Ökologisches, Soziales und gute Unternehmensführung: Nach diesen Kriterien wird bei Unternehmen immer öfter gesucht und anhand dieser sogenannten ESG-Kriterien wird mehr und mehr investiert. Aktien und Anleihen von Unternehmen, die in möglichst vielen Punkten Gutes für Umwelt, Gesellschaft und ihre eigenen Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden tun, landen in speziellen Nachhaltigkeits-Fonds und erhalten mehr Aufmerksamkeit. Bei der Auswahl und Analyse sowohl von Einzelwerten aber auch von Fonds und Portfolien helfen ESG-Ratings von darauf spezialisierten Ratingagenturen. Darauf setzen immer mehr Investoren als Leitfaden, denn angeblich sind bereits 85% aller Investoren an nachhaltiger Kapitalanlage interessiert, und mehr und mehr von ihnen wagen den Schritt in nachhaltige und ESG Fonds und Anlagen.

Taugen ESG-Ratings überhaupt etwas?

Blickt man auf ESG Ratings oder die erreichten Punkte auf einer Skala von großen Ratingagenturen wie Morningstar, MSCI, Systainalytics und anderen, sind Investoren und Analysten immer wieder überrascht, dass selbst Unternehmen aus der Autobranche, dem Geschäft mit fossilen Brennstoffen und sogar Rüstungskonzerne hohe ESG-Zahlen und damit gute Ratings erreichen. Fonds mit hautpsächlich Großkonzernen erreichen höhere ESG-Ratings als Gesellschaften und Portfolien, die auf kleine Unternehmen und Investments setzen. Und sogar Konzerne wie VW oder Royal Dutch Shell haben gute ESG-Werte. Taugen ESG Ratings also einfach nicht, oder machen die Agenturen etwas falsch? Auf beide Fragen kann man getrost mit nein antworten. Die Agenturen machen nichts falsch, und ESG-Ratings haben auf jeden Fall Relevanz. Als Investor sollte man allerdings die Grenzen kennen und sehen.

Im Spannungsfeld der Systematisierung

Investmententscheidungen werden heute zum großen Teil analytisch getroffen. Dabei werden zuvor definierte Prozesse und die stets gleichen Kennzahlen analysiert, berechnet, und die besten Ergebnisse in den Entscheidungsprozess aufgenommen. Das liegt einerseits daran, dass durch die Globalisierung einfach viel mehr Assets als mögliche Anlageobjekte zur Verfügung stehen, und man diese gar nicht mehr einzeln auswerten könnte, und andererseits auch der Trend weg geht vom Investmentmanager, der „das Bauchgefühl“ hat hin zum Manager, der gut ausgebildet fundamentale- und technische Analyse betreibt. Es werden also möglichst standardisierte Daten verlangt, und das zu möglichst günstigen Preisen. An dieser Nachfrage müssen sich auch die Ratingagenturen bei der Entwicklung ihrer ESG-Ratings orientieren. Sie müssen eine Skala und ein Konzept anbieten, das für alle Unternehmen und Anleihen dieser Welt passend gemacht werden kann.

Der Schuh der jedem passt?

Fondsmanager und Anleger hätten gerne eine ESG-Skala, die immer und überall anwendbar ist. Eine Zahl pro Unternehmen oder Anleihe, und daran wird das gesamte, komplexe Spektrum der ökologischen und sozialen Ziele und Auswirkungen sowie die gute Unternehmensführung gemessen, verglichen und bewertet. Dabei ist es nur logisch, dass sich nicht alles über einen Kamm scheren lässt. Es gibt ihn nicht, den Schuh der jedem passt. Trotzdem sollen Investments vergleichbar gemacht werden, und die ESG-Kriterien müssen messbar sein. Wie kann das gelingen?

ESG-Ratings haben Grenzen

Die Ratingagenturen analysieren Unternehmen und Anlagen, so gut es geht und wenn möglich auch bis ins Detail. Doch der Analyse sind dabei selbstverständlich auch Grenzen gesetzt. Denn nicht immer sind alle notwendigen Daten, Zahlen und Fakten verfügbar. Gerade kleine Unternehmen können oder wollen sich die Ressourcen nicht leisten, spezielle Ziele, Prozesse und Reports zu Nachhaltigkeit zu definieren, auszuarbeiten und zu schreiben. Daran liegt es schlussendlich auch, dass gerade große Unternehmen gegenüber kleineren Konkurrenten besser bei ESG-Ratings abschneiden. Denn die Großen haben heute viel eher eigene Nachhaltigkeitsberichte und in den meisten Fällen eigens dafür abgestellte Mitarbeiter und Abteilungen, die als Ansprechpartner für ESG-Interessierte intern und extern fungieren. Bei besserer Datenlage und dem Vorhandensein von Nachhaltigkeitsstragien steigen automatisch die ESG-Ratings. Das bedeutet nicht, dass kleine Unternehmen weniger nachhaltig wären und das ESG-Thema nicht ernst genug nehmen. Sondern es bedeutet nur, dass sie oft nicht die notwendigen Daten und Dokumente bereitstellen, um gute ESG-Scores zu erhalten.

Vergleichbarkeit als Grenze

Ein weiterer Punkt, den Investoren im Blick behalten sollten, ist der sogenannte „Best-in-Sector“ Vergleich. Dabei werden Unternehmen der gleichen Branche miteinander verglichen. Der vergleichbar „beste“ Ölkonzern oder das vergleichbar beste Automobil-Unternehmen bekommt die beste Punkteanzahl und damit das bessere ESG-Rating. Diese Schwachstelle verheimlichen die zuständigen ESG-Ratingagenturen auch gar nicht, sondern weisen oft recht deutlich darauf hin.

ESG-Ratings können durch eigene Kriterien ergänzt werden

Die allgemein öffentlich zugänglichen ESG-Ratings sind absichtlich sehr standardisiert und über einen Kamm geschoren. Sie haben trotzdem Gültigkeit. Die meisten ESG-Ratingagenturen liefern zusätzlich zu allen analysierten Unternehmen detailierte Berichte, die Informationen zu Geschäftstätigkeit und Risiken enthalten. Diese Informationen finden Investoren im Übrigen auch in den Geschäftsberichten von Unternehmen, die in der Regel über das Internet abrufbar sind. Daraus lassen sich durchaus auch andere Kriterien ableiten, die zur Investmententscheidung herangezogen werden können. Neben der klassischen Ausschluss-Liste, auf die Unternehmen gewisser Branchen wie Waffen oder fossile Brennstoffe gesetzt werden, gibt es noch einige andere, interessante Punkte, die aufgenommen werden könnten:

  • Die ESG-Intention von Unternehmen: Ist es denn Ziel des Unternehmens, mit seinen Produkten und Dienstleistungen die Welt besser zu machen?
  • Die ESG-Auswirkung: Haben Produkte und Dienstleistungen denn einen tatsächlichen, positiven Effekt auf Umwelt, Gesellschaft oder die Wertschöpfungskette?
  • Die gesellschaftlichen Langzeitwirkungen: Könnten Produkte und Entwicklungen des Unternehmen die Welt zum Beispiel durch technologische Verbesserungen zum Besseren wenden (z.B. Elektromobilität)?
  • Gibt es hohe ESG-Risiken des Geschäftsmodells? Hier spielen langfristige Überlegungen eine Rolle wie Reputation, und wie sich etwa Unfälle und negative Langzeitfolgen auf die Welt auswirken könnten.

Den eigenen Weg finden

Ratingagenturen können Fonds und Anlegern nur einen Leitfaden mit auf den Weg geben. Die tatsächliche Investmententscheidung und der Prozess dort hin ist Sache jedes Einzelnen. ESG-Ratings haben ihre Berechtigung und sind wichtig, und sie werden ständig weiter entwickelt. Doch zusätzlich müssen Investoren auch eigene Kriterien und Wege finden, um ihrem Ziel, die Welt durch Kapitallenkung ein wenig besser zu machen, auch gerecht zu werden.