Moderne Zeiten?
Justin Trudeau, der Premierminister von Kanada, wurde nach der Bildung seines ersten Kabinetts 2015 gefragt, warum er es mit der Anzahl der Frauen in seiner Regierung so ernst nehme. Seine kurze und mittlerweile berühmte Antwort darauf: „Weil wir das Jahr 2015 haben.“ Was soll man darauf noch sagen, außer ja, der Mann hat recht, wir leben in einer aufgeklärten Zeit, in der gleiche Werte, gleiche Chancen und gleichwertige Rollenverteilungen eigentlich selbstverständlich sein sollten.
Die 30% Regel im Aktiengesetz
Doch was in Kanada bereits ganz oben angekommen ist, ist in Deutschland offensichtlich zäher als erwartet. Trotz einer Frau als Bundeskanzlerin. Denn in deutschen Unternehmen sind Frauen im Management noch immer unterrepräsentiert. Darüber wurde bereits viel geschrieben, und auch die Politik ist aktiv geworden. Mittlerweile gibt es eine Männer-und-Frauen-Quote im deutschen Aktiengesetz. Das deutsche Aktiengesetz gilt für deutsche Aktiengesellschaften und schreibt vor, dass in Aufsichtsräten deutscher Aktiengesellschaften möglichst mindestens 30% Frauen und 30% Männer vertreten sein sollten.
DAX Unternehmen schaffen im Schnitt 30,14%. Kein Prozent mehr.
So weit so gut. Die DAX Unternehmen haben zum heutigen Tag tatsächlich eine Frauenquote von insgesamt 30,14%. Kein Prozent mehr als nötig, aber immerhin die Quote erfüllt. Im Durchschnitt, wohlgemerkt. Es gibt Vorzeigeunternehmen wie Munich RE mit 45% und die Deutsche Börse mit 41% Frauenanteil. Ein Schattendasein führen Frauen hingegen bei HeidelbergCement mit nur 17% und SAP und Volkswagen mit jeweils 20%. Dennoch, die 30% sind erfüllt. Zumindest für den oberflächlichen Betrachter. Denn was das deutsche Aktiengesetz wohl nicht bedacht hat: Die Förderung der Frauen findet zu einem guten Teil im Ausland statt!
Aufsichtsrätinnen leben oft im Ausland
Aufmerksam darauf wurde ich auf der Hauptversammlung der Metro. Dort sollten gleich drei Frauen in den Aufsichtsrat der neuen ceconomy gewählt werden. Super, dachte ich zunächst. Kurz gefolgt von Ernüchterung. Die erste der drei Damen war eine Deutsche, kompetent und erfahren, allerdings bereits deutlich im fortgeschrittenen Rentenalter. Die zweite Dame kam aus Dänemark, wo sie auch arbeitete, als Vorstand bei Lego. Sie sprach kein Deutsch. Nur Englisch. Der Simultanübersetzung konnte man nur schwer folgen. Die dritte Dame, wohnhaft in London, war gar nicht erst erschienen. Der Weg war wohl zu weit gewesen oder der Hauptberuf als Vorstand eines anderen, großen Unternehmens wichtiger. Deutschkenntnisse? Wer weiß. Nicht einmal zur Wahl war sie gekommen. Wird sie denn zu den Sitzungen des Aufsichtsrats erscheinen? Und warum konnte das Unternehmen keine deutschsprachigen, in Deutschland lebenden Frauen finden, die wir als Aktionäre in den AR wählen konnten?
Jede 4. Aufsichtsrätin lebt nicht in Deutschland
Wie ist das bei anderen, großen Aktiengesellschaften in Deutschland? Ich machte mich also auf die Suche nach den Frauen in unseren Aufsichtsräten. In den 30 DAX Unternehmen gibt es aktuell 148 Frauen unter insgesamt 491 Aufsichtsräten. Macht 30,14%. Von diesen 148 Frauen wohnen 34 im Ausland. Das sind 23% der weiblichen Aufsichtsräte. 67 Frauen von den 148 wurden von der Arbeitnehmerseite entsendet. Das sind 45,27% der weiblichen Aufsichtsräte. Da nicht in allen Unternehmen Aufsichtsräte von den Arbeitnehmern entsendet werden, liegt der Anteil der Frauen, die von der Belegschaft entsendet werden, in den betroffenen Unternehmen sogar über 50%. Die DAX Unternehmen verdanken es also großenteils ihrer fortschrittlichen Belegschaft, dass sie die „Frauenquote“ überhaupt erreichen. Zumindest dort scheint das Selbstverständnis der Gleichbehandlung vorhanden zu sein, und es mangelt Belegschaft und Gewerkschaft offensichtlich auch nicht an ausreichend qualifizierten Frauen.
Die Anteilseigner entsenden wenig Frauen
Doch zurück zu den 30 DAX Unternehmen. Rechnen wir aus den 148 Frauen die 34 im Ausland lebenden Frauen heraus, sowie die 67 Frauen der Arbeitnehmervertreter, verbleiben ganze 48 weibliche Aufsichtsräte von 491. Das sind 9,78%. Nicht einmal 10% der DAX Aufsichtsräte sind Frauen UND leben in Deutschland UND wurden von den Anteilseignern entsendet! Darunter sind übrigens auch Frauen, die mehrere Aufsichtsratsmandate inne haben. Die absolute Zahl von in Deutschland lebenden Frauen, die als Vertreterinnen der Anteilseignerinnen in den Aufsichtsräten der 30 DAX Unternehmen sitzen, ist deshalb nochmals geringer.
MDAX Unternehmen erfüllen die Quote oft nicht
Im MDAX beträgt der Frauenanteil aktuell 25,82%. Von 577 Aufsichtsräten deutscher MDAX Unternehmen sind 146 Frauen. Davon leben 18 im Ausland (12,33%) und 62 (42,47%) wurden von der Belegschaft entsendet. Von Seite der Anteilseigner wurden immerhin 11,44% weibliche Aufsichtsräte, die in Deutschland leben, entsendet. Viele der MDAX Unternehmen erreichen gerade einmal ihre 30%, aber keine Frau mehr. Es gibt sogar drei deutsche MDAX Unternehmen ohne Frauen im Aufsichtsrat: Deutsche Wohnen, Rational sowie die TAG Immobilien AG. Doch auch Zalando mit 11%, Axel Springer mit 11%, Wacker Chemie mit 12% oder die Schaeffler AG mit 15% bekleckern sich nicht gerade mit Ruhm.
Gleich 11 SDAX Unternehmen haben 0% Frauen im Aufsichtsrat!
Bei den SDAX Unternehmen sinkt der durchschnittliche Frauenanteil bereits auf 22,25% (83 von 382 Aufsichtsräten sind Frauen). Der Mittelwert beträgt sogar nur 18,99%. Davon leben allerdings nur noch 7 im Ausland (8,43%) und 30 wurden von der Belegschaft entsendet (36,14%). Von Seite der Anteilseigner macht das immerhin 12,04% Frauen, die in Deutschland leben. Im Durchschnitt wieder, wohlgemerkt. Denn im SDAX trennt sich die Spreu vom Weizen sehr klar. Es gibt Vorzeigeunternehmen wie Wüstenrot&Württembergische mit 37,50%, Amadeus Fire mit 41,67%, die CEWE Stiftung mit 41,67% und das Rhön Klinikum als Spitzenreiter sogar mit 43,75% Frauenanteil. Daneben gibt es allerdings auch unglaubliche 11 Unternehmen ohne eine einzige Frau im Aufsichtsrat, darunter Unternehmen wie Rocket Internet, SIXT, Vossloh, Washtec oder zooplus.
Die Quote motiviert nicht immer
Wie es scheint, profitieren Frauen in Deutschland nicht wirklich von der im Aktiengesetz festgeschriebenen „Frauenquote“. Die Frauen, die in den Aufsichtsräten der großen Aktiengesellschaften sitzen, werden zum Großteil von der Belegschaft entsendet, die hier bereits vorbildlich und fortschrittlich agiert. Von Unternehmerseite wohnen hingegen viele weibliche Aufsichtsräte im Ausland.
In der Vorstandsetage sind Frauen ausgesprochen selten
Auf Vorstandsebene sieht die Sache übrigens noch trauriger aus. Der Club der weißen Männer bleibt in der Vorstandsetage bis auf wenige Ausnahmen unter sich. Frauen? Selten. Minderheiten oder Menschen anderer Hautfarbe? Fehlanzeige. Dabei ist wissenschaftlich belegt, dass Teams mit unterschiedlicher Zusammensetzung, also einer Mischung aus Männern, Frauen, Alten, Jungen, Weißen, Farbigen und Menschen unterschiedlicher Herkunft und Voraussetzungen für ein Unternehmen auch wirtschaftlich ein Gewinn sind. Da erstaunt es umso mehr, dass gerade die Anteilseigner, also die Aktionäre, hier auf Potenzial verzichten.
„Die Frauen“ werden oft als nicht qualifiziert abgetan
Dafür muss sich das Management eines Unternehmens natürlich rechtfertigen. Es heißt dann in der Regel, es mangle „den Frauen“ an der nötigen Qualifikation. „Die Frauen“ bekämen Kinder, seien nicht interessiert oder eben anderweitig nicht geeignet. Als Unternehmerin und Mutter von drei Kindern kann ich über solche Argumente nur den Kopf schütteln. Ich kenne jede Menge erfahrener, talentierter, qualifizierter und motivierter Frauen mit einer Top Ausbildung, die zusätzlich auch in Deutschland wohnen.
Wir schreiben das Jahr 2017!
Vielleicht sollten sich „die Männer“ im Management deutscher Aktiengesellschaften ein Vorbild am kanadischen Premierminister nehmen. Schließlich schreiben wir das Jahr 2017.