London ist seit Jahrzehnten unangefochten das weltweite Zentrum für den Handel mit Zinsderivaten. Ein Großteil der Infrastruktur des Zinsderivatehandels befindet sich in dort. Doch reguliert ist jener Teil, der Marktteilnehmer aus der EU betrifft, über EU Recht. In wenigen Tagen endet auch die letzte Übergangsfrist, die den Briten nach ihrem Austritt gewährt wurde, und ab dem 1. Januar 2021 fällt die Äquivalenz endgültig weg. Die Verhandlungen zwischen den Briten und der EU zu einem Handelsabkommen laufen alles andere als gut. Das könnte den Zinsderivatemarkt Anfang des kommenden Jahres in eine kleine Krise stürzen. Bekannt ist das Problem freilich schon lange. Die meisten Marktteilnehmer scheinen sich jedoch darauf verlassen zu haben, dass es doch noch zu einem Vertrag zwischen dem UK und der EU kommen wird, der das Äquivalenzprinzip mit einschließt. Die Optimisten könnten sich geirrt haben.

Plain Vanillas müssen über Plattformen gehandelt werden

Seit 2018 müssen standardisierte Plain Vanilla Zinsswaps in EUR, USD und GBP sowie einige iTraxx-Kreditderivate in EUR auf registrierten Handelsplattformen gehandelt werden. Geregelt ist das unter MiFIR und der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2417. Welche Derivate genau erfasst sind und an welchen Plattformen sie gehandelt werden dürfen, können Marktteilnehmer jederzeit auf der Webseite der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA in einem eigens dafür geschaffenen Register nachlesen. Die zugelassenen Plattformen müssen sich entweder in einem EU Mitgliedsland befinden oder in einem Land, dem die EU dafür die Äquivalenz bestätigt hat. Das sind aktuell die USA und Singapur. Die Briten verlieren ihren automatischen Zugang per 1. Januar 2021.

Plattformen ziehen reihenweise um

Die ersten hatten in den vergangenen Jahren damit begonnen zumindest eine Zweigstelle in der EU zu eröffnen. Beliebt sind dabei vor allem Paris und Amsterdam. So sitzen Dependencen der Plattformen großer Broker wie ICAP oder Tullet Prebon aber auch die wichtige Plattform von Bloomberg bereits seit 2019 in Paris und Amsterdam. Einige andere, sehr große Plattformen wie Trad-X und Tradeweb haben ihre EU-Dependencen erst im November 2020 sozusagen im letzten Moment nach Frankreich beziehungsweise die Niederlande verschoben. Eine ganze Reihe weiterer Plattformen sind aber nach wie vor ausschließlich in London. Doch selbst mit dem Umzug nach „Europa“ sind nicht alle Probleme aus der Welt geschafft.

Über den Umweg USA ist auch weiterhin ein Handel möglich

Mit dem Umzug diverser Plattformen und der Eröffnung zusätzlicher Standorte innerhalb der EU ist zumindest der Handel zwischen Gegenparteien gerettet, die sich beide innerhalb der EU oder einem anerkannten Land befinden. Was damit noch nicht geregelt ist, ist der Swaphandel zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, der ohne eine Einigung im letzten Moment nicht mehr über die bisherigen UK-basierten Plattformen abgeschlossen werden darf. Denn ohne Einigung dürfen Plattformen im UK ihre Dienstleistungen EU-Firmen nicht mehr anbieten. Die Londoner Plattformen müssten eine Genehmigung in jedem einzelnen EU-Land beantragen, mit 27 unterschiedlichen Regelungen und Antragswegen. Ein wie bisher einfacher Handel zwischen Gegenparteien, von denen eine in London und die andere in der EU sitzt, wäre weder auf einer EU Plattform noch einer UK Plattform erlaubt. Das betrifft übrigens nicht nur „fremde“ Gegenparteien, sondern in vielen Fällen auch interne Trades zwischen Handelsbüchern der selben Bank, die sich ungünstiger Weise in unterschiedlichen Ländern befinden. Sie müssten dann ein Land wählen, dem sowohl das UK als auch die EU die Äquivalenz zuerkannt hat. Dieses Land sind die USA. Einen etwas umständlichen Ausweg gibt es deshalb: Den Umweg über die USA, in dem sowohl EU als auch UK Firmen auf Plattformen handeln dürfen. Vorausgesetzt natürlich, beide Vertragspartner haben eine technische Anbindung an die jeweilige US-Plattform.

Eine absurde Situation bahnt sich an

Die Sache verkompliziert sich noch weiter. Denn ohne eine Vereinbarung unterliegen beispielsweise Londoner Niederlassungen europäischer Banken dann sowohl den Vorschriften aus MiFIR und den daraus resultierenden Handelsvorschriften für Derivate, also auch den Vorschriften des Vereinigten Königreichs zum Handel mit Derivaten. Die dann geltenden Vorschriften widersprechen sich in wichtigen Punkten, sodass Londoner Niederlassungen am Ende mit anderen Londoner Niederlassungen weder auf einer Londoner Plattform noch einer EU-Plattform werden handeln können, selbst wenn sich beide Stammhäuser in der EU befinden. Eine absurde Situation bahnt sich an. Was noch hinzukommt: Nicht alle Marktteilnehmer haben ihre technischen Anbindungen bereits flächendeckend auf andere Plattformen umgestellt.

Der Markt wird nervös. Im UK mehr als außerhalb.

Der Fixed Income Markt ist nicht allzu leicht zu beeindrucken. Um Marktteilnehmer gesammelt nervös zu machen, braucht es in der Regel gute Gründe. Die Finanzmarktkrise war ein solcher Grund. Brexit ohne Handelsverträge und Äquivalenzprinzip erregt die Gemüter derzeit ebenfalls. In einer verzweifelten Aktion haben eine ganze Reihe von Finanzmarktvereinigungen am 9. Dezember einen Brief an die Europäische Kommission geschickt, mit der dringenden Bitte, doch für Zinsswaps eine Äquivalenz zuzugestehen. Die Mehrzahl der unterzeichnenden Vereinigungen haben ihren Sitz interessanterweise in Großbritannien.

Verliert London seine Stellung als Finanzmetropole?

Auch wenn es im Streit zwischen der EU und dem UK zur zukünftigen Handelsbeziehung mehr um Fische als um den Finanzmarkt geht, ist Letzterer doch der wertvollere Brocken. Fixed Income und Zinserivate sind dabei mit die wichtigsten Eckpfeiler vieler Londoner Trading Floors, und täglich werden tausende Geschäfte über die Londoner Bücher globaler Banken gezogen. Sollte sich durch den Brexit das Geschäft aus London heraus nicht mehr lohnen, dürfte das für es Vereinigte Königreich bitter werden. Ein Umzug in die USA steht für das wichtige Europa-Geschäft nicht zur Debatte, schon aufgrund der Zeitverschiebung, aber auch der unterschiedlichen Gesetzes- und Regulierungslagen und regulatorischer Unsicherheiten. Für die verbleibenden EU-Länder ist der Londoner Kuchen, den es zu verteilen gibt, natürlich verlockend. Schließlich bedeutet der Status einer Finanzmetropole auch Reichtum in Form guter Steuereinnahmen, hoher Gehälter für Zehntausende und der damit verbundenen Umwegrentabilität. Finanzmetropolen sind reich. Es findet eine deutliche Umverteilung (Margen, Gebühren, Provisionen) von allen Kapitalmarktteilnehmern hin zu den großen Banken, Brokern und Serviceprovidern in den Finanzzentren statt. Für London bedeutet das laut Bloomberg einen Überschuss von 102 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019, den die Finanzindustrie und ihre verwandten Serviceleistungen einbrachten. Es ist wahrlich schwer zu argumentieren, warum die EU dem UK diesen Abfluss von Vermögen ohne Weiteres so einfach überlassen sollte. Doch genau das fordern ISDA, SIFMA und Co in ihrem Schreiben. Die EU solle dem UK doch einfach die Äquivalenz zugestehen, und alle Probleme wären aus der Welt geräumt. Es geht hier aber am Ende um mehr als das Funktionieren des Swapmarktes nach dem 1. Januar 2021. Es geht um nicht weniger als die finanzielle Sogwirkung eines Finanzzentrums, und diesen Reichtum möchte jeder am liebsten für sich.