Ab 2020 darf EONIA nicht mehr als Referenzzins verwendet werden!

Über die Jahre hinweg hat sich EONIA als wichtiger Benchmark Zins im Euroraum etabliert. EONIA dient unter anderem als Basis für Kredite, Swaps und das Besicherungsmanagement (Collaterals). EONIA, das ist ein Tagesgeld Referenzzins (Euro Overnight Index Average), der von der Europäischen Zentralbank anhand von Kapitalmarkttransaktionen im Interbankenmarkt berechnet wird. Doch so wie EONIA berechnet wird, widerspricht es in einigen Punkten der seit 2018 geltenden Benchmark Verordnung der Europäischen Kommission. Deshalb wird die Berechnung und Veröffentlichung von EONIA Ende 2019 eingestellt. Denn für die Berechnung von EONIA werden freiwillig gemeldete Zahlen von ebenfalls freiwillig in einem sogenannten Panel teilnehmenden, großen Banken verwendet (jeweils ein Zinssatz pro Bank). Diese freiwillige Panel-Form und die Art der bereits auf Bankebene zu einer Zahl zusammen gefassten Quotierung steht im Widerspruch zur Benchmark Verordnung. EONIA darf deshalb als Benchmarkzins für Neugeschäfte nicht mehr verwendet werden.

EURIBOR könnte ab 2021 aufhören

Auch den Euribor trifft das Los. Denn auch die Euribor Referenzsätze werden von freiwillig teilnehmenden Panel-Teilnehmern (wieder große Banken) quotiert. Im Fall des Euribor ist die Sache noch kritischer, da die Quotes nicht auf tatsächlichen Geschäften basieren sondern Schätzungen sein dürfen. Zudem ist die Bereitschaft von Banken, an den LIBOR und Euribor Panels teilzunehmen, seit der Finanzmarktkrise stark gesunken. Ein sicheres Weiterbestehen ist deshalb ungewiss, und das könnte bei den gigantischen Geschäftsvolumina, die auf dem Euribor basieren, dramatische Folgen haben. Denn auf den Euribor referenzieren aktuell laut einer Schätzung der Europäischen Kommission 180 Billionen Euro an Finanzgeschäften. Vom variablen Kredit über Anleihen, Verbriefungen, ETFs, Fonds, Versicherungen, Renten bis hin zum gigantischen Markt für Derivate beziehen sich heute beinahe alle Geschäfte entweder direkt oder indirekt auf einen Euribor basierten Zins. Auch der Euribor entspricht nicht der Benchmarktverordnung und darf ab 2020 nicht mehr als Benchmark verwendet werden. Hinzu kommt, dass ab 2021 die Quotierungen für die EURIBOR Zinssätze komplett wegfallen könnten.

ESTER soll ab 2020 als neuer Referenzzins verwendet werden

Die Europäische Zentralbank hat in Zusammenarbeit mit mehreren Arbeitsgruppen, deren Mitglieder unter anderem Banken, Verbände und Aufsichtsbehörden sind, eine Alternative zu EONIA erarbeitet, die schlussendlich auch die Euribor Quotes als Referenzzinssätze ablösen soll. Der neue Referenzzins mit dem Namen ESTER (Euro short-term rate) wird ab Oktober 2019 von der EZB veröffentlicht, und zwar an allen TARGET2 Geschäftstagen um 9.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit auf der Webseite der Europäischen Zentralbank. TARGET2 ist das Zahlungssystem des Eurosystems, und abgesehen von Samstag und Sonntag ist das System an nur sechs Feiertagen im Jahr geschlossen.

ESTER ist ein unbesicherter Tagesgeldsatz

Für die Berechnung von ESTER werden die Zinssätze auf unbesicherte Einlagen über eine Million Euro Nominale betrachtet. Berechnet wird an jedem TARGET2 Geschäftstag, und zwar ein volumengewichteter Durchschnitt (allerdings ohne die volumsmäßig je 25% größten und kleinsten Geschäfte), gerundet auf drei Nachkommstellen. ESTER bezieht sich somit also nur auf die Hälfte des Volumens der tatsächlich abgeschlossenen Geschäfte.

Die Daten selbst stammen aus meldepflichtigen Transaktionen großer Banken. Diese sind gemäß der europäischen MMSR Verordnung (Verordnung (EU)  Nr. 1333/2014 der Europäischen Zentralbank vom 26. November 2014 über Geldmarktstatistiken) seit 2016 unter anderem verpflichtet, ihre gesamten Transaktionen auf dem Geldmarkt an die EZB zu melden. Alle bis 7.00 Uhr morgens gemeldeten Daten wandern in die Berechnung des nächsten ESTER Satzes.

ESTER wird eine kostenlos zu verwendende Benchmark Rate sein, für die niemand Lizenzgebühren entrichten muss. Der Name ESTER wird eine geschützte Marke der EZB sein.

Pre-ESTER für Testzwecke

Die Umstellung einer so wichtigen Benchmark Rate ist eine Mammutaufgabe. Damit können Banken, Versicherungen, Fonds, Versorgungswerke, Stiftungen, Kommunen, Unternehmen, Broker und alle sonstigen Kapitalmarktteilnehmer nicht bis Oktober 2019 warten. Eine unglaublich große Zahl an Systemen, Programmen, Modellen und Berechnungen muss umgestellt werden. Der Zeitplan ist schon jetzt ausgesprochen ambitioniert, und ganz so unwahrscheinlich scheint es aus heutiger Sicht nicht, dass die Umstellung schlussendlich doch noch ein wenig nach Hinten verschoben wird. Doch kommen wird sie, und dafür muss im Idealfall jedes System, Modell und Programm mit der neuen Benchmark getestet werden. Die EZB wird dafür eigene Pre-ESTER Zeitreihen veröffentlichen. Diese werden nicht ganz den tatsächlichen ESTER Daten gleichen, da die dafür verfügbaren, historischen Datenreihen bereits Korrekturbuchungen aller Art enthalten (ESTER selbst wird so zeitnah veröffentlicht, dass es noch keine Korrekturen oder Stornos enthalten wird), aber nach der selben Methode berechnet.

Noch sind viele Fragen offen

Es ist erstaunlich, wie ruhig der Markt die Sache bisher aufnimmt. Die große Aufregung ist bisher ausgeblieben, und das, obwohl – sollte das Aus für LIBOR, Euribor, EONIA und Co tatsächlich schon in etwas mehr als einem Jahren kommen – dann kein Stein auf dem anderen bleiben wird. Viele Fragen sind noch weiter völlig ungeklärt, wie etwa die Frage, was mit Altgeschäften geschehen wird, die auf einen dann nicht mehr berechneten Referenzzins lauten. Viele dieser Geschäfte können noch über Jahrzehnte weiter laufen. Werden sie umgestellt? Wenn ja wie? Was geschieht mit der Collateral Berechnung, mit den Basiskurven, der Bewertung von Zinsderivaten, der Zinsstrukturkurve im Allgemeinen, und wie werden Zinsswaps künftig brechnet? Noch sind sehr viele Fragen offen, und viele Fragen sind bisher nicht beantwortet.