Seit Jahrzehnten überschlagen sich die großen Zentralbanken dieser Welt mit ihren Quantitative Easing Programmen. Die Japaner haben vor zwanzig Jahren damit begonnen, ihre Zentralbankbilanz immer weiter und dramatischer auszuweiten. Seit 2008 sind unter anderem die FED und die EZB auf den Zug aufgesprungen. Die Bilanz der EZB ist seit Ende 2005 von 1.038 Milliarden, also einer Billion Euro, auf stattliche 4.671 Milliarden, also 4,7 Billionen, per Ende 2019 angewachsen. Das war noch vor der Corona-Krisen-Ausweitung der EZB Bilanz. Am 27.11.2020 stand die Bilanz der EZB bereits bei 6.883 Milliarden Euro, also fast sieben Billionen. Die Inflationszahlen hingegen sind in dieser Zeit nicht in die Höhe geschnellt. Ganz im Gegenteil. Für Oktober 2020 stand die Inflation in Deutschland bei -0,47%. Japan kämpft seit Jahrzehnten gegen Deflation, und auch in der EU und den USA war Inflation in letzter Zeit überhaupt kein Thema. Der Mangel an Inflation sehr wohl. Wo ist sie also geblieben, und warum greifen die Billionen an Euros, Dollar und Yen, die Zentralbanken angeblich „in den Markt pumpen“, so überhaupt nicht?
Der Inflationsfokus von Zentralbanken
Die meisten modernen Zentralbanken sehen in ihrer primären Aufgabe die Wahrung von Geld- und Preisstabilität, also das Management von Inflation. Denn die Geschichte hat gezeigt, dass Inflation ein primär monetäres Phänomen ist. Schließlich ist Geld definiert als ein Mittel zum Tauschen, Sparen und dem Messen von Werten. Es steht am Anfang des modernen, wirtschaftlichen Lebens. Anstatt Brot gegen Äpfel zu tauschen, verwenden wir Geld, um Waren und Dienstleistungen aller Art zu kaufen und zu verkaufen, etwas für späteren Verbrauch zu sparen und um den Wert aller Dinge und Dienst zu messen. Zentral wichtig ist dabei, dass genau die ausreichende Menge an Geld zur Verfügung steht. Gibt es zu wenig Geld, führt das zu Deflation, gibt es zu viel Geld, kommt es zu Inflation. Ein geringes Maß an Inflation ist dabei nach gängiger Lehrmeinung in Ordnung, da die Wertschöpfung und mit ihr die Wirtschaft im Idealfall laufend wachsen sollte und dafür immer ein wenig mehr Geld nötig wird. Das stimmt so auch heute noch. Was sich verändert hat im Laufe der Jahrtausende ist der Umfang dessen, was als Geld gilt, und wie Geld in einem globalen Finanzsystem geschaffen und verteilt wird. Inflation ist damit zu einem deutlich komplexeren Phänomen geworden. Wie aber passt es zusammen, dass Zentralbanken angeblich wie die Irren Geld in den Markt pumpen, wir aber gleichzeitig mit Deflation konfrontiert sind?
Zentralbanken verteilen Geld nicht direkt, sondern über Geschäftsbanken
Eine weitere Besonderheit, die wir auf der Suche nach der verlorenen Inflation beachten müssen: Zentralbanken verteilen Geld nicht direkt an die Bevölkerung. Sie dürfen Bargeld ausschließlich an Banken geben, die es wiederum an ihre Kunden verteilen. Die Zentralbank schenkt dieses Bargeld den Banken aber nicht, sondern leiht es ihnen nur aus. Als Gegenposition in der Bilanz der Geschäftsbanken stehen dabei die Sicht- und Spareinlagen der Bankkunden. Dabei spielt Bargeld heute nur noch eine geringe Rolle. Das meiste Geld ist in elektronischer Form als reines Buchgeld in Umlauf. Auch dieses können sich Geschäftsbanken von der Zentralbank leihen oder über ein Repo-Geschäft von der Zentralbank holen. Dafür verlangt die Zentralbank Zinsen, deren Höhe sie selbst festlegt. Mit der richtigen Höhe dieses sogenannten Zentralbankzinses versucht die Zentralbank die Nachfrage nach Zentralbankgeld durch die Geschäftsbanken zu steuern. Theoretisch sollte es so laufen, dass ein hoher Zentralbankzins Geschäftsbanken dazu veranlasst, weniger Geld von der Zentralbank zu holen und damit die Geldmenge in der Wirtschaft reduziert wird, und bei sehr günstigen Zinsen leihen sich Geschäftsbanken mehr Geld und die Wirtschaft hat mehr davon zur Verfügung. Über den Zentralbankzins versucht die Zentralbank also die Geldmenge zu steuern und über diese die Inflation. Der Zentralbankzins der EZB ist seit Jahren bei 0%. Zu einer Geldschwemme in der Realwirtschaft und und damit Inflation hat selbst das nicht geführt. Wie kann das sein?
Inflation und Zinsen
Inflation ist kein isoliertes Phänomen, und Inflation wird auch nicht von Zinsen verursacht. Es verhält sich genau anders herum. Denn Zinsen sind der Preis für Geld. Leihen Sie jemandem Geld aus, steht Ihnen dieses Geld für den vereinbarten Zeitraum nicht zur Verfügung. Sie wollen vom Schuldner den über die Laufzeit erwarteten Kaufkraftverlust ersetzt haben, plus einen Aufschlag für einen möglichen Zahlungsausfall. Zinsen sind also eine Kombination aus erwarteter Inflation und Bonität. Je nach Laufzeit und Kreditnehmer sieht der Zinssatz entsprechend anders aus. Wie hoch der Zinssatz ist, bestimmt keineswegs die Zentralbank, sondern Wirtschaft und Finanzmarkt über Angebot und Nachfrage, die sich wiederum anhand der von diesen Akteuren erwarteten, zukünftigen Inflation sowie dem Risiko eines Zahlungsausfalls ableiten. Woher aber nehmen die Marktteilnehmer ihre Inflationserwartungen, die sich in den Zinsen widerspiegeln? Sie kombinierten zwei wichtige, voneinander abhängige Elemente: Wirtschaftswachstum und Geldmenge.
Wirtschaftswachstum und Geldmenge
Am Beginn der Kette steht die Wertschöpfung der Wirtschaft. Um das weltweite Wirtschaftswachstum steht es seit Jahren nicht sehr gut. Das kann an vielen Dingen liegen, wie Handelsbarrieren, mangelnde Innovation, schlechte Infrastruktur oder politische und juristische Instabilität. Es kann aber auch – und das interessiert uns hier am meisten – an einer zu geringen Geldmenge liegen. Für das Umsetzen von Ideen, Investitionen und Expansion benötigen Unternehmen Geld. Häufig ist dieses Geld nicht als Reserve im Unternehmen vorhanden, sondern wird fremdfinanziert. Auch größere Anschaffungen durch Verbraucher werden nicht selten fremdfinanziert. Auf der einen Seite gibt es dafür Vermögen, das gespart wird, auf der anderen Seite stehen jene, die mit diesem Vermögen einen Mehrwert und Wertschöpfung schaffen wollen oder etwas konsumieren möchten. Klassischerweise übernehmen Geschäftsbanken die Verteilung. Und sie können daraus Buchgeld schaffen, das deutlich über den Wert der Einlagen geht. Banken müssen dabei besondere Sorgfalt walten lassen, und sie unterliegen strengen, aufsichtsrechtlichen Vorgaben, damit den Verbindlichkeiten genügend Werte gegenüber stehen. Die Sparbücher der Bürger reichen dafür schon lange nicht mehr aus.
Liquidität im Bankensektor
Banken schöpfen über ihr ganz normales, klassisches Bankgeschäft Buchgeld. Die Sichteinlage des Bankkunden hat ihren Wert, doch auch der daraus neu vergebene Kredit der Bank an das Unternehmen hat Wert. So kann sich das vorhandene Geldvermögen ohne Zutun einer Zentralbank vermehren. Dafür ist es allerdings immer wichtig, dass die Bank ausreichend Liquidität vorrätig hält für den Fall, dass jemand seine Sichteinlage wieder haben möchte. Hier ist der Interbanken Markt wichtig. Denn Banken können sich nicht nur über Spareinlagen Liquidität beschaffen, sondern auch von anderen Banken, von Versicherungen, Investoren bis hin zur Zentralbank. Vor der Finanzmarktkrise konnten sich Banken von anderen Banken unter anderem ungesichert Geld leihen, häufig für drei, sechs oder zwölf Monate. Der verwendete Zins war der berühmte LIBOR. Dann kam die Finanzmarktkrise und der Zusammenbruch des unbesicherten Interbankenmarktes. Heute werden im Interbanken Markt deshalb meist nur noch Repo-Geschäfte abgeschlossen, die es auch vor der Finanzmarktkrise schon gab. Ein Repo ist ein Verkauf von Vermögenswerten, heute in der Regel hochwertige Staatsanleihen, mit dem gleichzeitigen Forward-Rückkauf der selben Vermögenswerte einen oder wenige Tage später, zu einem geringfügig höheren Preis. Praktisch werden Repos immer wieder verlängert. Rein wirtschaftlich sind sie wie ein mit hochwertigen Wertpapieren besicherter Kredit. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Der Käufer der Wertpapiere kann diese wiederum weiterverkaufen und sich damit ebenfalls mit Liquidität versorgen, und so weiter. Damit dieses Rad gut funktioniert, müssen immer ausreichend liquide und hoch qualitative Wertpapiere vorhanden sein, die für das Repo-Geschäft allgemein und international akzeptiert werden. Das Geldschöpfungspotenzial über den Interbanken Markt ist dabei enorm, läuft international über Grenzen hinweg, und keine Zentralbank dieser Welt hat drauf Einfluss noch Macht. Die Banken aber schöpfen dieses Geld nicht zum Selbstzweck. Sie vergeben es in Form von Krediten und Darlehen an Verbraucher und Unternehmen, investieren es in Wertpapiere oder stecken es in Finanztransaktionen. Unter anderem an der Marge zwischen dem Repozins und dem Kreditzins verdienen die Geschäftsbanken, und gleichzeitig ist die Wirtschaft mit ausreichend Geld versorgt, um weiter expandieren zu können. Da der überwiegende Großteil des Geldes also nur „geschöpft“ ist, steht im Zentrum des gesamten Konstrukts das Vertrauen in ein solides Banken- und Finanzsystem.
Die Geldschöpfung durch Geschäftsbanken steckt in der Krise
Nun kommen wir zum Ende und gleichzeitig dem Anfang unserer Geldschöpfungskette. Denn seit geraumer Zeit ist genau diese Geldschöpfung durch Geschäftsbanken zusammen gebrochen. Am Anfang stand jeweils eine Krise, hervorgerufen ironischerweise durch das Platzen von Kreditblasen. In Japan war es das Platzen der Zombie-Blase im Jahr 1991. In den USA und Europa brachte das Platzen der Subprime Blase 2007 den Ball ins Rollen. In beiden Fällen hatten sich Banken mit unsoliden Krediten die Bilanzen zugemüllt, wohlgemerkt heimlich und im Verborgenen. Als das wahre Ausmaß jeweils bekannt wurde, verloren die Banken untereinander das Vertrauen und der unbesicherte Interbankenmarkt brach zusammen. Auch der Repomarkt litt. Es wurden nur noch die hochwertigsten aller Assets akzeptiert. Bis 2007 konnten Banken ohne Weiteres auch CDO-Tranchen im Repo verkaufen, was etwa Lehman fleißig gemacht hatte. Das Schicksal von Lehman ist bekannt, und ein Großteil der anderen Banken weltweit musste vorübergehend mit Steuergeldern liquide gehalten werden, so wie bereits japanische Banken in den 1990er Jahren. Doch eine Bankenkrise ist für die Realwirtschaft mit das Schlimmste, das passieren kann, und so versuchten die Zentralbanken, die Situation zu retten. Ihr Ziel: Banken mit Liquidität versorgen, damit diese es wieder in Wirtschaft und Investitionen stecken können.
Quantitative Easing als Sackgasse
Die Bank of Japan versucht bereits seit Jahrzehnten, über sogenannte Quantitative Easing Programme Banken und damit die Wirtschaft zu stimulieren. Die FED und die EZB versuchen sich darin ebenfalls seit über einem Jahrzehnt. Allerdings ziemlich erfolglos. Sieht man sich die Vorgehensweise genauer an, überrascht das auch gar nicht. Denn die Zentralbanken kaufen hochwertige Staatsanleihen von den Geschäftsbanken, neuerdings auch diverse andere Wertpapiere. Dafür bekommen die Geschäftsbanken ein Guthaben bei der Zentralbank gutgeschrieben. Neues Geld wird dadurch nicht geschöpft, denn tatsächlich verbleibt ein Großteil des Guthabens dauerhaft bei den Zentralbanken. Die für den Repomarkt wichtigen, hochwertigen Wertpapiere hingegen verschwinden aus dem Markt und landen auf den Büchern der Zentralbank. Der Hebel, mit dem Banken untereinander theoretisch grenzenlos neues Geld schöpfen könnten, wird dem Markt entzogen. Was die Zentralbank mit ihrem Quantitative Easing schafft, sind verlängerte Bankbilanzen, gigantische Zentralbankbilanzen, Assetberge auf den Büchern der Zentralbank, wo sie niemandem nützen, aber keine Geldschöpfung. Entsprechend wirken die Kaufprogramme der Zentralbanken nicht inflationär in Bezug auf die Geldmenge. Was sie doch bewirken ist eine Inflation der Staatsschulden. Denn der Staat selbst kann nun ungehemmt neue Schulden machen und neue Staatsanleihen begeben. Die Nachfrage nach seinen Anleihen ist groß, einerseits, weil die Zentralbanken immer mehr von diesen Papieren kaufen, aber auch, weil der Repomarkt danach hungert. Die Renditen jener Staatsanleihen, die im Repomarkt bevorzugt akzeptiert werden, sind entsprechend im Keller. Die Menge an verfügbaren, liquiden Papieren scheint international dennoch nicht auszureichen, und so leidet die Weltwirtschaft weiter an zu wenig Liquidität und damit zu wenig Wirtschaftswachstum. Der Interbanken Markt hingegen steckt nach wie vor in der Vertrauens- und Liquiditätskrise, und damit genau diejenigen, die wirklich Geldschöpfung betreiben können. Inflation dürfte mit dem derzeit praktizierten Modell deshalb nicht so schnell auf dem Speiseplan stehen.