Das Klima ist beinahe tägliches Thema der Abendnachrichten geworden. Jugendliche demonstrieren an Freitagen für mehr Klimaschutz, anstatt zur Schule zu gehen. Politiker auf der ganzen Welt diskutieren über Möglichkeiten der CO2 Reduktion. Und Banken geraten in die Kritik, weil sie mit ihren Krediten großen, „bösen“ Unternehmen aus der Öl-, Gas- und Kohleindustrie Investitionen in noch mehr Förderung und Verarbeitung fossiler Brennstoffe ermöglichen. Ganz extreme Aktivisten fordern sogar einen kompletten Stopp der Kreditvergabe an solche Unternehmen. Andere plädieren zumindest für eine Verteuerung der Konditionen.
Kreditvergaben folgen nüchternen Überlegungen
Das ur-eigenste Geschäft einer Bank ist die Fristentransformation. Die Bank nimmt Sichteinlagen und Sparguthaben ihrer Kunden entgegen und vergibt diese in Form langfristiger Kredite weiter. Am Zinsspread verdient die Bank Geld. Wie hoch der Zinssatz auf den Kredit ausfällt, hängt einerseits von der Laufzeit und damit dem allgemeinen Zinsniveau ab, welches sich wiederum von der Inflationserwartungen der Marktteilnehmer ableitet, aber noch wesentlicher von der Bonität des Kreditnehmers. Die Bonität wiederum ist abhängig von der zukünftigen Erwartung über die Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers sowie über die erwartete Verwertungsrate („Recovery Rate“) im Falle einer Insolvenz. Eine Kreditprüfung ist im Grunde also eine ziemlich geradlinige Angelegenheit. Sicherheiten wie Garantien und Pfandrechte erhöhen die Bonität des Kredits, ein hoher Verschuldungsgrad des Unternehmens ist hingegen schlecht. Zukünftige Erwartungen für die jeweilige Industriebranche oder das Projekt, das Land, in dem gearbeitet oder investiert wird, die Konkurrenzsituation und die Zukunftsaussichten für die Gewinne des betreffenden Unternehmens werden analysiert. Am Ende steht zunächst die Entscheidung für oder gegen eine Kreditvergabe, und danach die Festsetzung des Aufschlags auf den risikolosen Zinssatz, der in seiner Höhe dem Risiko entsprechen muss, das die Bank durch die Kreditvergabe eingeht. CO2 Verbrauch und die Frage nach gut oder böse kommt in dieser Formel zunächst nicht direkt vor.
Klima = Reputation = Bonität?
Könnten sich CO2 und das Geschäftsfeld der Ölkonzerne dennoch auf die Kreditanalyse auswirken? Durch die zunehmend negative Sichtweise von Investoren im Besonderen und der Gesellschaft im Allgemeinen könnte es passieren, dass Investoren zukünftig lieber nicht in Aktien und Anleihen großer Ölkonzerne investieren. Durch die rückläufige Nachfrage vor allem an den Bond-Märkten könnte es für manche Unternehmen schwierig werden, auslaufende Anleihen zu günstigen Konditionen zu refinanzieren. Die höheren Zinsen auf neue Anleihen wiederum würden Liquidität und das Ergebnis des Unternehmens belasten, und damit zwangsläufig zu einer geringeren Bonität führen, die im schlimmsten Fall in einer Abwärtsspirale mündet, da neue Kredite und Bonds immer teurer würden. In dieser Überlegung könnte man tatsächlich über eine Korrelation zwischen klimaschädlichen Geschäftsmodellen und Bonität nachdenken.
Nicht alles Schwarz oder Weiß
Allerdings ist im Leben selten etwas komplett schwarz oder weiß. Banken und Energiekonzerne argumentieren damit, dass viele der großen, neuen Investitionen, für die Kredite vergeben und aufgenommen werden, in die Entwicklung neuer Technologien fließt, die deutlich weniger Umweltverschmutzung und Gefahren für unsere Welt mit sich bringen als bisher eingesetzte Techniken und Systeme. Bedeutet das also gleichzeitig, dass wir ohne Großkredite an diese Unternehmen keine besseren Technologien sehen werden, die uns retten könnten?
Doch auch für Banken ist die Sache nicht so einfach. Großkredite sind ein wichtiges Geschäftsfeld. Zudem sind Energiekonzerne relativ einfach zu analysieren, man kennt sich, die Datenlage ist gut, das Geschäftsfeld erprobt und Analyseverfahren vorhanden. In diesem Fall ist es für eine Bank deutlich effizienter, einen Großkredit im Konsortium mit anderen Banken zu vergeben, als viele, viele kleiner Kredite an weniger transparente Kreditnehmer. Und was sind die Alternativen für Banken zur Kreditvergabe? Eigenhandel ist verpönt. Provisionsgeschäft wird zurecht kritisiert. M&A Beratung können nur die Großen machen.
Nicht nur Banken sorgen für die nötige Finanzierung
Wer denkt, ein Unternehmen könnte sich nur bei Banken mit Krediten und frischem Fremdkapital eindecken, der irrt gewaltig. Banken stehen in der Kreditvergabe heute mit vielen, anderen Investoren und Unternehmen in Konkurrenz. Da wären zunächst die naheliegenden institutionellen Investoren wie Rentenfonds und Versicherungen, die über Anleihen Kapital zur Verfügung stellen. Es gibt aber auch direkte Finanzierungen, die Krediten von Banken zum Verwechseln ähneln, die von anderen Unternehmen, Versicherungen oder reinen Finanzierungsgesellschaften vergeben werden. Eine Zwitterstellung nimmt das Schuldscheindarlehen ein, bei dem wiederum institutionelle Investoren die Fremdfinanzierung aufstellen. Wenn Aktivisten also fordern, dass Ölkonzerne, aber auch die Chemie- oder Waffenindustrie höhere Kreditzinsen zahlen sollen, so steht den Unternehmen noch immer ein breites Spektrum alternativer Finanzierungsinstrumente offen. Denn, das sollte man nicht vergessen: Geld folgt der Rendite, und wenn diese stimmt, wird das Geld folgen. Sinken Aktienkurse, weil ein wichtiger Investor seine Bestände verkauft, steigt damit gleichzeitig die Dividendenrendite, was rein finanziell motivierte Investoren freuen wird. Winken attraktive Zinsen auf eine neue Anleihe, werden sich Anleger finden.
Die Macht der Nachfrage
Die Kreditkonditionen für große Öl- und Energiekonzerne wurden durch die Fridays for Future Demonstrationen bisher nicht negativ beeinflusst. Für Kreditanalysten sind allerdings sehr wohl die Zukunftsperspektiven der jeweiligen Unternehmen ein Faktor. Diese wiederum hängen maßgeblich vom zukünftigen Verkaufserfolg und damit der Nachfrage nach den Produkten und Dienstleistungen der jeweiligen Unternehmen ab. Der Konsument ist letztlich gefragt, und nicht nur der Portfoliomanager und Kreditanalyst. Kauft niemand mehr Benzin, Öl, Diesel, Gas oder Plastik, hat sich das Geschäftsmodell der Petrochemie und Ölindustrie von selbst erledigt. Zugegeben, im Winter auf die gemütliche Gasheizung und das günstige Dieselauto vor der Haustür zu verzichten, alle Produkte nur noch im Bio-Unverpackt-Laden einzukaufen (zu dem man dann mit dem Fahrrad fährt, bei Wind und Wetter), kein Urlaub mehr per Flugzeug und nur noch teuren Öko-Strom, das klingt eindeutig beschwerlicher als die Kreditvergabe von Banken zu kritisieren.