Es ist kein neuer Hut, um den es geht, sondern im Grunde eine Diskussion, die wir seit Jahrzehnten führen: Ein ausgeglichenes Verhältnis von Männern und Frauen in Arbeitswelt und Gesellschaft, mit gleichberechtigten Verantwortungen, gleichwertiger Bezahlung, gleichen Rechten und gleichwertiger Teilhabe an den Vorteilen unserer Gesellschaft. Im Zuge der gesamten ESG („Environmental, Social and Governance“) Dynamik, die derzeit über die gesamte Gesellschaft und damit auch die Finanzwelt rollt, hat auch das Thema Gleichberechtigung und gleiche Chancen für Männer und Frauen nun einen neuen Auftrieb erhalten.

Investmentanalyse mit zusätzlichen Kriterien

Beim Gender Lens Investing geht es um die Analyse und in Folge Investitionsentscheidungen, die sich nicht nur an alt hergebrachten Kriterien orientieren wie Cash-Flow-Analysen und Bonitätskriterien, sondern zusätzlich noch Daten in Bezug auf die Geschlechterverteilung in einem Land, Unternehmen oder einer Branche einbeziehen. Frauen in Führungspositionen, die Verteilung der Gehälter, Entscheidungen bezüglich der Wertschöpfungskette und aller sogenannten Stakeholder sind dabei einige der Kriterien, um die richtigen Investments aus der Fülle der am Markt vorhandenen Möglichkeiten zu filtern. Doch Gender Lens Investing geht tatsächlich noch weiter. Es bezieht auch gesellschaftliche Daten mit ein, wie etwa die Gesundheitsversorgung von Frauen im Vergleich zu Männern, Gewalt speziell gegen Frauen und andere spezifische Daten, die auf die Machtverteilung und Dynamik innerhalb einer Gesellschaft hinweisen. Gemeinsam sollen diese Daten helfen, in Kombination mit klassischer Investmentanalyse bessere Entscheidungen zu treffen.

Muster erkennen und Chancen und Risiken daraus ableiten

Gender Lens Investing verfolgt dabei einen möglichst ganzheitlichen Ansatz. Es geht nicht nur um das einzelne Unternehmen oder das einzelne Projektvorhaben, sondern beschäftigt sich mit der zugegeben etwas philosophischen Frage, wie mit dem Einsatz von Investments nicht nur eine ausreichende Rendite erzielt werden kann, sondern wie durch das Verständnis der Rollen- und Machtverteilungen innerhalb von Organisationen und Gesellschaften bessere Investmententscheidungen für ein langfristig besseres Chancen-Risiko-Verhältnis erzielt werden können. Ziel ist es, mit Investitionen unter anderem eine bessere Welt für Mädchen und Frauen zu schaffen, und das nicht zwingend durch direkte Spenden oder Investitionen in bestimmte Frauenprojekte, sondern durch die langfristige Lenkung des Kapitals in Richtung jener Investitionen, die gesellschaftlich positive Auswirkungen darauf haben. Es geht um Ertrag. Es geht um Rendite. Gleichzeitig geht es aber auch um die Frage, welche Chancen mit einer höheren Gerechtigkeit und Chancengleichheit einhergehen und welche Risiken wir als Investoren möglicherweise übersehen, wenn wir dieses Spannungsfeld nicht einbeziehen.

Ziel und Quelle werden hinterfragt

Beim Gender Lens Investing wird dabei nicht nur das mögliche Investmentziel nach Geschlechterrollen und Machtverteilungen durchleuchtet. Nimmt es ein Investor genau, nimmt er sich zuerst an der eigenen Nase und hinterfragt die eigenen Strukturen. Wer entscheidet über die Tätigung von Investitionen, wie setzt sich das eigene Team zusammen, wer liefert Daten, Zahlen und Informationen, und wie verhält es sich mit den Machtverhältnissen im eigenen Unternehmen? Denn ein Investment Komitee, das überwiegend oder vollständig mit Männern besetzt ist, trifft womöglich andere Entscheidungen, als ein Team, das divers zusammengestellt wurde. Nicht jedem Investor fällt es dabei leicht, sich selbstkritisch zu hinterfragen und entsprechend Änderungen anzustoßen. Denn es geht dabei um nicht weniger als die Hinterfragung der Unternehmenskultur, der Gesellschaft und der bisherigen Strukturen.

Datenverfügbarkeit als Herausforderung

Einfach ist es nicht, immer die richtigen und vollständigen Daten für die Analyse von Unternehmen, Projekten und Finanzprodukten zu finden, um sie anhand der Gender Lens Kriterien zu durchleuchten. Es gibt Daten der Vereinten Nationen zu Gesundheit, Erwerbstätigkeit von Frauen, Anzahl der Kinder, Alter bei der Hochzeit und der Geburt des ersten Kindes, Mütter- und Kindersterblichkeit, und einiges mehr. Doch selbst in westlichen Ländern ist die Datenlage unterschiedlich und vor allem unterschiedlich gut. Selbst innerhalb der EU ist es nicht einheitlich, welche Gewalttaten gegen Frauen wie und ob getrennt von anderen Verbrechen erfasst werden. Die Datenlage ist nicht ideal und lässt sich aktuell noch nicht vollständig automatisieren. Durch die zusätzliche Aufmerksamkeit für ESG Portfolien und ESG Analyse dürfte sich das mittelfristig allerdings verbessern. Der Druck von Investorenseite und Gesellschaft ist mehr und mehr vorhanden, besser über Geschlechtergerechtigkeit informiert zu werden.

Keine leeren Floskeln, sondern gute Rendite

Auch wenn die Datenlage nicht immer und überall vorhanden ist, so können wir doch das analysieren, das wir haben. Gerade für börsennotierte Unternehmen sind Daten etwa zu Frauen im Management ausreichend verfügbar, um diese als Variable in die Ertragsanalyse einfließen zu lassen. Das CFA Institute veröffentlichte erst im Juni 2019 einen Artikel darüber, dass Unternehmen mit einem hohen Frauenanteil im Management bessere Erträge erwirtschafteten, als reine Nur-Männer-im-Vorstand-Unternehmen. Die gesammelten Daten zeigen, dass sich die Ergebnisse von Unternehmen verbessern, je mehr Frauen ins Management einbezogen werden.

Ein Trend der bleibt

Gender Lens Investing als Teil und gleichzeitig Ergänzung des Impact Investing Trends ist keine Modeerscheinung. Es ist ein Trend, der bleibt, denn immer mehr Investoren erkennen, wie wichtig die gesamte Gesellschaft für die richtige und langfristige Risiko-Chancen-Einschätzung von Investitionen ist. Gender Lens Investing mag noch nicht allen als Baustein bekannt sein, und es ist für Investoren sicherlich nicht einfach, Gender Lens Investing als ganzheitlichen Ansatz umzusetzen und zu leben, doch langfristig wird der Erfolg Recht geben.