BahlConsult GmbH Martina Bahl unabhängige Expertin und Unternehmensberaterin für Derivate, Swaps, Kapitalmarkt und Financial EngineeringDie Bafin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) hat dieses Jahr einen mutigen Schritt gewagt. Sie hat einen Prozess angestoßen, um die Vermarktung, den Vertrieb und Verkauf von sogenannte Bonitätsanleihen zu verbieten. Es wäre das erste Mal, dass eine ganze Produktkategorie im Retailvertrieb verboten würde.

In Mifid II (Markets in Financial Instruments Directive) ist der Passus enthalten, mit dem der Aufsicht die Möglichkeit gegeben wird, fragwürdige Produkte zum Schutz von Anlegern zu verbieten. Mifid II tritt nun bekanntlich erst 2018 in Kraft. In Deutschland hat der Gesetzgeber diese Kompetenzerweiterung für die Bafin bereits vorweggenommen. In §4b WpHG (Wertpapierhandelsgesetz).

Bonitätsanleihen enthalten Kreditderivate

Bonitätsanleihen, allein der Name ist bereits ein kleiner Euphemismus. Der englische Name ist etwas aufschlussreicher, er lautet „Credit Default Note“. Diese gibt es bereits recht lange. Kurzfristig berühmt wurden sie nach der Pleite von Lehman, als viele Kleinanleger vor allem in Asien damit viel Geld durch scheinbar sichere Anlageprodukte verloren hatten.

Der Investor einer Bonitätsanleihe oder eines Bonitätszertifikats erhält über die Laufzeit, meist 3 – 5 Jahre, eine vergleichsweise attraktive Verzinsung auf sein Investment. Diese Verzinsung ist großteils nichts anderes, als die Prämie für die Short Position des Investors. Der Investor ist Verkäufer eines Credit Default Swaps (im Fall von einem Referenzschuldner) oder eines First-to-Default-Baskets (bei mehreren Referenzschuldnern). Referenzschuldner kann ein Staat sein aber auch eine große Aktiengesellschaft. Käufer ist die Bank, die dem Investor dafür eine Prämie bezahlt.

Der Investor erhält also eine Art Versicherungsprämie gezahlt. Fällt der oder bei mehreren Referenzschuldnern einer von ihnen aus – je nach Ausgestaltung des Vertrags kann das die Insolvenz sein, aber auch ein anderes „Kreditereignis“ wie etwa der Zahlungsausfall in einer Anleihe des Referenzschuldners oder ein Downgrade – so verliert der Investor einen Teil oder im Extremfall sein ganzes Kapital. Denn fällt ein Referenzschuldner aus, so muss der Investor seine Credit Default Option honorieren und den Käufer des CDS oder des Baskets, von dem er ja laufend eine Prämie erhalten hat, entschädigen. Dafür kann eben ein Großteil oder das komplette Investment benötigt werden. Die Laufzeit der Anleihe endet in diesem Fall natürlich, und es finden keine weiteren Zinszahlungen statt. Der Investor spielt hier also die Rolle eines Versicherers.

Hoher Kupon = Hohes Risiko

Je nach Ausfallwahrscheinlichkeit ist der Kupon mal niedriger (gute Bonität) und mal höher (schlechte Bonität). Das ist wie bei einer klassischen Versicherung. Der rauchende Motorradfahrer muss eine höhere Prämie für die Risikolebensversicherung bezahlen als der Nichtraucher ohne Motorrad. Das Haus direkt am Ufer des Wildbachs hat eine höhere Prämie in der Hochwasserversicherung als das Gebäude oben auf dem Hügel. Exakt dem selben Prinzip folgen Kreditderivate. Höheres Risiko = höhere Prämie. Eine Versicherung gegen einen Zahlungsausfall von Griechenland ist teurer als gegen den Zahlungsausfall von Deutschland. Die Prämie heißt in der Bonitätsanleihe Zins, also gilt: Hoher Zinssatz = hohe Prämie = hohes Risiko = Referenzschuldner mit schlechter Bonität

Wird gleich ein ganzer Basket, also mehrere Referenzschuldner in einem Paket, verkauft, so ist der Kupon ebenfalls höher. Denn dann gilt das Prinzip „First to Default“, also der erste Ausfall löst bereits eine Zahlung aus. Hier liegt ebenfalls auf der Hand, dass ich für die Versicherung gleich mehrerer Risiken entsprechend mehr an Vergütung bekommen sollte. Meist ist in solchen Baskets mindestens ein Referenzschuldner mit beigepackt, der ordentlich riskant ist und somit den Kupon nach oben schraubt. Denn besonders Kleinanleger mögen hohe Kupons. Abgesehen davon, dass bei hohen Kupons auch die Bank und die Vermittler mehr Marge nehmen können, ohne dass es groß auffällt.

Ein intransparenter Markt?

So weit so gut. Oder auch nicht. Die Bafin kritisiert, dass es Privatanlegern im Grunde nicht möglich ist, Zertifikate, deren Basiswerte Kreditderivate sind, nachzurechnen oder die Wertentwicklung unabhängig zu verfolgen. Denn im Unterschied zu Aktien, Aktienoptionen und Indexfutures werden Kreditderivate nicht an Börsen gehandelt. Sie sind sogenannte OTC (over the counter oder außerbörslich) gehandelte Derivate. Die Marktpreise sind entsprechend schwieriger zu bekommen. Auf einigen Internetseiten gibt es tatsächlich Kurse für Credit Default Swaps auf wichtige Staaten, aber es stimmt, dass die Beschaffung von Marktdaten je nach Referenzschuldner für einen Kleinanleger schwierig bis teilweise unmöglich ist. Zudem hält die Bafin ein Zertifikat auf ein Derivat als Basiswert als zu komplex.

Ab wann wird es zu komplex für Anleger?

Die Kritik mag durchaus berechtigt sein. Credit Linked Notes oder Bonitätsanleihen sind komplexe Produkte. Damit sind sie wohlgemerkt nicht allein. Da soll mir mal jemand einen einfachen Kleinanleger zeigen, der versteht, was etwa ein Express Zertifikat auf die VW-Aktie ist. Und wenn er es denn versteht, soll er mir mal zeigen, wie man diese pfadabhängigen Digi-Calls und Knock-In-Puts richtig berechnet, aus denen sich das Express Zertifikat zusätzlich zum üblichen Call mit Strike Null anstelle der Aktie oder dem Index zusammensetzt. Also mal ehrlich, dagegen erscheint mir eine einfache Bonitätsanleihe auf VW noch ziemlich simpel. Solange VW nicht insolvent wird, erhalte ich meine 2,5% Zinsen. Geht VW pleite, bekomme ich die Zinsen nicht mehr und mein Geld ist womöglich weg. Bei so manch anderem Zertifikat ist der Zusammenhang nicht immer so eindeutig. Sollte man die Kleinanleger auch vor diesen Produkten schützen?

Anlegerschutz ist enorm wichtig. Wer meine Kolumne regelmäßig liest, weiß, wie kritisch ich manch kreativen Produkten der Branche gegenüber stehe. Auf der anderen Seite bieten natürlich gerade Zertifikate Kleinanlegern erst die Möglichkeit, an bestimmten Märkten überhaupt teilzuhaben. Optionsscheine sind das klassische Beispiel. Über Credit Default Notes können Kleinanleger – zu höheren Kosten und dem zusätzlichen Emittentenrisiko wohlgemerkt – am Handel mit Kreditderivaten teilhaben. Warum soll man es ihnen verwehren? Vielleicht wäre eine bessere Produktinformation ausreichen, zusammen mit einer regelmäßigen Veröffentlichung von CDS Marktdaten auf der Seite der Emittenten?

Wann kommt das Verbot?

Ob Bonitätsanleihen als erstes strukturiertes Kleinanleger Produkt nun verboten werden, steht noch nicht fest. Bis 2. September 2016 konnten sich die Interessenverbände zum Entwurf äußern. Die Banken sind dagegen. Die Verbraucherschützer sind dafür. Soweit wenig überraschend. Nun müssen die ganzen Eingaben von der Bafin geprüft werden. Danach wird der Entwurf möglicherweise überarbeitet. Wird ein Verbot beschlossen, so werden Emittenten oder ihre Interessenverbände wohl oder übel gerichtlich dagegen vorgehen, wodurch die Bonitätsanleihensaga beim Verwaltungsgericht landen dürfte. So bald wird hier wohl noch nichts entschieden. Bis dahin können die Emittenten ihre Credit Linked Notes weiter vertreiben und Anleger diese weiter kaufen. Immerhin sind derzeit in Deutschland 6,3 Milliarden Euro in Bonitätsanleihen investiert, was per Juni 2016 nach Angabe des Deutschen Derivate Verbandes 10,4% des Zertifikatemarktes entsprach. Ein beliebtes Produkt also.

Credit Default ETFs als Alternative

Sollten Bonitätsanleihen tatsächlich verboten werden, könnte das die große Stunde für Credit Default ETFs sein. Einige ETFs (Exchange Traded Funds) auf Credit Default Swaps gibt es bereits, wie den ProShares CDS North American HY Credit ETF und dessen Short Variante. Solche ETFs sind meist in Indices investiert und entsprechend breiter gestreut. Das Emittentenrisiko fällt zudem weg, und die Gebührenstruktur ist ebenfalls etwas transparenter. Exakte Pendants zu den bisherigen Bonitätsanleihen müsste die ETF Welt allerdings noch hervorbringen.

Gleichgültig aber, wie die Sache in diesem Fall ausgeht, hat die Bafin Mut gezeigt. Und sie zeigt der Finanzbranche auf, dass die Bafin kein zahnloser Tiger ist, sondern durchaus ihre Mittel einsetzt und den Markt und das Gebaren der einzelnen Teilnehmer genau beobachtet.