Große Buy-and-Hold Investoren gibt es viele. Pensionsfonds, Versicherungen, Staatsfonds, Investmentfonds und das Anlagebuch von Banken sind nur einige Beispiele für einen gigantischen Bestand an Wertpapieren, die klassisch als Investment und nicht für den täglichen Handel gekauft werden. Damit die Wertpapiere nicht nur träge herumliegen, und auf ihre nächste Zins- oder Dividendenzahlung warten, können institutionelle Investoren diese Papiere ein wenig arbeiten lassen, und zwar in Form der Wertpapierleihe. Doch wem steht die Leihgebühr zu, die so erwirtschaftet wird?
Die Wertpapierleihe als reger Schattenmarkt
Die Wertpapierleihe läuft so ab: Jemand plant ein Wertpapier zu verkaufen, das er aktuell aber nicht besitzt (Shortselling) oder ist in der verzwickten Lage, dass er bereits etwas verkauft hat, das er gar nicht mehr im Bestand hat (zum Beispiel als Market Maker oder aufgrund ausgeübter Optionsrechte). Der Käufer der Wertpapiere interessiert sich nicht dafür, ob der Verkäufer das Wertpapier auch tatsächlich hat. Er hat schlicht Anspruch darauf, dass der von ihm abgeschlossene Kaufvertrag erfüllt wird. Der Verkäufer geht deshalb zu jemandem, der genau diese Wertpapiere besitzt, und leiht sich die Papiere für einen gewissen Zeitraum aus. Später wird er die Wertpapiere an der Börse oder über außerbörsliche Geschäfte zurückkaufen und sie dem Verleiher wiedergeben. Für das Ausleihen der Wertpapiere bezahlt der Leihnehmer an den Leihgeber eine Leihgebühr. Zusätzlich muss der Leihnehmer dem Leihgeber Sicherheiten hinterlegen, meist in Form von Bargeld oder anderen Wertpapieren, das auf einem eigenen Konto als Collateral gehalten und auch verzinst wird. Unter Umständen wird der Leihnehmer für Cash Collateral einen Kredit aufnehmen, und sei es nur intern bei einer anderen Unternehmenseinheit (in der Fachwelt spricht man dann auch von Collateral Funding). Auf diesen Kredit müssen natürlich Zinsen bezahlt werden, was die Wertpapierleihe noch ein wenig teurer macht.
Leihgebühr plus Zinsen, Dividenden und Rechte
Die Höhe der Leihgebühr ist von Wertpapier zu Wertpapier verschieden. Sie hängt zum einen natürlich vom jeweiligen Risiko ab, dem das Wertpapier während der Leihzeit ausgesetzt ist. Denn der Verleiher hat in dieser Zeit keinen Zugriff auf das Wertpapier und kann es nicht selbst verkaufen. Er tritt mit dem Verleihen sämtliche Rechte ab, sogar das Wahlrecht in der Hauptversammlung. Geschieht also etwas mit dem Emittenten der Wertpapiere, können diese nicht verwertet werden. Aber auch Veränderungen im Preis können nicht genutzt werden. Die Volatilität der Papiere hat dabei ebenso einen Einfluss auf die Höhe der Leihgebühr wie die Länge der Leihe, das aktuelle Zinsniveau, die Liquidität des Papiers und das Emittentenrisiko. Für seltene Wertpapiere wird die Gebühr aufgrund ihrer Knappheit höher sein als für Papiere, die quasi jeder hat.
Zusätzlich wird in der Regel vereinbart, dass der Verleiher für entgangene Erträge wie Dividenden oder Zinsen schadlos gehalten wird, und auch, wie der Wert von Bezugsrechtvergaben, Wandlungsrechten und sonstigen Rechten, die während der Laufzeit ausgeübt werden könnten, entschädigt wird.
Doch wem fließt die Leihgebühr zu?
Die zusätzlichen Erträge, die Portfolien durch Wertpapierleihe erwirtschaften können, sind durchaus nennenswert. Manche Fonds, Versicherungen und Rentenkassen verleihen bis zu einem Drittel ihrer Wertpapiere und erlösen dadurch zwischen 1% und 5% an Erträgen. Doch wer darf die Einnahmen behalten?
Bei Sondervermögen wie Investmentfonds und ETFs müssen sämtliche Erträge auch diesem Sondervermögen zugeführt werden. Der Manager selbst darf finanziell nicht davon profitieren, wenn er mit dem Vermögen des Fonds arbeitet. Für seine Leistung – auch die Arbeit mit der Leihe – erhält der Manager eine Mangementgebühr als Vergütung. Verleiht also ein ETF einen Teil seiner Wertpapiere, fließen die Einnahmen daraus abzüglich der damit verbundenen Transaktionskosten direkt in den Fonds und erhöhen dort die Gewinne.
Das Anlagevermögen von Versicherungen oder großen Versorgungskassen und anderen, institutionellen Investoren, deren Portfolien kein Sondervermögen darstellen, unterliegen diesen Beschränkungen nicht. Hier können die Leihgebühren tatsächlich vom Unternehmen selbst vereinnahmt werden und die Unternehmensgewinne auffetten. Es kann damit machen, was es möchte. Im Idealfall sollten aber durch die verbesserte Ertragslage zumindest indirekt die Begünstigten und Versicherungsnehmer profitieren, sei es durch geringere Beiträge oder eine höhere Stabilität des Unternehmens und daruch einen größere Leistungssicherheit.
Ein großer, weltweiter Markt
Erhebungen der ISLA (International Securities Lending Association) zufolge wurden per Ende Dezember 2017 Wertpapiere im Gegenwert von insgesamt 1,9 Billionen Euro – zu ziemlich gleichen Teilen Aktien und Staatsanleihen – in der Leihe vergeben. Angeboten zur Leihe wurden Wertpapiere im Gegenwert von 16 Billionen Euro. Die beliebtesten Leihgeber waren dabei die Sondervermögen von Investmentfonds. Geht man nun davon aus, dass die Wertpapierleihe im Schnitt 3% p.a. einbringt, wären das immerhin 5,7 Mrd. Euro an zusätzlichen Erträgen. Ein Teil davon geht als Gebühr an die Leihevermittler („Lending Agents“), die sich auf genau dieses Geschäft spezialisiert haben. Über den Rest freuen sich Anleger von Sondervermögen direkt und Stakeholder anderer institutioneller Investoren zumindest indirekt. Ein gigantischer Markt, der meist im Verborgenen abläuft, der aber in seiner Wertschöpfung der Wirtschaftsleistung von Liechtenstein entspricht.