Stellen Sie sich folgende Situation vor: Am Handelstisch einer Bank, eines Brokers, einer Versicherung oder eines Fonds arbeitet ein Händler. Sein Gehalt ist zu einem guten Teil erfolgsabhängig. Erreicht er seine Ziele, erhält er einmal im Jahr eine bedeutende Summe Geld. Die Ziele selbst bemessen sich anhand von Gewinnen aus den von ihm gehandelten Positionen. Da Wachstum wichtig für seinen Arbeitgeber ist – schließlich erwarten die Anteilseigner und Aktionäre jedes Jahr höhere Erträge und einen Zuwachs ihrer Dividende – steigen auch die Budgetzahlen des Händlers jedes Jahr, die er erfüllen muss. Bleibt der Händler weit hinter den vorgegebenen Zahlen zurück, verliert er möglicherweise seinen Arbeitsplatz und wird durch einen anderen Händler ersetzt. Doch keine Sorge, in diesem Jahr läuft es bisher für ihn zufriedenstellend. Das liegt zu einem guten Teil an einem einzigen Produkt. Er kauft und verkauft für seinen Arbeitgeber unter anderem Derivate zu Absicherungszwecken. Nehmen wir an, es handelt sich um Swaptions, also um Zinsoptionen. Der Preis, das weiß er, ist modellabhängig. Er weiß auch, dass sein Arbeitgeber nicht über das korrekte Bewertungsmodell verfügt. Der Preis, den die vom Händler gehandelten Swaptions wert sein müssten, weicht von dem Preis ab, den das interne System seines Arbeitgebers berechnet. Und nicht nur der Preis stimmt nicht, mit ihm wird auch das Risiko nicht richtig dargestellt. Sein Wissen nutzt der Händler, um Geschäfte mit Handelspartnern abzuschließen. Er übernimmt Risiken, die der Markt höher bewertet als das interne System des Händlers. Für die Übernahme des Risikos erhält der Händler eine Kompensation in Form einer Prämie. Im internen System ist die ausgehandelte Prämie höher als sie sein müsste, also ein vermeintlicher Gewinn. Der Händler erfüllt sein Budget und erhält am Ende des Jahres seinen Bonus. Sein Chef ist zufrieden. Sein Arbeitgeber aber wird Opfer von – wahrscheinlich lange Zeit unentdeckter – Arbitrage. In diesem Fall von Systemarbitrage durch den eigenen Händler.

Systemarbitrage: Wer trägt die Verantwortung?

Sie denken das Beispiel ist weit hergeholt? Leider irren Sie sich. Systemarbitrage geschieht häufiger als Sie denken! Doch wer ist Schuld? Ist es die Morallosigkeit des Händlers, der zu seinem eigenen Nutzen seinen Arbeitgeber schädigt? Oder ist es das Unternehmen selbst, das durch falsche Anreizsysteme in Form von kaum erfüllbaren Budgetvorgaben und hohen Bonusanreizen seine Mitarbeiter quasi dazu zwingt, mit allen Mitteln zu arbeiten und Schwächen des Arbeitgebers auszunutzen, um die eigene Existenz zu sichern? Oder sind es die Risikomanager, die durch Nachlässigkeiten in der Modellentwicklung oder Modellvalidierung die Bewertungsfehler erst möglich gemacht haben?

Modellabhängige Preise und Risiken

Tatsache ist, dass viele Finanzprodukte sehr schwierig zu bewerten sind. Gerade Zinsderivate sind vielfach modellabhängig. Doch welches Modell verwendet wird, entscheidet nicht der Händler, sondern andere im Unternehmen. Wird falsch entschieden oder mit den jeweiligen Marktentwicklungen nicht mitgehalten, kommt es zu falschen Berechnungen. Der Markt aber – das sind die anderen Marktteilnehmer und Händler – wird diese Schwächen mit Sicherheit ausnutzen und das Modell entsprechend arbitrieren.

Arbitrage durch eigene Mitarbeiter bleibt lange unentdeckt

Modellarbitrage durch eigene Mitarbeiter ist dabei ein entsprechend komplexes Thema, den sie bleibt oft lange Zeit unbemerkt. Der Händler ist nahe am Markt und spricht täglich mit anderen Händlern. Er weiß um die Bewertungsfehler seines Systems. Doch wenn er selbst die zuständigen Abteilungen nicht darauf hinweist, wissen diese häufig gar nicht, dass Handlungsbedarf besteht. Es gibt sogar immer wieder Fälle, in denen der Handel das Management auf die Mängel der eigenen Systeme hinweist. Die Thematik überfordert jedoch Management und nachgelagerte Abteilungen und es geschieht lange Zeit nichts. Modellabhängige Bewertungsmodelle zu analysieren und zu verstehen erfordert ein tiefgreifendes Wissen, das verständlicherweise nicht überall vorhanden ist. Und so kommt es vor, dass Modellfehler bekanntermaßen oder unwissentlich über Monate und sogar Jahre mitgeschleppt werden.

Risiko der Neubewertung hat auch rechtliche Konsequenzen!

Werden Risiken und damit die Werte von Positionen und Portfolien fehlerhaft bewertet, führt das nicht nur zu möglicherweise hohen, finanziellen Verlusten, weil andere, besser aufgestellte Marktteilnehmer einen Vorteil daraus ziehen. Falsche Bewertungen können auch rechtliche Konsequenzen haben! Immer wieder kommt es zu Verfahren gegen teils sehr große Banken aufgrund von Bewertungsfehlern. Vom Risiko für die Reputation ganz zu schweigen. Dass eigene Händler das Spiel zu ihrem eigenen Nutzen drehen, ist in jenen Fällen, die von den Aufsichtsbehörden verfolgt werden, beinahe schon Nebensache.

Unabhängigkeit der Modellvalidierung ist wichtig

Modelle, die für modellabhängige Bewertungen verwendet werden, müssen intern abgenommen und freigegeben werden. Wie der Prozess abläuft, ist in jedem Unternehmen unterschiedlich. In vielen Fällen ist das Risikomanagement dafür verantwortlich, oder auch das Controlling. Eigene Abteilungen für Systemvalidierung leisten sich nur die ganz Großen, was sicherlich auch mit Kosten und Skaleneffekten zu tun hat. Doch selbst eine eigene Systemvalidierung ist kein Garant für Erfolg. Erstens müssen jene, die Systeme überprüfen, dafür auch die notwendigen Ressourcen, das Wissen und den Marktzugang haben. Zweitens muss deren Unabhängigkeit gewährleistet sein. Und drittens müssen ihre Erkenntnisse über bloße Empfehlungen hinaus gehen, sondern unmittelbar Entscheidungen und Konsequenzen nach sich ziehen.

Politik, falscher Stolz und Interessenkonflikte

In der Praxis hingegen spielen interne Politik, falscher Stolz und Interessenkonflikte eine enorme Rolle dabei, Systemarbitrage weiterzuführen. Wer am Ende die Verantwortung trägt? Wie in jeder großen Organisation: Viele und doch keiner. Je nach Höhe des Verlustes und falls die Sache an die Öffentlichkeit kommen sollte, könnte schlussendlich ein Manager geopfert werden, der von der Problematik zuvor nicht annähernd eine Ahnung hatte. Systemarbitrage ist aber tatsächlich ein Problem und die Verantwortung des oberen Managements, von dessen Existenz diese zumindest wissen sollten.

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