Kreditverträge mit sehr speziellen Komponenten

Komplett neu ist das Konzept nicht, wohl aber die Art der Struktur und der vertraglichen Ausgestaltung: Kreditverträge mit exotischen Vertragsbausteinen. Wie wäre es mit einer flexiblen Laufzeit, einer variablen Tilgungsstruktur oder besonders günstigen Kreditraten? Alles zu vermeintlich geringeren Zinsen als anderswo im Markt? Da es im Finanzmarkt bekanntlich nichts geschenkt gibt, stehen auf der anderen Seite der Waagschale spezielle Vertragsbedingungen.

Inspiration aus den U.S.A.

In den U.S.A. werden exotische Kredite, die auch „non-traditional loans“ genannt werden, bereits lange eingesetzt und erlangten im Zuge der Subprime Krise eine gewisse Berühmtheit. Denn im US-Immobiliengeschäft werden standardmäßig Kredite an Immobilienkäufer vergeben, die im Krisenfall für den Kreditnehmer zusätzlich problematisch werden können. Beliebt sind und waren:

  • Interest-only Mortgages: Das sind Immobiliendarlehen mit einer Endtilgung, für die über die gesamte Laufzeit hinweg ausschließlich die Zinsen bezahlt werden. Häufig sind Sondertilgungen möglich.
  • Adjustable Rate Mortgage / Minimum Rate Mortgage: Hier kann der Kreditnehmer jeden Monat selbst entscheiden, wie viel er bezahlt. Meist ist ein gewisser Mindestbetrag vorgesehen. Logischerweise erhöht sich bei sehr kleinen oder gar keinen Zahlungen die Schuld entsprechend. Man spricht dann auch von einer negativen Tilgung.
  • Teaser Mortgage: Hier ist der Zinssatz zu Beginn außergewöhnlich niedrig. Der Zinssatz erhöht sich nach kurzer Zeit überproportional. Schließlich muss das „Zinsgeschenk“ aus den ersten Jahren aufgeholt werden.

In Europa vor allem im Großkundengeschäft

Bis noch vor wenigen Jahren wurden große Kredite – wir sprechen von Summen in Millionenhöhe an Unternehmen oder Kommunen – meist als normale Darlehen mit variablen oder fixen Zinsen abgeschlossen und dann mit einfachen bis sehr komplexen („exotischen“) Zinsswaps, Swaptions oder Optionen kombiniert. So ergaben sich ganz individuelle Zahlungsströme und Risikoprofile. Denn die Kombination aus Krediten und Derivaten schafft schier unbegrenzte Möglichkeiten. Zahlungszeitpunkte, Zahlungshöhe, Risikoprofile, Fälligkeitsstrukturen, Währung, Zins und vieles mehr lassen sich so gestalten. Meist gehen Kreditnehmer hier Optionen short, das heißt sie verkaufen Optionen auf bestimmte Risiken. Das kann eine völlig unbeteiligte Währung sein, ein bestimmter Referenzzins, ein Rohstoff, eine Aktie, aber auch die Bonität und neuerdings sogar Kryptowährungen. Für den Verkauf einer Option erhält der Verkäufer eine Prämie.

Derivate werden eingebettet

Derivate und Swaps rangieren seit der letzten Finanzkrise eher im unteren Bereich der Beliebtheitsskala. Erschwerend sind Änderungen durch Basel III, Dodd-Frank und die CRD IV hinzugekommen, die Derivate auch für Banken nicht mehr sonderlich erstrebenswert machen. Auf die wunderbaren Eigenschaften von Derivaten kann und will der Finanzmarkt dennoch nicht verzichten. Also werden sie nicht mehr direkt sondern schön verpackt unter anderem als exotische Kredite vertrieben.

Bewertung als Derivate

Auch wenn Kredit drauf steht, im Inneren stecken bewertungsmäßig Derivate. So werden diese exotischen Kredite dann auch bankintern berechnet. Je nach Struktur beinhalten die Kredite Swaps, Caps, Floors, Swaptions, verschiedene Optionen, alles mit normalen oder digitalen Auszahlungsprofilen, als Quanto oder Outright. Die Bewertung kann unter Umständen ausgesprochen komplex werden.

Flexibles Financial Engineering

In den Werbebotschaften der Anbieter finden sich wohlklingende Attribute wie „Optimierung“, „individuelle Finanzierungsstruktur“ und „flexible Lösung“. Die Ausgestaltung der Kreditverträge ist tatsächlich sehr komplex, der Einsatz ausgesprochen flexibel. Einerseits lassen sich die Fälligkeitsprofile, Liquiditätsströme und die Kapitalstruktur neu ordnen, aber es lassen sich damit auch komplett neue Risiken in den Kreditvertrag einbetten. Die Umstrukturierung komplett anderer Bilanzrisiken und Assetklassen lassen sich durch exotische Kredite eben auch gestalten. Der Grat zwischen sinnvollem Financial Engineering und Missbrauch ist schmal.

Ein einfaches Beispiel

Nehmen wir an, Sie benötigen für Ihr Projekt einen Kredit über 100 Millionen Euro. Die Cashflows aus dem Projekt sind mehr als ungewiss (etwa weil Sie eine Kommune sind und das neue Schulgebäude keinen Ertrag bringen wird). Die Bank bietet Ihnen einen Kredit an, bei dem Sie jedes Jahr nur 2 Millionen zahlen. Der Betrag von 2 Millionen ändert sich nicht, er ist über die gesamte Kreditlaufzeit konstant. Sie müssen sich nicht mal um die Tilgung sorgen. Mit 2 Millionen Euro jedes Jahr, damit können Sie leben. Die Laufzeit selbst hängt vom Zinsniveau ab.

Ihrem Kredit liegt ein Rechenzins von 3-Monats-Euribor + 1% zugrunde. Von den 2 Millionen werden die Zinsen bezahlt, und bleibt etwas übrig, so dient das der Tilgung. Aktuell liegt der 3-Monats-Euribor bei -0,327%. Sehr schön, denken Sie, das macht also 0,673%. Für die Tilgung bleibt also aktuell noch ein satter Patzen übrig.

Doch steigt der Euribor, und die 2 Millionen Euro reichen nicht mehr aus, um die Zinsen zu bezahlen, so erhöht sich die Schuld. Die Laufzeit des Kredits ist deshalb zunächst nicht festgelegt. Bei steigenden Zinsen wird sich die Laufzeit entsprechend verlängern, denn die Tilgung rückt in immer weitere Entfernung. Je höher der Referenzzinssatz, desto schneller steigt der Kreditbetrag an. Was sich trotzdem nicht ändert sind die regelmäßigen 2 Millionen Euro. Sie zahlen weiterhin keinen Cent mehr.

Möglicherweise haben Sie in Ihrem Kreditvertrag nicht nur Sondertilgungsrechte sondern auch Kündigungsrechte. Doch glauben Sie mir, das wird für Sie kaum eine Rolle spielen. So lange die Zinsen niedrig sind, werden Sie den Kredit wahrscheinlich ohnedies nicht kündigen wollen. Und steigen die Zinsen ordentlich an, so wird sich Ihre Motivation ebenfalls in Grenzen halten. Bei einer Umschuldung auf einen „normalen“ Kredit müssten Sie dann nämlich deutlich mehr als 2% an Zinsen bezahlen, bei einem zunächst gleichen Kreditbetrag. Den „Verlust“ aus ihrem höheren Kreditnominal müssten Sie zu diesem Zeitpunkt realisieren. Durch die zu geringen Zinsen und die fehlende Tilgung verlagern Sie die Last zwar immer weiter und weiter in die Zukunft, was Ihnen mit Sicherheit bewusst ist. Dennoch, wenn Sie nicht gerade selbst Eigentümer des Unternehmens sind, sondern nur für eine begrenzte Zeit die Funktion des Finanzvorstands oder Kämmerers inne haben, werden Sie sich ziemlich wahrscheinlich damit zurück halten, Ihren Cashflow und damit Ihr aktuelles Finanzergebnis mit höheren Zinszahlungen zu belasten. Und auch die Bank wird Ihren Kredit in der Regel weiterlaufen lassen, solange es die Kreditlinien zulassen. Im Idealfall sind Sie eine Kommune, dann belastet der höhere Kreditbetrag auch nicht das Eigenkapital der Bank. Sind Sie keine Kommune, sondern ein Unternehmen, behält sich die Bank möglicherweise bei Erreichen einer bestimmten Schwelle die Zwangsumschuldung in einen „normalen“ Kredit vor.

Optionen ist die Art der Verpackung gleichgültig

Exotische Kreditstrukturen sind verpackte Derivate. Optionen ist es gleichgültig, ob sie in Swaps, Kredite oder Anleihen verpackt werden. Sie funktionieren dort und da. Doch sollte man sich als Kreditnehmer im Klaren sein, welche Pflichten und Risiken man mit einem Finanzprodukt eingeht. Möglich ist so Einiges, und gerade Derivate bieten wunderbar kreative und gestalterische Strukturen. Nicht immer ist dem Kreditnehmer komplett klar, worauf er sich einlässt, und wie sich sein exotischer Kredit zusammensetzt. Vor dem Abschluss eines komplexen, exotischen Kredits lohnt deshalb unter Umständen eine unabhängige Zweitmeinung!