Die Aufsichtsbehörden in der EU aber auch in anderen Ländern wie etwa Großbritannien sind derzeit ziemlich ratlos. In den vergangenen Monaten haben sie nach und nach die Auflagen für Eigenkapital von Banken, die Rückstellungen für faule Kredite und Leverage Ratios deutlich gelockert. Die Europäische Union etwa hat im Juni 2020 ihren „CRR Quick Fix“ beschlossen, um Banken in der COVID 19 Krise vorübergehend zu entlasten, mit dem Ziel, Banken dazu zu bewegen, mehr Kredite an Haushalte und Unternehmen zu vergeben und damit das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Gebracht haben die Maßnahmen bisher nichts. Denn wie aus der regelmäßig durchgeführten „ECB Lending Survey“ hervorgeht, vergeben Banken derzeit weniger Kredite unter strengeren Kreditrichtlinien.

Kreditentscheidungen nicht (nur) von Regulierungsvorschriften abhängig

Die Aufsichtsbehörden haben seit der Finanzmarktkrise 2008 eine zuvor ungeahnte Fülle an Macht und Durchgriffsrechten. Seit der weltweiten Umsetzung von Basel III gelten für den gesamten Bankensektor jede Menge Vorschriften bezüglich Risikomanagement, Eigenkapitalunterlegung und Bewertungsvorschriften. Das erklärte Ziel der neuen Regulierungsfülle: Ein sicheres, stabileres, globales Finanzsystem. Was die Aufsichtsbehörden jedoch vergessen haben: Der Bewegungsrahmen der Finanzinstitute mag sich dadurch verändert haben. Was sich nicht geändert hat sind die fundamentalen, ökonomischen Grundregeln, die dem gesamten Bankgeschäft zugrunde liegen. Dabei geht es um ganz banale Dinge wie Bonität, Liquidität, Zukunftsaussichten und Vertrauen. Kreditentscheidungen werden durch regulatorische Rahmenbedingungen sicherlich beeinflusst, aber der Entscheidung selbst liegen nach wie vor ganz andere Parameter zugrunde.

Bonität, Liquidität und Zukunftsaussichten

Nehmen Sie an, Sie wären persönlich haftender Gesellschafter einer Bank. Wem würden Sie Ihr Geld leihen, und zu welchem Preis? Sie würden es wohl am ehesten jemandem ausleihen, von dem Sie ziemlich sicher sein können, es am Ende der Laufzeit auch wieder zurück zu bekommen. Dafür ist die bisherige Bonität, also das Kreditverhalten und die Vermögenslage Ihres potenziellen Kreditnehmers wichtig, aber genau so auch die Zukunftsaussichten. Niemand von uns kennt die Zukunft. Sie stellen dafür Prognosen, berechnen Szenarien. In stabilen und sicheren Zeiten werden Sie diese Zukunftsaussichten positiver sehen. Doch aktuell befinden wir uns in politisch und gesellschaftlich instabilen Zeiten. Jeden Tag überraschen uns Politiker weltweit mit neuen Vorschriften, Auflagen und Einschnitten. Das politische Risiko erhöht das wirtschaftliche Risiko Ihres potenziellen Kredites. Entsprechend teurer werden Sie den Aufschlag dafür ansetzen. Sie werden wahrscheinlich auch jede Menge zusätzlicher Garantien und Sicherungen fordern, um überhaupt einen Kredit zu vergeben, und in den meisten Fällen werden Sie den Kreditantrag wohl schlicht ablehnen.

Banken haben selbst Sorge um Liquidität

Banken sind gebrannte Kinder. Während der heißen Phase der Finanzmarktkrise 2008 und danach noch einmal 2012 kam es zu einem Zusammenbruch des Interbanken Repo-Marktes, über den sich Banken bis dahin stets einfach und problemlos mit Liquidität versorgen konnten. Niemand will das nächste Lehman sein. Entsprechend horten Finanzinstitute weltweit Unsummen an Sichteinlagen bei ihren Zentralbanken. Sie haben gar kein Interesse daran, das Maximum an Krediten zu vergeben. Schließlich geht es um ihr Überleben. Nehmen wir noch die extremen Niedrigzinsen hinzu, zu denen Kredite ohnedies nicht mehr das satte Geschäft sind, wie sie es einmal waren, und das fallende Angebot an Kreditvergaben erklärt sich schon allein aus dieser Sicht.

Nachfrage nach Krediten sinkt ebenfalls

Sehen wir nun auf die Seite von Unternehmen und Privatpersonen. Kredite sind geliehenes Geld, auf das Zinsen gezahlt werden müssen, und das nach der vereinbarten Zeit zurück gegeben werden muss. Einen Kredit zu nehmen ist eine unternehmerische Entscheidung, die ich im Idealfall nur dann treffen werde, wenn ich davon ausgehe, das Kapital so gewinnbringend einzusetzen, dass am Ende mehr als die zu zahlenden Zinsen übrig bleiben. In diesen unsicheren Zeiten aber ist es schwer, im Voraus zu planen. Viele Branchen und Unternehmen, die negativ von Shut-Downs und Auflagen betroffen sind, sehen die Zukunft ungewiss. Sie werden sich eher nicht für große Investitionen in neue Anlagen und Produktionsstätten entscheiden. Das Selbe gilt für Privathaushalte. Sind sie unsicher, was ihre finanzielle Zukunft betrifft, werden sie nicht zwingend notwendige Vorhaben, für die ein Kredit notwendig wäre, aufschieben oder gar nicht durchführen. Und jene, die Kredite aus der puren Not heraus beantragen, werden entweder aufgrund schlechter Bonität oder Zukunftsaussichten abgelehnt, oder erhalten exorbitant hohe Risikoaufschläge. Die Nachfrage nach Krediten sinkt also analog.

Kredite darf jeder gewähren, nicht nur Banken

Um jemandem Geld auszuleihen benötigen Sie keine Banklizenz. Diese brauchen Sie dann, wenn Sie Sicht- und Spareinlagen entgegennehmen und diese verwalten. Fremdkapital hingegen darf jeder finanzieren, sei es in Form von Krediten, wie es Versicherungen bereits seit Jahrzehnten direkt machen, oder in Form von Wertpapieren und Schuldscheindarlehen. Läge die rückläufige Kreditvergabe ausschließlich an zu strengen Vorschriften für Banken in Bezug auf Eigenkapital, Rückstellungen, Bewertungen und Liquiditätsvorgaben, wäre das sogenannte Schattenbankensystem schon längst freudig eingesprungen. Offensichtlich hakt es an anderer Stelle.

Wirtschaftswachstum ist der Treiber, nicht die Vorschriften für Eigenkapital

Der wahre Treiber von Kredit- und Geldvolumen ist ein solides Wirtschaftswachstum. Dafür wiederum sind ein stabiles Umfeld und positive Zukunftserwartungen wichtig. Vertrauen darauf, Kunden zu finden, Arbeit zu haben, sichere Renten, Umsätze zu steigern, aus Investitionen Gewinne zu schlagen, politische und gesellschaftliche Stabilität, Vertrauen in Politik und ein gesundes Finanzsystem, moderne Infrastruktur und Unternehmen, eine stabile Währung, die ihren Wert auch in Zukunft behalten wird, all das sind Eckpfeiler für Vertrauen und damit Wirtschaftswachstum. Unsicherheit jeder Art wiederum wirkt negativ. Da wir uns derzeit nicht in einer stabilen und sicheren Zeit befinden und wir heute nicht wissen was das Morgen bringen wird, dürfte das Wirtschaftswachstum auch noch einige Zeit auf sich warten lassen. Den einzigen Effekt, den die gelockerten Maßnahmen der Aufsichtsbehörden in Bezug auf Eigenkapital und Risikopuffer haben, ist eine Verschleierung der wahren Lage bei den Banken, um die es tatsächlich nicht besonders gut steht. An der Kreditvergabe werden die Vorschriften hingegen wenig ändern, denn dieser liegen ganz andere Parameter zugrunde.