lawinengefahrswTom Hayes, 35, ein ehemaliger Zinshändler bei UBS und Citi, steht in London vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, den Yen Libor manipuliert zu haben. Ab 2008 soll er unrichtige Daten für das Libor Fixing abgegeben haben. Mit Hayes steht nun erstmals eine Privatperson vor Gericht.

Der Libor, die London Interbank Offered Rate, ist eine Information, die bis 2014 von einer privaten Organisation (der British Bankers Association) veröffentlicht wurde, und für die freiwillig abgegebene Daten zu einer Durchschnittszahl aggregiert wurden. Über viele Jahrzehnte hat die British Bankers Association ihre Mitglieder und  globale Banken auf freiwilliger Basis befragt, wo denn ihre Refinanzierungskosten im Interbankenmarkt liegen. Diese gaben dann die Sätze bekannt, nach Laufzeiten und Währungen aufgeschlüsselt. Daraus wurde ein Durchschnitt gebildet, exklusive der höchsten und niedrigsten Ausreisser, nach bester, statistischer Manier. Zusätzlich wurden auch die Einzeldaten der jeweiligen Banken veröffentlich. Jeder im Markt konnte sich also ansehen, zu welchen Sätzen sich die Deutsche Bank, UBS, Citi, Barclays und so fort im Interbankenmarkt Geld leihen konnte.

Die Höhe der Zinsen, die im unbesicherten Interbankenmarkt verlangt wird, hängt natürlich auch sehr von der aktuellen Bonität des Instituts ab. Griechische Banken dürften derzeit eher exorbitant hohe Zinsen zahlen, eine Deutsche Bank im Vergleich eher niedrige.

So verhielt es sich auch 2008, als die Finanzmarktkrise mit voller Wucht losbrach und die Bankenlandschaft mitsamt dem Interbankenmarkt ins Chaos stürzte. Plötzlich war überall Misstrauen. Der Schock über die Pleite einer so großen Adresse wie Lehman lähmte die Akteure. Geld im Interbankenmarkt zu bekommen, war für einige Zeit kaum noch möglich, und wenn, dann nur zu enorm hohen Kosten. Keiner traute seinem Gegenüber mehr, die kurzfristigen Zinsen explodierten. Die Stimmung in den Treasury Abteilungen der großen Banken war verzweifelt.

Doch die Banken konnten und wollten ihre plötzlich so gestiegenen Refinanzierungskosten und die Schwierigkeiten, sich von anderen Banken überhaupt Geld zu leihen, nicht zugeben. Sonst hätten sie wohl auch gleich ihr Geschäft einstellen können. Also sahen sie sich gezwungen, ihre Refinanzierungssätze, die sie der ganzen Welt über die tägliche Befragung für die Libor Fixings mitteilten, nicht ganz wahrheitsgemäß anzugeben. Niemand gab in diesen Monaten der akuten Vertrauenskrise unter den Banken seine wahren Kosten an. Sonst hätte man kein Geld mehr bekommen. Und da alle logen, konnte es sich auch niemand leisten, die Wahrheit zu sagen. Es war eine Frage des Überlebens. Absprachen zwischen befreundeten Zinshändlern gab es in diesen unsicheren Zeiten offensichtlich auch, was in gewisser Weise nachvollziehbar ist, denn die Unsicherheit und Ungewissheit war groß. Die Situation war für die meist jungen Händler neu und unbekannt.

Den Bankern wird heute vorgeworfen, sie wollten die Anleger vorsätzlich schädigen, die ihre auf Libor referenzierten Produkte gekauft hatten. Hätten sie das als primäre Motivation gehabt, warum hätten die Händler damit dann bis zur Krise 2008 gewartet? Außerdem vergisst die Aufsichtsbehörde hier, dass viele Kreditnehmer, die auf ihre Darlehen Libor zahlen, von den manipulierten Zinssätzen ordentlich profitiert haben. Bei den wahren Sätzen wäre der ein oder andere wohl bald pleite gewesen. Aber an das Wohl der vielen Anleger und Kreditnehmer dürften die Händler in den Treasury Abteilungen der großen Banken im ersten Moment gar nicht erst gedacht haben. Nur an das eigene Überleben, beziehungsweise das Überleben der Bank und ihres Arbeitsplatzes. Dass sich die Unehrlichkeit der Banken so auf den gesamten Kapitalmarkt ausgewirkt hat, war eine unglückliche Nebenwirkung einer Krise in einem von vornherein korrupten und auf sich selbst basierten Systems. Was natürlich nichts Beschönigen soll. Die Banken haben zu ihrem eigenen Vorteil gelogen.

Der Libor hätte gar nicht erst zu einer Referenz für so viele Geschäfte werden dürfen. Als privat und auf freiwilliger Basis gesammelt, hätte der Libor gar niemals diese Omnipräsenz erhalten dürfen. Doch andere Daten von ähnlicher Breite und Qualität waren lange nicht vorhanden, und einmal als weltweite Referenz etabliert, ließen sich die Gewohnheiten schwer umstellen. Dabei gab es etwa mit Einführung des Eonia Satzes, der von der Europäischen Zentralbank berechnet wird, schon seit vielen Jahren eine Alternative.

Heute wird der Libor übrigens von der Intercontinental Exchange Benchmark Administration Ltd verwaltet und der Euribor vom European Money Markets Institute. Letzteres ist die umbenannte European Bankers Federation, das Äquivalent zur British Bankers Association. Gesammelt werden die Daten noch immer wie zuvor. Das Regularium soll strenger geworden sein, sowie die Aufsicht besser. Die Daten werden noch immer auf freiwilliger Basis geliefert. Für Euribor besteht das Panel der Kontributoren derzeit aus 24 Banken. In den vergangenen Monaten haben sich übrigens 19 Banken aus dem Euribor Panel zurückgezogen. Wer kann es ihnen verdenken? Hier gibt es nichts zu gewinnen, aber offensichtlich viel zu verlieren! Schließlich mussten internationale Banken bisher für Libor Manipulationen über 9 Milliarden USD an Strafen für unrichtige Beiträge berappen.

Für zukünftige Finanzprodukte könnte es deshalb interessant sein, sich die Verwendung alternativer Referenzsätze wie Eonia oder OIS zu überlegen.