Was ist ethisches Verhalten?

Viel wird davon geredet und geschrieben. Unternehmen und vor allem Banken, Versicherungen, Makler und Finanzindermediäre sollen oder wollen sich künftig ethischen Werten und Verhaltensweisen verpflichten. Compliance heißt das große Modewort, in das viel Geld und Resourcen gesteckt werden. Doch was ist ethisch, und was nicht?

Der Duden, das große, alte Rechtschreibwörterbuch aus dem 19. Jahrhundert, beschreibt ethisch  als synomym mit moralisch oder sittlich. Die Ethik selbst wird als eine philosophische Disziplin beschrieben, die das sittliche Verhalten des Menschen zum Gegenstand hat. Es geht um richtiges und schlechtes Handeln, um Verantwortung, gute Sitten und Moral. Dass es beim Thema Ethik, das sich mit menschlichem Handeln und dem menschlichen Zusammenleben beschäftigt, nicht die eine, allgemeingültige Anwort gibt, überrascht wenig. Schon die alten Griechen hatten hier verschiedene Auffassungen, und immer auch ist die Auffassung, was ethisch ist, auch ein Teil einer Gesellschaft mitsamt ihrer Kultur, Geschichte und auch Religion. Was ist richtig? Was ist falsch?

Ethikbekenntnisse von Banken

Heute gehört es einerseits zum guten Ton, teilweise ist es auch neuen regulatorischen Vorgaben geschuldet, dass Banken und Versicherungen öffentlich zu ihren ethischen Grundsätzen Stellung nehmen.

So schreibt etwa die Deutsche Bank in ihrem Verhaltens- und Ethikkodex (Ausgabe 2015): „Wir tun das, was nicht nur rechtlich erlaubt, sondern auch richtig ist.“ Oder auch: „Wir wollen der Partner unserer Kunden sein. Die geschaffenen Werte teilen wir fair.

Die Commerzbank schreibt zum Thema Compliance: „Die Commerzbank versteht sich als faire und kompetente Bank, die ihren Kunden ein langfristiger und zuverlässiger Partner sein will. Wir richten unser Handeln an höchsten ethischen Werten, Integrität und Fairness aus und verpflichten uns, alle geltenden Gesetze, Richtlinien und Marktstandards einzuhalten.“ und dann weiter: „Compliance umfasst bei der Commerzbank nicht nur das ordnungsgemäße und gesetzestreue Handeln aller Geschäftsbereiche. Compliance ist darüber hinaus Teil der Unternehmenskultur des Commerzbank-Konzerns und bildet so die Grundlage unserer unternehmerischen Verantwortung.

Gleich in einer beachtlichen Vielfalt an Übersetzungen erklärt die schweizerische UBS der interessierten Welt in ihrem Verhaltens- und Ethikkondex: „Wir halten die Gesetze, Vorschriften und Regelungen ein, wo immer wir leben, arbeiten und geschäftlich tätig sind.“ Dann weiter: „Wir verzerren oder verbergen die Fakten und die Wahrheit nicht.

Und nun die Wirklichkeit

Die Ethikfloskeln der großen Banken lesen sich sehr schön. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Erst 2017 wurde die Deutsche Bank zu einer Strafe von 425 Millionen USD von den US-Aufsichtsbehörden und 163 Million Pfund durch die Briten verurteilt. Grund waren weitreichende Geldwäscheaktivitäten in Moskau, London und New York.  Die Commerzbank musste 2015 die atemberaubende Summe von 1,45 Milliarden USD an die US-Aufsichtsbehörden zahlen. Grund waren Verstöße gegen Embargos und daraus resultierende Geldwäschevorwürfe. Auch die UBS musste über die Jahre immer wieder hohe Strafen bezahlen, so etwa 2015 eine Strafe von 500 Millionen USD wegen Währungsmanipulationen, 2016 15 Millionen USD, weil Berater Kunden nicht über Risiken aufgeklärt hatten, 2017 nochmal 445 Millionen USD wegen US-Hypothekenkrediten. Und alle drei Banken gemeinsam standen – zusammen mit vielen, vielen anderen – am Pranger wegen der Manipulation von LIBOR Sätzen. Wobei die UBS hier mit ihrem ehemaligen Händler Tom Hayes eine der prominenteren Rollen eingenommen hat. Und das waren nur einige wenige Beispiele an Skandalen. Der Cum-Ex-Skandal entfaltet sich erst richtig, und immer wieder treten große Banken mit einem Verhalten ans Tageslicht, das sich absolut nicht mit ihrem Ehrenkodex deckt. Und wer weiß, wie viele Verfehlungen gar nicht erst entdeckt werden oder die breite Öffentlichkeit erreichen? Warum aber klaffen Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinander?

Liegt es an einem fehlerhaften System?

Das Leben von Mitarbeitern und Managern bei großen Investmentbanken ist alles andere als ein Honigschlecken. Es herrschen brutale Sitten, Ellbogen regieren viele Bereiche, und gemessen wird stets nur anhand monetärer Ziele. Täglich werden Händler, Sales-Leute, Manager und Produktverantwortliche über ihre Zahlen informiert. Die zu erreichenden Budget- und Zielvorgaben sind in der Regel zu hoch, der Druck enorm, der Manager gibt den Druck, den er von seinem Bereichsleiter und dieser wiederum von seinem Vorstand bekommt, weiter an die unteren Ebenen. Nur wer viel Geld für die Bank verdient, ist etwas wert. Wie und mit welchen Mitteln, das wird selten gefragt. Im Vertrieb ist es die Suche nach dem nächsten, dummen Kunden, der die Marge nicht nachrechnet oder sich sonstwie – natürlich völlig legal – über den Tisch ziehen lässt. Im Handel sind es Strategien wie die Arbitrage über verbesserte Bewertungsmodelle, das Abzocken der eigenen Sales-Leute, aber auch riskante Wetten, klug aufgesetzte Wash-Trades, vorbotene Absprachen über verschlüsselte Chat-Programme bis hin zu bewusster Manipulation. Wer überleben will erfüllt seine Ziele, egal wie, und wer zusätzlich noch reich belohnt werden will, der sollte es möglicherweise hier und da mit der Ethik nicht allzu genau nehmen. Am Ende werden nicht die Klugen belohnt, auch nicht die Ehrlichen, sondern im Regelfall die Skrupellosen. So war es vor der Finanzkrise und so ist es auch heute noch. Das vorherrschende Anreiz- und Belohnungssystem, getrieben von unrealistischen Renditeerwartungen der Aktionäre, irrsinnigen Managergehältern, die bezahlt werden müssen, und einer festgefahrenen Unternehmenskultur überzeugter Überheblichkeit schaffen keine guten Voraussetzungen für einen ethischen Wandel.

Veränderung benötigt Zeit. Und Willen. Und Aktionäre.

Eine tiefgreifende Veränderung der Unternehmenskultur benötigt Zeit, sofern eine so starke Veränderung überhaupt möglich ist. Zusätzlich ist viel Energie nötig. Der Vorstand und Aufsichtsrat müssen dahinter stehen. Doch gerade sie werden von den Aktionären getrieben. Wer schon einmal die Hauptversammlung der Deutschen Bank erlebt hat, weiß, wozu Aktionäre und ihre Vertreter fähig sind. Der Druck, Geld zu verdienen, jährlich Milliarden an Gewinnen auszuweisen, ist groß. Schließlich schläft die Konkurrenz nicht, und man möchte Goldman, Chase und Co doch nicht nachstehen in ihren Ergebnissen. Da mag es schlicht einfacher sein, den Mitarbeitern von oben offiziell einen Ethik-Kodex vorzugeben, an den sie sich bitte halten mögen, aber der Druck und die Ziele werden weiterhin von Jahr zu Jahr erhöht und im Zweifelsfall einfach weggeschaut mit der Hoffnung, dass es schon niemand entdecken wird.

Aufsichtsbehörden in der Teilpflicht

Von alleine wird sich das Ethik-Problem deshalb leider nicht lösen. Die Aufsichtsbehörden sind hier in der Pflicht. Es hat sich in den vergangenen Jahren auch viel getan. Eine Vielzahl an neuen Vorschriften und Gesetzen hat so manches für die Banken zwar schwieriger, für die Behörden dafür effizienter und transparenter gemacht. Die Banken mögen zwar stöhnen unter der neuen Last der Compliance-Vorschriften, doch eines kann niemand abstreiten: Der Autofahrer, der denkt, er könnte an der nächsten Ecke geblitzt werden, hält sich in der Regel an die Geschwindigkeitsbeschränkung. Der potenzielle Bankräumber, der denkt, dass die Filiale von Kameras überwacht wird und der Kassier einen Notfallknopf unter dem Tisch hat, wird möglicherweise von einem Überfall absehen. Aufsicht hat bereits durch ihre bloße Existenz einen Nutzen. Dafür muss sie handlungsfähig, kompetent und unabhängig sein.

Reputation und Public Shaming: Die Macht der Öffentlichkeit

Nach finanziellen Verlusten fürchten sich Banken nur noch mehr vom Verlust ihres guten Rufs. Ihre Reputation soll nicht leiden. Dafür beschäftigen sie ein kleines Heer an Beratern, Agenturen und PR-Experten. Indem Skandale und auch kleinere Fehltritte in der Öffentlichkeit publik gemacht werden, steigt der Druck auf Unternehmen und Banken, sich möglichst korrekt zu verhalten. Unsere moderne Kommunikation über Social Media und andere, leicht und öffentlich zugängliche Plattformen ermöglicht es heute auch dem einfachen Konsumenten, eine Stimme zu bekommen. Über Public Shaming und Social Media wird über die Drohung des Reputationsverlustes ein Stück dazu beigetragen, dass sich die ein oder andere Bank möglicherweise doch intensiver mit korrektem Verhalten beschäftigt. Wie am Ende allerdings das Machtspiel zwischen Aktionären, Aufsichtsbehörden und der allgemeinen Bevölkerung ausgeht, steht derzeit offen.