Schnittblumen, Rocklänge und Satellitenbilder statt Inflationszahlen, Arbeitslosenstatistiken und Geschäftsklimaindex? Was taugen alternative Wirtschaftsindikatoren bei der Vorhersage der zukünftigen, wirtschaftlichen Entwicklung und der Assetpreise an den Finanzmärkten?
Wirtschafts- und Finanztheorien erklären nicht alles
Wenn es um Wirtschaftstheorien geht, sind alle gleichzeitig einer Meinung und trotzdem uneins. Unbestritten ist heute, dass die drei zentralen Grundsätze der heute gelehrten Volkswirtschaftstheorien nicht gerade realistisch sind: Effiziente Märkte, rationale Erwartungen und Optimierungsstreben. Gelehrt werden sie immer noch, samt der vielen darauf basierenden Theorien wie Capital Asset Pricing Model, Fisher Effekt, Black Merton Scholes und viele, viele mehr. Ergänzt werden sie mit weiteren, nicht der Realität entsprechenden Annahmen wie Normalverteilung, Gleichgewichtsgrundsätze und der unabhängigen Nutzenfunktion. Sie halten sich, weil uns schlicht die Alternativen fehlen. Krisen und Marktungleichgewichte können die herkömmlichen Theorien aber weder erklären noch vorhersagen.
Klassische Wirtschaftsindikatoren haben ihre Berechtigung
Nicht ohne Grund blicken Ökonomen, Banker und Wirtschaftspolitiker auf klassische Wirtschaftszahlen wie das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die Teuerungsrate in Form von Inflationsstatistiken, Arbeitsmarktdaten und diverse Preis- und Stimmungsindikatoren. Sie beobachten die Sparquote, das Kreditwachstum, Zinsentscheidungen der Zentralbanken sowie Konsumdaten. Jeden ersten Freitag im Monat etwa steht das Leben an den Finanzmärkten für einige Minuten still, während das U.S. Bureau of Labor Statistics die sogenannten „Non-Farm Payroll“ Zahlen veröffentlicht. Hier werden die im Vormonat neu geschaffenen Arbeitsplätze veröffentlicht. Diese wiederum haben einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung der Finanzmärkte. Bei guten Zahlen steigen Aktien und sinken Anleihen im Preis, bei schlechten Zahlen werden Aktien verkauft und Anleihen gekauft.
Diese klassischen Indikatoren sind wichtig und haben eine klare Existenzberechtigung, denn sie geben uns Aufschluss darüber, wie es mit dem Wirtschaftswachstum weitergehen könnte. Auf der anderen Seite zeigen sie nur ein begrenztes Bild einer überaus komplexen Welt unterschiedlicher Zusammenhänge.
Rocklänge, Schnittblumen und Pralinen
Die Idee, auch auf komplett andere Dinge zu blicken bei der Interpretation der wirtschaftlichen Lage und vor allem den Zukunftsaussichten, ist nicht neu. Schon vor hundert Jahren, in den 1920ern, wurde die Rocklängentheorie ein Hit. Kurze Röcke sollten demnach ein Anzeichen für steigende Aktienkurse sein, lange Röcke für eine schlechtere Wirtschaftslage und damit fallende Aktienmärkte. Später kamen weitere Ideen, worauf man achten könnte. Der Umsatz mit Schnittblumen etwa, der sich schon alleine aufgrund einer relativ guten Datenlage eignet. Gemäß Bloomberg wurde in den U.S.A. im Jahr vor der Krise, in 2007, ein Umsatz von 30,3 Milliarden Dollar mit Schnittblumen erzielt. Zwei Jahre später waren es nur noch 25,7 Milliarden. Erst in 2016 hatten sich die Umsätze der Blumenhändler wieder auf das Niveau vor der Krise erholt
Als Wirtschaftsindikator, so die Befürworter, würden Dinge wie Blumen, Luxusautos und sogar hochwertige Pralinien und Schokolade sich eignen, weil ihr Konsum einen gewissen Luxus voraussetzt. Blumen und Pralinen zu verschenken, Champanger und teure Weine zu trinken und Freizeit- und Sportgeräte zu erwerben, sind ein Anzeichen von Freizeit und Geld, von Party und Feiern, die in wirtschaftlich guten Zeiten stärker forciert werden und ein Hinweis auf eine positive Zukunft sind. Denn würden Menschen eine bevorstehende Krise befürchten, so würden sie wohl eher sparen und vorsorgen, anstatt Luxus zu konsumieren.
Alternative Indikatoren und neue Technologien
Eine wichtige Grundlage für die Verwendung jeglicher Indikatoren ist eine ausreichende Datenlage. Denn ohne umfangreiche Zahlen können bekanntlich keine statistisch signifikanten Ergebnisse erzielt werden. Werden nur zwei Menschen nach ihren Gewohnheiten befragt, kann daraus keine generelle Tendenz abgeleitet werden. Die Meinung von mehreren Tausend zufällig ausgewählten Personen hingegen hat schon mehr Aussagekraft.
Die moderne Manie des Datensammelns – Big Data – hat Statistikern revolutionäre, neue Möglichkeiten eröffnet. Außerdem sind Umfragen heute bedeutend leichter. Niemand muss sich mehr mit einem Clibboard auf die Straße stellen und fremde Menschen ansprechen. Heute werden Emails verschickt, Monkey-Surveys erstellt, Umfragen über soziale Netzwerke verteilt, und selbst nach jedem Seminar oder Online-Einkauf flattert heute elektronisch eine Umfrage ins Postfach. Die Auswertungen geschehen elektronisch und flott.
Satellitenbilder von Lagerbeständen, Parkplätzen und Goldminen
Doch auch neue Arten von Daten sind verfügbar. Rohstoffhändler arbeiten heute mit Satellitenbildern, die Lagerflächen für Rohstoffe und andere Lagerbestände auswerten. Wie hoch sind die Reservetanks befüllt? Auf welcher Fläche stapelt sich das Rohaluminium? Wie viele Bagger arbeiten in der Bauxitmine, und wie viele Waggons rollen in oder aus dem Werk? Die Bilder werden zunehmend von Algorithmen ausgewertet und zu Gesamtdaten verknüpft.
Doch auch die Parkplatzauslastung vor Einkaufszentren und Supermärkten wird heute per Satellit ausgewertet. Viele, leere Parkplätze bedeutet schlechte Konsumzahlen und damit ein schwaches Wachstum. Umgekehrt verhält es sich bei den Parkflächen großer Automobilhersteller. Aber auch gelagerte Glasflaschen vor Brauereien, Auswertungen zum Lieferverkehr und die Beladung von Fracht- und Containerschiffen werden von Satelliten beobachtet und ausgewertet. Die daraus gewonnenen Daten können bereits lange vor der Veröffentlichung von Geschäfts-, Produktions- und Verkaufszahlen Rückschlüsse zulassen.
Alles bloß Scheinkorrelationen?
Es gibt vermeintliche Zusammenhänge zwischen Ereignissen, die tatsächlich aber nichts miteinander zu tun haben, sondern nur zufällig gleichzeitig auftreten. Man nennt das eine Scheinkorrelation. In Lehrbüchern für Statistik wird gerne die Zahl der Störche und die Zahl der Geburten in ländlichen Gebieten als Beispiel genommen. Trotzdem bringt der Storch keine Babys. Und ob die Trends für Miniröcke in den 1920er und 1980er Jahren mit den jeweiligen Wirtschaftsbooms zu tun hatten, kann ebenfalls niemand exakt bestätigen. Es könnte sich um das zufällig gleichzeitige Auftreten bestimmter Modetrends handeln. Entsprechend ist bei vielen alternativen Indikatoren Vorsicht geboten und ein gesundes Misstrauen nicht verkehrt.
Eine mögliche Ergänzung
Auf einen einzelnen Indikator alleine sollte sich eine Vorhersage ohnedies nie stützen. Blumen, Röcke und Stallitenbilder werden die Relevanz von Arbeitsmarkt- und Wachstumszahlen nicht ersetzen können. Trotzdem, interessant sind alternative Indikatoren durchaus. Vor allem Big Data und neue, technologische Möglichkeiten können hier den Blick von Ökonomen, Bankern und Wirtschaftspolitikern ein klein wenig erweitern. Auch durch sie werden wir nicht in der Lage sein, die Zukunft vorher zu sagen. Aber wir können ein besseres Gespür dafür entwickeln, was aktuell geschieht und wie viel Zuversicht wichtige Akteure für die zukünftige Entwicklung haben.