BahlConsult GmbH Martina Bahl unabhängige Expertin und Unternehmensberaterin für Derivate, Swaps, Kapitalmarkt und Financial EngineeringNach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hat die öffentliche Hand in Deutschland allein im ersten Halbjahr 2016 einen Überschuss von 18,5 Milliarden Euro erzielt. Für das Jahr 2016 sei deshalb erneut mit einem Haushaltsüberschuss zu rechnen, wie schon in den beiden Jahren davor. Begründet wird das zunächst mit dem guten Wirtschaftswachstum. Doch im letzten Satz offenbart sich, dass die niedrigen und für den Staat sogar negativen Zinsen die wichtigste Rolle spielen. Dort heißt es: „Wegen des weiterhin sehr niedrigen Zinsniveaus und eines gesunkenen Schuldenstandes sind die Zinsausgaben erneut stark zurückgegangen (– 13,8 %).“

Denn der Staat und seine öffentlich rechtlichen Körperschaften emittieren seit 2014 immer öfter Anleihen, die einen effektiv negativen Zinssatz aufweisen. Dazu zählen seit geraumer Zeit nicht nur Anleihen des Bundes selbst, sonder auch Anleihen der Deutschen Bahn oder Abwicklungsgesellschaften wie etwa die EAA (Erste Abwicklungs Anstalt, eine Anstalt öffentlichen Rechts, welche in NRW die Assets und Liabilities der ehemaligen WestLB abwickelt). Selbst wenn ein symbolischer Zinssatz gezahlt wird, ist der Ausgabekurs so weit über Pari (über 100%), dass sich effektiv eine über die gesamte Laufzeit gesehen negative Verzinsung ergibt.

Was den einen freut, ist bekanntlich des anderen Leid. Und immer mehr merken jetzt die ganz normalen Bürger, dass am Ende sie die Rechnung zahlen. Über Gebühren beispielsweise, die neuerdings auf Bankkonten und andere Leistungen der Banken erhoben werden. Oder durch niedrigere Renditen in Fonds zur Altersvorsorge. Denn die Kapitalanlagegesellschaften und Versicherungen geraten immer mehr unter Druck, den sie selbstverständlich an die letztendlich Begünstigten ihrer Produkte weiterreichen. Dazu gibt es noch höhere Zusatzbeiträge, niedrigere und teils völlig unattraktiv gewordene Annuitäten und sogar weniger Geld in der örtlichen Vereinskasse, weil plötzlich Kontoführungsgebühren wie auf ein Geschäftskonto gezahlt werden müssen. Die sicheren Anleihen kosten absurderweise negative Renditen, und in Aktien mag nicht jeder sein hart verdientes Geld stecken, zumal überall schon von einer Überhitzung die Rede ist. Auf dem Konto wird es in Cash aber auch nicht mehr, Sparzinsen gibt es keine. Der kleine Sparer muss zahlen. Einerseits durch entgangene Zinsen, und dann nochmal über Gebühren. Ein Teufelskreis.

Viele Staaten der Welt sind dennoch hoch verschuldet und schaffen es trotz anhaltend hoher Neuverschuldung nicht, die Wirtschaft zu beleben oder ihre Infrastruktur aktuell zu halten. Ohne die niedrigen Zinsen käme so manch einer womöglich in arge Bedrängnis. So aber wächst der Staatsschuldenberg immer und immer weiter. Wie hoch er werden kann, ohne zu kippen?

Da denkt man unweigerlich an Thomas J. Sargent und seine Dankesrede vor dem Nobel Kommittee in Stockholm, als er 2011 den Wirtschaftsnobelpreis entgegen nahm. Er sagte damals – wie in vielen seiner zahlreichen Publikationen auch – dass die Bürger irgendwann für die Schulden ihrer Regierungen aufkommen müssen. Entweder heute oder morgen. Entweder durch Steuern, oder Inflation oder durch einen Bankrott. („When a government spends, its citizens eventually pay, either today or tomorrow, either through explicit taxes or implicit ones like inflation and defaults on debts.“) Was Sargent damals noch nicht erwähnte, weil es sogar 2011 noch praktisch unmöglich schien, dass selbst Normalbürger plötzlich negative Zinsen gegenüber stehen, waren eben diese. Negative Zinsen. Auch durch sie kann sich der Staat sanieren. Die Zeche zahlen die einfachen Menschen. Denn sie sind es, die mit ihrem Kapital nicht flexibel um die Welt jonglieren und in alternative Assetklassen gehen können. Das sagt natürlich niemand so klar und deutlich, schließlich möchten Politiker stets und immer beliebt sein, Wahlen gewinnen, im Meinungsbarometer ganz oben rangieren. Die Inflation könnte im Anschluss übrigens auch noch kommen. Und zwar rasant und hoch. Denn die Notenbanken drucken seit Jahren Geld wie die Wahnsinnigen. Mit dem Geld kaufen sie Wertpapiere, ein Großteil davon ihre eigenen Staatsanleihen. Wer verhindert, dass diese so restrukturiert werden, dass sie rein technisch nie zurückgezahlt und verzinst werden müssen, also rein wirtschaftlich als erlassen gelten? QE und negative Zinsen, ein Spiel mit dem Feuer oder bewusster Weg der EZB, BoJ und Fed?

Einen weiteren, sehr treffenden Kommentar fand übrigens auch Peter Coy unlängst in seinem Kommentar im Bloomberg Businessweek, wo er sich fragte: Sind negative Zinsen schmerzhaft aber notwendig, so wie das Ziehen eines Zahns, oder schmerzhaft und sinnlos, wie ein Schlag auf den Kopf mit einem Holzhammer?