Bürgern und kleinen Unternehmen! Das zeigt sich deutlich etwas später in ihrer Ansprache, wo zu hören ist, dass die Kreditvergabe an Privathaushalte gesunken ist, und sich zudem die Kreditkonditionen verschlechtert haben. Das bedeutet übersetzt dass die wenigen, die überhaupt noch einen Kredit bekommen, darauf hohe Zinsen zahlen, derzeit um die 3% und mehr. Wohlgemerkt in einer für Banken und viele Staaten negativen Zinswelt!

Kredit? Leider nein!

Frau Lagarde mag man es nachsehen, schließlich entstammt sie einer privilegierten Schicht und musste möglicherweise noch nie einen persönlichen Liquiditätsengpass durchleben. Die Realität Millionen Europäer sieht freilich anders aus. „Sie sind Arbeitslos, Selbstständig, haben nur einen befristeten Arbeitsvertrag, sind jung, Alleinerziehend? Dann müssen wir Ihr Kreditansuchen leider, leider ablehnen.“ Bleiben Mama, Papa und andere Familienmitglieder, um sich Geld zu leihen, und danach Pfandleiher und Kredithai. Die Zinssätze dort sind zweistellig und je nach europäischem Land – in vielen gibt es kein Wucherverbot – sogar drei- bis vierstellig. Abgesehen davon, dass es für Menschen mit wenig und unregelmäßigem Einkommen ohnedies problematisch ist, sich zu verschulden und man vielen mit leichten Krediten nicht helfen würde. Schließlich sind Kredite Schulden, auf die zunächst Zinsen gezahlt und danach die Schuld getilgt werden muss. Doch ohne Arbeit, die Miete läuft weiter, Essen kaufen muss man auch, was bleibt? An Krediten bereichern sich hier nur die Kreditgeber, niemals die Kreditnehmer, zumindest nicht bei Privatpersonen. Was folgt ist eine Liquiditätskrise, Überschuldung, weniger Konsum und ein Verschieben der Einkünfte zu den Kreditgebern in Form hoher Zinsen.

Inflation ist zu niedrig

In ihrer Rede lamentiert Christine Lagarde auch über die gesunkene Inflation. Einmal abgesehen davon, dass der gemessene Warenkorb ziemlich unsinnig ist, mit zu viel Benzin (bei leeren Autobahnen, Grenzschließungen und Verbot in den Urlaub zu fahren), zu vielen Dienstleistungen (Frisör, Reisen, Flüge, Taxifahrten, Kultur, alles nicht erlaubt), dafür keine Masken und zu wenig Klopapier, Alkohol und Nudeln. Es geht aber auch darum, dass Inflation durch Nachfrage geschaffen wird, durch Konsum. Doch die Kauflaune ist niedrig, schließlich drohen Arbeitslosigkeit, Existenzsorgen treiben Menschen und Unternehmen um, dazu geschlossene Geschäfte und die Angst, bald ohne Geld dazustehen, um notwendige Dinge wie Miete, Strom und Essen zu bezahlen. Wer seine Arbeit nicht durch geschlossene Unternehmen und Kurzarbeit verliert, muss seine Arbeit aufgeben, weil die Kinderbetreuung fehlt. Die einfachen Menschen haben dramatische Existenzsorgen, nicht wenige leiden sogar schon Hunger weil ihnen ihr Einkommen fehlt. Frau Lagarde hat Recht, das erinnert an Kriegszeiten.

Helikopter-Geld als Lösung?

Bisher galt die Idee von Helikopter-Geld als irrwitziges Hirngespinst. Jedem Bürger ohne Gegenleistung einen Geldbetrag zu schenken, das klang nach Sozialismus oder noch schlimmer Kommunismus. Doch die Amerikaner machen es vor, die Japaner liebäugeln nun auch mit der Idee, und tatsächlich spräche auch in Europa viel dafür. Deutschland verteilt immerhin schon Corona-Hilfsgelder an Selbstständige und kleine Unternehmen, also Helikopter-Geld „light“. Ganz so abwegig ist die Idee tatsächlich nicht mehr.

Ein kleines Rechenbeispiel zum Helikopter-Geld für alle: Im Euro-Raum leben 340 Millionen Menschen. Gibt man jedem von ihnen 1.000 Euro, würde das gerade einmal 340 Milliarden kosten. Würden wir jedem drei Monate lang je 1.000 Euro schenken, wären das 1,02 Billionen. Das ist weniger als das, was die EZB derzeit in den Markt pumpt. Und: Helikopter-Geld kommt an! Es landet bei genau jenen, die es auch wirklich ausgeben werden. Für jemanden ohne großes Einkommen sind 1.000 Euro tatsächlich viel Geld, und 3.000 Euro beinahe ein Lottogewinn. Die Inflationszahlen werden nach oben schnellen.

Der bisherige Weg ist fehlgeschlagen

Die Versorgung der Bevölkerung über den bisherigen Weg der EZB ist schon seit Jahren fehlgeschlagen. Das Geld kommt schlicht nicht an. Banken schieben irrsinnige Summen an Geld vor sich her und parken es jede Nacht zu negativen Zinsen bei der EZB. Das ist nicht die Schuld der Banken, denn sie müssen vorsichtig handeln und dürfen Kredite nur an Personen und Unternehmen mit guter Bonität vergeben. Es ist die Schuld des Systems, das so nicht funktioniert, und auch nicht funktionieren wird. Stattdessen entstehen seit Jahren Assetblasen, denn das Geld ist nicht weg, es ist da, nur nicht im Konsum und nicht bei den kleinen Unternehmen.

Wir befinden uns in einer neuartigen und dramatischen Situation, und die erfordert neuartige und dramatische Maßnahmen. Vielleicht ist es an der Zeit, dass die EZB tatsächlich über Helikopter-Geld nachdenkt. Direkt über die EZB dürften die Zahlungen zwar nicht fließen, doch über spezielle Fonds und den Umweg über Spezialanleihen gäbe es hier bestimmt Mittel und Wege, Geld zu jedem Eurobürger zu bringen.