Die sechs Rätsel der Makroökonomie (nach Obstfeld und Rogoff)
Rätsel 1: Das Rätsel um die Vorliebe zum heimischen Kapitalmarkt („Home Bias“)
Die Investmenttheorie lehrt uns bereits im Grundkurs, wie wichtig Diversifikation für unsere Investmentportfolien ist. Der rationale Investor streut seine Anlagen über verschiedene Branchen, Assetklassen und Länder, und investiert in das sogenannte „Weltportfolio“.
Tatsächlich zeigen sowohl private als auch institutionelle Anleger eine Vorliebe für den Heimatmarkt. Selbst in einer globalen und sehr liberalisierten Finanzwelt, in der Geldströme weltweit ohne nennenswerte Barrieren fließen, ist der Großteil des Kapitals auf dem jeweiligen Heimatmarkt des Investors angelegt, und nur ein vergleichsweise geringer Prozentsatz fließt in Aktien oder Anleihen aus dem Ausland.
Dieses Phänomen ist nicht neu. Bereits vor 24 Jahren machten die Ökonomen Kenneth French und James Poterba auf die „Home Bias“ aufmerksam. Tatsächlich hat sich bis heute wenig daran geändert. Davon profitieren Länder mit großen und bedeutenden Aktien- und Kapitalmärkten wie die USA, Deutschland oder Japan. Kapitalmärkte kleiner Länder hingegen haben es schwerer, Wachstum zu generieren.
In den letzten Jahrzehnten hat sich der Anteil an ausländischen Wertpapieren und Beteiligungen zwar laufend erhöht, aber nicht in dem Ausmaß, das aufgrund der erfolgten Globalisierung erwartet hätte werden können. Zudem belegen diverse wissenschaftliche Studien, dass Gelder, die in ausländische Kapitalmärkte fließe , vor allem in Märkte und Wertpapiere investiert werden, die dem Heimatmarkt sehr ähnlich sind und dadurch stark korrelieren. Eine hohe Korrelation bedeutet wiederum weniger Vorteile durch die Streuung. Zudem haben unter anderem Ke, Ng und Wang in einer im Journal of International Business Studies in 2010 veröffentlichten Studie beobachtet, dass Investoren am ehesten in Aktien von Unternehmen investieren, die auf dem Heimatmarkt der Anleger mit einer Präsenz vertreten sind. Zudem wählen Investoren bei ausländischen Aktien mit Vorliebe sehr große, exportorientierte Unternehmen, die international bekannt sind (Hiraki und Inoue).
Was könnten die Gründe dafür sein?
Früher wurde häufig die fehlende Mobilität von Kapital angeführt. Das kann heute nicht mehr gelten, denn der internationale Zahlungsverkehr bewegt täglich riesige Geldströme rund um den Globus. Börsennotierte Unternehmen halten sich zudem zunehmend an internationale Bilanzierungsregeln, was den Vergleich von Bilanzen und damit Geschäftsergebnissen einfacher machen sollte.
Das wichtigste Argument für die Bevorzugung des Heimatmarktes sind heute Sprach- und Informationsbarrieren. Investoren können sich aufgrund der räumlichen Nähe leichter und vor allem in ihrer Sprache über Emittenten und Unternehmen informieren. Die lokalen Medien berichten häufiger über heimische Firmen und Banken, und auch die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen scheinen auf dem Heimatmarkt einfacher greifbar. Von den Ökonomen Nieuwerburgh und Veldkamp wird dieses Phänomen als die fehlende Mobilität von Information („information immobility“) beschrieben.
Eine andere Erklärung mag in der Besteuerung von Dividenden und Zinsen ausländischer Wertpapiere liegen. Viele Länder, darunter wenig überraschend vor allem Staaten mit kleinen Kapitalmärkten wie Belgien und Österreich, besteuern ausländische Dividenden und Kapitalerträge entweder doppelt oder mit einem deutlich höheren Steuersatz. Eine ungleiche steuerliche Behandlung wirkt einer internationalen Streuung der Anlagen natürlich entgegen.
Aber vielleicht sind auch ganz andere Gründe für die fehlende internationale Streuung von Portfolien verantwortlich. Schon der Börsenguru Kostolany sagte: „Die Börse besteht zu 90% aus Psychologie“. Möglicherweise ist der Hang der Investoren zum Heimatmarkt auch auf typisch menschliche Eigenschaften zurückzuführen. Man vertraut eher dem, was man kennt, und gegenüber Neuem und Fremdem gibt es eine psychologische Hemmschwelle. Diese macht auch vor institutionellen Investoren nicht halt, und verleitet uns immer wieder dazu, am liebsten am eigenen Kapitalmarkt zu investieren.