Zweimal im Monat veröffentlicht die Statistikbehörde der EU, Eurostat, regelmäßig Inflationszahlen. Der harmonisierte Verbraucherpreisindex ist dabei eine wichtige Zahl, auf die sich viele Entscheidungen der Geld- und Wirtschaftspolitik stützen. Er misst die Preisentwicklung von Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte typischerweise erwerben. Seit 2009 ist der typsiche Verbraucherkorb laut Eurostat insgesamt um 11,41% gestiegen. Das klingt nach nicht gerade viel.

Persönlich gefühlte Inflation

Jeder Einzelne hat seinen ganz individuellen Konsumkorb aus Waren und Dienstleistungen. Das leuchtet ein. Der Vergleichskorb der Eurostat wird also nie 100% auf einen von uns zutreffen. Mein ganz persönlicher Basket fühlt sich zudem so an, als wären die Preise allein in den vergangenen zwei bis drei Jahren stärker gestiegen, als Eurostat mir für zehn Jahre angibt. Die Eintrittspreise für von meiner Familie besuchte Orte und Veranstaltungen sind um etwa 40% gestiegen. Pommes an der Frittenbude kosten dieses Jahr 25% mehr, die Kugel Eis bei der Eisdiele ebenfalls 20%, das Brötchen beim Bäcker kostet heute 33 Cent, um 4 Cent mehr als noch vor zwei Jahren. Bei den Taschentüchern sind nur noch neun Tücher in der Packung statt früher zehn, die Cola hat nur noch 700ml Inhalt, die Cornflakes sind kleiner, Strom, Müllabfuhr und Wasser teurer. Plötzlich zahle ich Konto- und Depotgebühren auf zuvor kostenlose Angebote, und selbst beim Handytarif werden nur noch teurere Pakete angeboten als vor einigen Jahren. Bloß mein Diesel, der ist billiger geworden, für den würde ich heute deutlich weniger bekommen als noch vor drei Jahren. Meine ganz persönliche, gefühlte Inflation ist subjektiv höher als die offizielle Statistik. Gefühle können trügen, Zahlen in der Regel nicht. Aber stimmen die Zahlen denn, haben sie eine ausreichende Aussagekraft?

Wo ist das viele Geld bloß hin?

Laut unseren gängigen Theorien der Volkswirtschaftslehre kann Inflation unter anderem dadurch zustande kommen, dass mehr Einheiten von Geld für die selbe Anzahl an Gütern und Dienstleistungen zur Verfügung stehen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Zentralbanken die Geldmenge erhöhen, indem sie das Geld schlicht neu erschaffen. Früher mussten sie es noch physisch drucken, heute genügt ein Knopfdruck am Computer. Alleine die Europäische Zentralbank hat seit 2015 über ihr Programm zum Ankauf von Vermögenswerten monatlich bis zu 80 Milliarden Euro neu in Umlauf gebracht. Per September 2018 summierten sich die Käufe aus dem Programm auf stattliche 2,6 Billionen Euro. Dieses Geld wurde quasi neu geschaffen. Wo ist es bloß? Offensichtlich nicht auf den Konten der Konsumenten, wie die Verbraucherpreise zeigen.

Inflation der Assetpreise

Der klassische Korb aus Konsumwaren und Dienstleistungen ist nur ein Aspekt. Denn anstatt in den Konsum, also den Kauf von Waren und Dienstleistungen, kann überschüssiges Geld auch in Bestands- und Vermögenswerte investiert werden. Immobilien und Wertpapiere sind dabei übliche Klassiker, aber auch Dinge wie Kunst. Hier hat sich eine ganz andere Preisentwicklung vollzogen als bei Brot, Strom und Flugreisen. Hier sind die Preise über die vergangenen zehn Jahre regelrecht explodiert. Sie werden allerdings von der konventionellen Inflationsmessung nicht erfasst. Der Bund Future ist auf 165 gestiegen, der S&P 500 hat über die letzten 10 Jahre um 250% zugelegt, der DAX immerhin um 175%, selbst der Nikkei 225 ist um 145% gestiegen. Immobilienpreise haben sich in Deutschland über die vergangenen zehn Jahre in vielen Städten mehr als verdoppelt. In München liegt heute der Kaufpreis pro Quadratmeter bei 8.000 Euro. 2011 musste man „nur“ zwischen 3.000 und 4.000 Euro dafür bezahlen.

Das Thema Inflation und Assetpreise ist allerdings etwas schwierig. Schließlich spiegeln Aktien in der Regel die zukünftige, wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens wider. Der Aktienkurs ist theoretisch nichts anderes, als der abgezinste Zahlungsstrom der zu erwartenden Gewinne oder Dividenden. Gerne wird deshalb das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) herangezogen. Hier zeigt sich allerdings auch der Trend, dass sich Aktien im Zeitablauf verteuert haben. Bei Immobilien trifft man hingegen häufig auf die Argumentation, dass vor allem das untere und mittlere Massensegment eher dem eigenen Konsum zugehört. Die überschüssigen Gelder der Finanzwelt hingegen fließen in das Luxussegment. Doch selbst hier sind enorme Preiszuwächse zu beobachten.

Ein Umdenken bei Inflation ist überfällig

Seit Generationen wird uns in Volkswirtschaftskursen der Begriff der Inflation anhand von Konsumgüterpreisen gelehrt. Die Geld- und Wirtschaftspolitik stützt sich auf genau diese Zahlen. In den letzten Jahrzehnten ist allerdings immer mehr Überschussliquidität nicht in den Konsum, sondern in Vermögens- und Bestandsgüter geflossen. Gründe dafür sind vielfältig. Mit ein wichtiger Faktor ist die Globalisierung der Finanzindustrie und den größeren Möglichkeiten, global zu investieren. Für die zukünftige Geldpolitik bedeutet das allerdings, den Blickwinkel zu vergrößern. Denn nur so kann wirksam mit Geld und Geldpolitik umgegangen werden.