Die wichtigsten Zentralbanken der Welt schwören uns derzeit auf eine möglicherweise sehr lange Phase der extremen Niedrigzinspolitik ein. Die U.S. Federal Reserve hat sogar ihre gesamte Geldpolitik umgestellt. Wie Fed Chair Jerome Powell Ende August mitteilte, wird die Fed künftig in ihrem Inflationsziel einen langfristigen Durchschnitt anstreben, und keine Momentbetrachtung mehr in ihren Entscheidungen zugrunde legen. Und die Fed wird ihren Fokus ab jetzt auf eine niedrige Arbeitslosigkeit legen. Insgesamt könnte das dazu führen, dass die Zentralbank-Zinsen in den U.S.A. niedrig bleiben, selbst wenn die Inflationszahlen nach oben gehen sollten. In Europa verfolgen uns ultra tiefe Zinssätze bereits seit der Finanzmarktkrise 2008, und in Japan hält die Niedrigzinsphase bereits seit drei Jahrzehnten an. Doch wer profitiert davon, und was sind die unerwünschten Nebenwirkungen dieser Entwicklung?

Immobilienpreise und Mieten steigen. Steigen. Steigen.

Ein Dach über dem Kopf, das ist für jeden ein Grundbedürfnis, und selbst Unternehmen und Organisationen benötigen eine Adresse. Entsprechend treffen die rasanten Preissteigerungen an den Immobilienmärkten jeden. Familien aus der unteren Mittelschicht, die sich vielerorts vor zehn Jahren noch ein Eigenheim – kreditfinanziert – leisten konnten, stehen heute vor völlig überteuerten Immobilienpreisen. Ein Quadratmeterpreis von 4.000 Euro und mehr ist mittlerweile normal. Doch auch Mieter bekommen die höheren Preise zu spüren. Auch Unternehmen zahlen hohe Mieten für Geschäfts- und Büroräume. Die niedrigen Zinsen helfen bei derart hohen Preisen wenig weiter. Gut für alle, die bereits vor 2012 Immobilien erworben haben, aber schlecht für jene, die neu auf Wohn- oder Geschäftsraum angewiesen sind. Schlecht für allen anderen, und für die gesamte Wirtschaft. Denn die Löhne und Gehälter sind im vergangenen Jahrzehnt so gut wie nicht gestiegen. Den Menschen bleibt weniger Geld für den Konsum, da sie mehr fürs Wohnen ausgeben müssen. Das wiederum drückt auf das allgemeine Wachstum.

Das Rentensystem: Stehen wir vor dem Kollaps?

Dramatischer könnte die Lage für viele Rentenkassen kaum sein. Die Erträge der traditionell schwerpunktmäßig in Fixed Income investierten Portfolien sind miserabel. Die Lücken in betrieblichen Rentenkassen klaffen besorgniserregend weit auf und belasten Unternehmen zunehmend. Private Altersvorsorge über Rentenversicherungen liefern ebenfalls selten die Performance, die zuvor versprochen wurde. Altverträge belasten noch mit hohen Renditeversprechen. Dafür ist in Neuverträgen die Entwicklung umso härter zu spüren. Das Umlageverfahren in vielen Ländern steht ohendies schon lange in der Kritik. Durch die demographische Entwicklung und eine längere Lebenserwartung war das System schon vorher in Schieflage geraten. Die dauerhafte Niedrigzinslage wird vielen Rentenkassen und Systemen möglicherweise den Todesstoß versetzen. Die Lage für unsere zukünftigen Renten und Pensionen könnte schlimmer kaum sein. Für Miete im eigenen Zuhause oder einen qualitativ guten Heimplatz wird es nur bei den wenigsten Menschen in Zukunft reichen.

Sparen lohnt nicht. Das trifft auch die Banken.

Das gerade nicht dringend benötigte Geld, den Notgroschen oder die Sparsummen für zukünftig geplante, größere Anschaffungen sowohl im Privaten als auch im Betrieb auf ein Sparkonto zu legen, lohnt schon lange nicht mehr. Das trifft aber nicht nur die Sparer, sondern auch die Banken. Ihnen fehlt das Einlagengeschäft. Früher lebten selbst normale Sparkassen und Volksbanken ganz gut von den Margen der Fristentransformation. Heute müssen sie sich mit mageren Erträgen beglücken und andere Ertragsquellen wie den Provisionsverkauf von diversen Anlageprodukten erschließen. Das wiederum führt uns zur nächsten Nebenwirkung:

Risiko wird nicht bezahlt

Grundsätzlich sollte an den Finanzmärkten gelten: Höheres Risiko bedeutet einen höheren Ertrag. Doch das stimmt heute nur noch sehr bedingt. Niedriges Risiko bedeutet heute sogar negativen Ertrag, und hohes Risiko wird gerade einmal mit moderaten Erträgen honoriert. Mit ein Grund dafür ist die enorme Nachfrage nach möglichst sicheren Assets. Die höchste Qualität ist allerdings nicht ausreichend vorhanden, um die vielen Bedürfnisse des Kapitalmarktes wie Repos, Collaterals, Margins und Liquiditätsreserven ausreichend zu erfüllen. Entsprechend hoch sind die Preise, die für diese Assets bezahlt werden, was auf die Rendite drückt. Das restliche, vorhandene Vermögen sucht händeringend nach Alternativen. Die Preise für Aktien, Immobilien, Gold und Edelmetalle und sogar Kunst sind dramatisch gestiegen, ohne entsprechende, laufende Erträge abzuwerfen, die ihre Kaufpreise rechtfertigen würde. Risiko und Ertrag sind in ein Missverhältnis geraten.

Staaten können sich billig verschulden

Eindeutige Nutznießer der Niedrigzinspolitik sind Staaten mit guter Bonität. Sie können sich billig und scheinbar grenzenlos verschulden, was sie auch tun, und das nicht zu knapp. Wie langfristig nachhaltig eine ständig steigende Staatsverschuldung ist sei dahin gestellt, doch am Beispiel Japan sieht man, dass die Sache auch über mehrere Jahrzehnte mehr oder weniger ungehindert weiter laufen kann. Doch Schulden sind Schulden, und irgendwann müssen sie entweder zurück bezahlt oder erlassen werden. Die größten Bestände dieser Staatsschulden liegen übrigens bei den jeweiligen Zentralbanken. Die Schulden zu erlassen würde ziemlich sicher den Kollaps der eigenen Währung bedeuten, was ebenfalls niemand will. Also wird weiter gemacht wie bisher.

Große Unternehmen bekommen unlimitiert Geld. Kleine Unternehmen nicht.

Nicht nur Staaten, sondern auch große Unternehmen können sich einfach und vergleichsweise günstig verschulden. Was sie auch tun, selbst jene, die eigentlich gerade kein Geld brauchen. Sie verkaufen Anleihen und nehmen Kredite zu günstigen Zinsen auf, um ihr Liquiditätspolster zu steigern oder eben die nächste Milliarden-Akquisition zu machen, denn irgendwo hin mit dem Geld muss man schließlich. Sie werden dadurch noch größer, noch gehebelter, bis sie too big to fail sind. Kleine Unternehmen wiederum sehen zu, wie sich die Kreditvergaberichtlinien für sie zunehmend verschärfen und ihr Zugang zu Liquidität trocknet aus. Entweder man ist groß und wächst weiter, oder man ist klein und geht langsam ein. Japan fährt dieses Spiel bereits seit Jahrzehnten, was zu vielen, großen Zombie Unternehmen und riesigen Bergen an Problemkrediten auf Japans Bankbilanzen geführt hat.

Ist ein Ende in Sicht?

Wie lange große Staaten und Zentralbanken mit Deflation, einem Mangel an Liquidität, einem Engpass an Finanzierung für kleine Unternehmen, schleppendem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit weiter machen können, zeigt uns Japan. Ein alter Artikel aus 2002 im Guardian liest sich, als wäre er erst kürzlich verfasst worden. Das Problem der japanischen Zombie Unternehmen werden wir wohl analog in vielen anderen Ländern sehen. Dazu wahrscheinlich langfristig Deflation, Arbeitslosigkeit, geringes Wachstum und eine kranke Banken- und Unternehmenslandschaft. Ob es wirklich so kommen wird, weiß selbstverständlich niemand, denn keiner kennt die Zukunft und am Ende kommt alles immer anders als gedacht. Doch Japan sollte dem Rest der Welt eine Mahnung sein. Dass selbst Japan nach drei Jahrzehnten Krise noch immer keine Antwort und keinen Ausweg gefunden hat, beunruhigt allerdings enorm. Niedrige Zinsen und unlimitiertes QE scheinen jedenfalls nicht die Lösung zu sein.