In der Finanzwelt und der Anlageberatung sind sie allgegenwärtig: Statistiken, Zahlen, Charts und Entwicklungen der Vergangenheit. Aus ihnen sollen die Zukunft vorhergesagt, die zukünftige Wertentwicklung prognostiziert und allgemein Verkaufsargumente für die jeweiligen Produkte und Anlageformen gewonnen werden. Auch wenn die bunten Charts und schön gerechneten Zahlen heute in schriftlichen Broschüren stets mit einem kleingedruckten Risikohinweis versehen werden müssen, so findet man sie trotzdem noch überall, und auch in mündlichen Verkaufsgesprächen dienen sie stets als Argument.
Erst kürzlich hat mir ein redefreudiger Berater über mehrere Minuten hinweg vorgerechnet, wie viel ich verdient hätte, wenn ich am Tag 1, also im Jahr 1988, in den DAX investiert hätte. Damals startete der DAX bei 1.000 Punkten, heute liegen wir um die 11.000 Punkte. Trotz aller Höhen und Tiefen, so der Berater, hätte ich über die Jahre ein tolles Plus gemacht. Ich solle also sofort in Aktien investieren und egal was komme im Markt bleiben.
Die Vergangenheit als Garant für die Zukunft sozusagen? Unterbrechen ließ sich der gute Mann in seinem Redefluss ohnedies nicht, und er wäre wohl auch von seiner Argumentation und Überzeugung nicht abgerückt. Abgesehen davon, dass ich 1988 im zarten Alter von 12 Jahren noch kein Geld gehabt hätte, um es in den Aktienmarkt zu investieren, es zu diesem Zeitpunkt noch hohe Hürden für den Kleinanleger gab, dazu weniger Transparenz und die Kostenstruktur noch eine ganz andere war als heute. Dann noch Depotgebühren, Ordergebühren, Managementfees, Verkaufsprovisionen, Steuern sowieso, und von den fetten 9% wären wohl deutlich weniger übrig geblieben. Aber immerhin, der Ertrag wäre aus heutiger Sicht absolut nicht verachtenswert. Auch wenn ich annehme, dass ich mit langweiligen, langlaufenden Sparbriefen über die Jahre ähnlich viel Rendite nach Kosten erzielt hätte, und das mit weniger Risko. Trotzdem, der Verkäufer hat recht, die Entwicklung des DAX seit 1988 sieht schön aus. Wird es also die nächsten 27 Jahre genau so laufen an den Aktienmärkten? Das zu behaupten ist entweder mutig oder fahrlässig.
Tatsache ist, dass niemand die Zukunft kennt. Die Welt verändert sich zudem ständig. Muster der Vergangenheit mögen in der Zukunft einfach nicht mehr zutreffen. Die Weltwirtschaft ist einem steten Wandel unterworfen, und mit ihr die Märkte und Unternehmen, deren Aktien und Anleihen an den Börsen handeln. Die Lage der unterschiedlichen Volkswirtschaften und Staaten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten teils stark verändert, und auch die Wirtschafts-, Geld- und Finanzpolitik und die verwendeten Instrumente. Früher war Inflation ein Thema, aktuell ist es Deflation. Zins- und Geldpolitik funktionieren heute anders, und manche Maßnahmen, die in der Vergangenheit zum Erfolg geführt haben, greifen heute kaum mehr. Die Ausgangslage ändert sich ständig.
Doch Menschen lieben das, was sie kennen. Sie vertrauen in bereits erlebte und damit bekannte Muster. Deshalb lieben wir die Vergangenheit mit ihren Charts und Zahlen, Mustern und Regeln, bekannten Maßnahmen und historischen Entwicklungen. Dazu sind Zahlen und Charts der Vergangenheit oft einfach zu erklären und zu verstehen, selbst für den Laien. Verwendet werden als Verkaufsargument zudem genau die Charts und Statistiken, die gerade gut passen und schön aussehen. Langfristig kommt hier also auch noch das Phänomen der Survivorship Bias zum Tragen. Schlecht laufende Fonds, Aktien und Indizes überleben gar nicht erst so lange.
Manche Muster mögen sich tatsächlich wiederholen, und man kann zugegeben viel aus dem vergangenen Verhalten der Menschen, die den Kapitalmarkt ausmachen, lernen. Aber ein Garant für die Zukunft ist die Vergangenheit deshalb trotzdem nicht, und auch kein zuverlässiges oder seriöses Prognoseinstrument. Die Alternative? Fundamentale Analyse zum Beispiel, Trendforschung und die Einbeziehung aktueller Zusammenhänge. Die Zukunft vorhersagen vermag aber auch damit niemand. Dessen sollte sich jeder Anleger bewusst sein. Im Leben kann viel passieren, absolute Sicherheit gibt es nicht, und so folgen auch die Finanzmärkte ihrem eigenen, unvorhersehbaren Weg.